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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0049
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Die Entstehung der Tronie in Leiden und Haarlem

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gerechtfertigt diese Einschätzung auch ist, sie sollte
nicht dazu führen, dass richtungsweisende Impulse,
die einer der beiden Maler gab, übersehen werden.
Gutbrod etwa vermeidet in dem Bemühen um größt-
mögliche Differenziertheit eine klare Stellungnahme
in dieser Hinsicht.53
Bei der Bestimmung des Verhältnisses von Lie-
vens’ und Rembrandts frühen Tronien stellt sich das
Problem, dass die wenigsten der Bilder eine Datierung
aufweisen. Rembrandts Tronien lassen sich anhand
der Bezüge zu seinen datierten Bildern der zwan-
ziger Jahre zwar zeitlich ungefähr einordnen.54 Bei
Lievens jedoch fehlen solche Vergleichsbeispiele, was
die Erstellung einer Chronologie seines Frühwerks
erheblich erschwert.55 Wie es Sumowski für das von
ihm zusammengetragene Material versucht, muss eine
Ordnung der frühen Werke sich letztlich an der Ana-
lyse der stilistischen Fortentwicklung des Künstlers
orientieren.56 Dabei kann Sumowskis Einteilung aller-
dings nur als vorläufiges, grobes Raster gelten.
Als Kriterium für die Ermittlung der Gruppe der
frühesten Werke Lievens’ dient den meisten Auto-
ren neben künstlerischen Schwächen der Bilder ihre
enge Bindung an Vorbilder der Utrechter Carravag-
gisten. Dementsprechend werden Gemälde wie die
Sinnesallegorien in Warschau (Muzeum Narodowe)
- der Junge mit Fackel {Allegorie des Gesichts) [Kat.
272] und ein Glut anfachender Knabe {Allegorie des
Geruchs) [Kat. 273, Taf. 57] - in der Regel zu den ers-
ten Werken des jungen Leideners gezählt. Über den
genauen Entstehungszeitpunkt herrscht allerdings
keine Einigkeit. Während die Autoren des RRP von

einer besonders frühen Datierung um 1623 ausge-
hen, vertritt Gutbrod die Ansicht, die Gemälde seien
1624/25 entstanden; Klessmann, Schwartz, Jansen
und Schnackenburg datieren sie um 1625.57 In jedem
Fall sind Lievens’ erhaltene Werke mit Blick auf ihre
Anlehnung an die Utrechter Malerei nicht wesent-
lich früher als 1623 anzusetzen.58
Schnackenburg versucht, für die Jahre 1625-1627
ein präziseres >Datierungsgerüst< zu entwickeln. In
dieses schließt er 15 Bilder ein, zu denen neben ei-
nigen mehrfigungen Genre- und Historienbildern
vor allem Lievens’ frühe Einfigurenbilder zählen.59
Den Kopf eines bärtigen Mannes im Profil aus Turin
[Kat. 279, Taf. II] ordnet der Autor in sein Gerüst
ein, indem er ihn stilistisch mit der in Kassel (Gemäl-
degalerie Alte Meister) aufbewahrten Serie der Vier
Elemente und Lebensalter [Kat. 274, 275, Taf. III]
verbindet.60 Für die Serie vermutet Schnackenburg
einen Entstehungszeitpunkt um 1626 und datiert das
Turiner Bild dementsprechend in dasselbe Jahr.6' So-
wohl mit Blick auf den Figurentyp als auch hinsicht-
lich der Darstellungsweise lässt sich die Tronie am
besten mit der Allegorie des Wassers und Greisenal-
ters [Kat. 275, Taf. III] vergleichen. Das Turiner Bild
ist in ähnlich offener, stellenweise skizzenhafter Mal-
weise ausgeführt wie der Kasseler Greis: Es zeigt wie
dieser in den beleuchteten Partien des Gesichts und
Gewandes der Figur eine Pinselarbeit in breit hinge-
strichener, verdickter Farbe, eine zügig modellierte
Haar- und Barttracht mit rasch, in kurzen weißen
Strichen aufgesetzten Lichtern sowie unverbunden
angegebene dunkle Schatten um die Augen. Allerdings

53 Gutbrod 1996, bes. S. 301.
54 Vgl. z.B. RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. A8, S. 127f., Kat.
Nr. A14, S. 172f., Kat. Nr. A27, S. 273f.; Kat. Melbourne /
Canberra 1997/98, Kat. Nr. 4, S. 96; Kat. Kassel / Amster-
dam 2001/02, Kat. Nr. 79, S. 366, 369.
55 Erst aus dem Jahr 1629 liegt mit dem Betenden Kapuziner
(Monteviot, Marquess of Lothian, Sumowski 1983-1994,
Bd. 3, Kat. Nr. 1238) ein datiertes Figurenbild von Lievens
vor; ab 1631 datierte der Meister seine Werke häufiger. Vgl.
Bauch 1967, S. 160; Bialostocki 1979, S. 14; Gutbrod 1996,
S. 68, Anna. 7. Schneider / Ekkart 1973, verzichten auf die
Datierung der katalogisierten Bilder.
56 Vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 3, S. 1775-1816. Auch Gut¬
brod 1996, S. 309-312, stellt eine Chronologie der von ihr
behandelten Werke der Leidener Jahre auf. Kritisch zur Mög¬
lichkeit der Erstellung einer stimmigen Chronologie vgl. Gut¬
brod 1996, S. 72-75.

57 R. Klessmann in Kat. Braunschweig 1979, Kat. Nr. 6, 7, S.
48-51; RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. C2, S. 453f.; Schwartz
1987, S. 79f., Kat. Nr. 67, S. 80; G. Jansen in Kat. Utrecht /
Braunschweig 1986/87, Kat. Nr. 69, S. 308; Gutbrod 1996,
S. 88-93; Schnackenburg 2001/02, S. 103.
58 Der von den Autoren des RRP vertretenen Datierung der
an die Utrechter anschließenden Werke um 1623 folgen Chr.
Brown in Kat. Berlin / Amsterdam / London 1991/92a,
Kat. Nr. 52, S. 296, Kat. Nr. 54, S. 298; PC. Sutton in Kat.
Melbourne / Canberra 1997/98, Kat. Nr. 33, S. 214; Stra-
TEN 2006, S. 26-29.
59 Schnackenburg 2001/02, S. 102f.
60 Schnackenburg 2001/02, S. 111. Vgl. auch ders. in Kat.
Kassel / Amsterdam 2001/02, Kat. Nr. 71, S. 346. Zu der Se-
rie vgl. Kat. Kassel 1996, Bd. 1, Kat. Nr. GK 1205-1208, S.
171, Bd. 2, Taf. 115.
61 Schnackenburgs Datierung der Elementen-Serie (vgl. die vor-
angehende Anm.) folgt Gutbrod 1996, S. 96-98.
 
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