Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0035
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Begriff >tronie<

31

Bildnisse ungeeignete Sujets. Aus diesen Gründen ist
nicht davon auszugehen, dass es sich bei den Bildern
um verkleidete Porträts bzw. porfnzzts histories handel-
te.136 Andere Inventareinträge belegen, dass durchaus
nicht nur Bilder, deren Ausschnitt auf den Kopf bzw.
das Brustbild einer Figur beschränkt war, als >tronien<
bezeichnet wurden. Vielmehr war der Begriff offen-
sichtlich dehnbar genug, um ihn auch auf Brustbilder
mit Händen sowie auf Halb- und sogar Dreiviertel-
figuren zu beziehen:
»Een tronie schryvende«137
»Een vrouwetronie met een glas in de handt«138
»Een studente-tronie, nae Rembrant, haiff lichaems met een
Clapmuts«139
»Een vrouwe tronij leunende met de hant op een stoel van
Rembrant van Rijn«140
Zwar lassen sich die überlieferten Inventareinträge
nur selten mit erhaltenen Gemälden verbinden. Für
einige Bilder, die zur Gruppe der in dieser Arbeit
als Tronien definierten Werke gehören, kann jedoch
nachgewiesen werden, dass sie von den Zeitgenossen
als >tronien< bezeichnet wurden. Dies gilt z. B. für
eine Serie radierter Tronien des Jan Lievens, für die
sich ein Titelblatt mit folgender Inschrift erhalten hat:
»Diverse Tronikens geetst van I. L., Jacobus Christi-
anus Excudit« [Kat. 328, Taf. 70].141 Zwar ist nicht
sicher, welche Blätter zu Lievens’ Serie der »Diverse

Tronikens« gehörten.142 Doch handelte es sich dem
Format nach zu urteilen, das mit demjenigen des
7,6 x 6,1 cm messenden Titelblattes übereinstimmen
muss, wohl um Holl. 60-72, 88 (B. 39-51, 308) oder
zumindest einen Teil dieser Radierungen [Kat. 329,
330, Taf. 70],143 Mit Sicherheit als zusammenhän-
gende Tronie-Serie dieser Art, wenn auch größeren
Formats, können sieben von Lievens radierte Brust-
bilder junger und alter Männer identifiziert werden,
da sie durch eine Nummerierung als Folge gekenn-
zeichnet sind [Kat. 323-327, Taf. 69].144
Des Weiteren wird Lievens’ Brustbild eines Lä-
chelnden Mädchens mit blonden Haaren (Leipzig,
Museum der bildenden Künste) [Kat. 285, Taf. 60]
heute mit einem im Testament Jacques de Gheyns III.
von 1641 folgendermaßen beschriebenen Bild identi-
fiziert:145 »noch een jonck lachent meijskens tronigne,
oock van Jan Lievens geschildert«.146 Ein weiterer
Eintrag im Testament de Gheyns bezieht sich offen-
bar auf em Bild, dessen Aussehen mit demjenigen
von Lievens’ Brustbild einer alten Frau mit brokat-
besticktem Kopftuch in Windsor Castle (Sammlung
Ihrer Majestät Königin Elisabeth II.) [Kat. 294, Taf.
62] vergleichbar ist: »een schilderije van een oude
tronigne, die violet fluweel mit goude laecken gevoe-
dert op het hooft heeft, wesende soe groot als het le-
ven mit een lijst daerom.«147 Vermutlich handelt es
sich um eine Kopie oder zweite Version von Lievens’

136 Vgl. Hirschfelder 2001/02, S. 86.
137 Bredius 1915-1922, Bd. 2, S. 714, Nr. 29 (Inv. Matthijs van
Dorsten, Amsterdam 25.1.1694).
138 Bredius 1915—1922, Bd. 6, S. 2031, Nr. 7 (Inv. Gierte Pieters,
Amsterdam 20.1.1628).
139 GPI 1994-2003, N-2071, Nr. 127 (Inv. Aert Coninck,
Amsterdam 13.4.1639). Vgl. auch Strauss / Meulen 1979,
Dok. 1639/9, S. 178.
140 Postma 1988, S. 17 (Inv. Herman Becker, Amsterdam 19.10.
-23.11.1678). Vgl. auch GPI 1994-2003, N-2288, Nr. 0135
(Herman Becker, Amsterdam 19.10.1678).
141 Darüber hinaus existiert ein Blatt mit lateinischem Titel:
»Variae Effigies a Joanne Livio. Lugd. Bat.«, Kat. Amsterdam
1988/89, PI. IV, S. 13. Vgl. auch Schatborn 1988/89, S. 17.
142 Schatborn 1988/89, S. 17.
143 In Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings 1949ff., Bd.
11 (o. J.), Kat. Nr. 59, S. 51, werden Holl. 59-76 (B. 38-55)
als zu der Serie gehörig angegeben. Das Format von Holl.
59, 73-76 (B. 38, 52-55) weicht allerdings erheblich von
dem des fraglichen Titelblattes ab. Zu der Frage, welche
Blätter die Serie umfasste, vgl. auch Schatborn 1988/89, S.
17 u. S. 20, Anm. 3-5. Bruyn 1982, S. 40, Anm. 8, verbindet
fälschlicherweise Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings
1949ff., Bd. 11 (o.J.), Kat. Nr. 33-36, S. 32-35, Kat. Nr. 39-41,

S. 37-39 [vgl. Kat. 323-327, Taf. 69] mit Lievens’ Titelblatt.
Diese Zuordnung übernimmt P. van Thiel in Kat. Berlin /
Amsterdam / London 1991/92a, Kat. Nr. 7, S. 142. Tatsächlich
stimmen die Maße der entsprechenden Radierungen, die
zwischen 15,7 x 14,2 cm und 16,4 x 14,4 cm betragen, jedoch
nicht mit denen des Titelblattes (7,6 x 6,1 cm) überein.
144 Vgl. Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings 1949ff., Bd.
11 (o.J. ), Kat. Nr. 33-36, S. 32-35, Kat. Nr. 39-41, S. 37-39.
Vgl. Schatborn 1988/89, S. 17. Die neuere Forschung geht
davon aus, dass Lievens als Urheber der Serie anzusehen ist
und Rembrandt seine so genannten Orientalischen Köpfe
(B. 286-289) von 1635 [Kat. 473] nach Lievens’ Vorbild
angefertigt habe, Kat. Amsterdam 1988/89, Kat. Nr. 26, 31, S.
51; Gutbrod 1996, S. 61; Kat. Amsterdam/London 2000/01,
Kat. Nr. 27, S. 149-151.
145 A. Blankert in Kat. Melbourne / Canberra 1997/98, Kat.
Nr. 34, S. 216.
146 GPI 1994-2003, N-1677, Nr. 0005 (Testament Jacques de
Gheyn III., Utrecht 7.3.1641). Vgl. auch Regteren Altena
1936, S. 129. Das Testament de Gheyns III. ist publiziert bei
Regteren Altena 1936, S. 128-132.
147 GPI 1994-2003, N-1677, Nr. 0011 (Testament Jacques de
Gheyn III., Utrecht 7.3.1641). Vgl. auch Regteren Altena
1936, S. 129.
 
Annotationen