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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0095
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Erscheinungsformen des holländischen Porträts 1615-1633

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Die unterschiedlichen Formen des Porträts, die
die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts her-
vorbrachte, hatten sich bis zum Beginn der dreißiger
Jahre bereits im Wesentlichen herausgebildet. Das
Spektrum reicht von lebensgroßen Darstellungen
bis hin zu Miniaturen und umfasst sowohl Einzel-
ais auch Doppel- und Gruppenbildnisse im Interi-
eur oder im Freien. Einen besonders großen Teil der
Porträtproduktion der bürgerlichen Sphäre machen
Ehepaarbildnisse in Form kompositionell aufeinan-
der abgestimmter Pendants aus.12 Neben dieser an den
privaten Lebensbereich des Einzelnen geknüpften
Form der Selbstinszenierung nutzten Auftraggeber
das Bildnis auch, um ihre Stellung und ihre Aufga-
ben im öffentlichen Leben zu veranschaulichen. Die
Vorsteher bzw. Regenten sozial oder ökonomisch
ausgerichteter Korporationen, zu denen Gilden oder
wohltätige Institutionen wie Gast-, Waisen- und Ar-
menhäuser zählten, ließen sich in so genannten Re-
gentenstücken porträtieren. Ebenso bedeutend und
zahlreich waren Schützenstücke, auf denen die Mit-
glieder einer Bürgerwehr dargestellt wurden.13 Wie
Gruppenporträts lassen sich auch Einzelbildnisse in
verschiedene Gruppen mit jeweils eigenen Darstel-
lungskonventionen unterteilen. Hierzu gehören zum
Beispiel Künstlerbildnisse und Selbstporträts als be-
sonders beachtenswerte Kategorie.14
Als wichtige Sonderform des Porträts, der im
Rahmen dieser Untersuchung hervorgehobene Be-
deutung zukommt, ist das so genannte Rollenporträt
o&er portrait historie zu nennen.'5 Darin erscheinen
die Dargestellten in der Rolle biblischer, historischer,
mythologischer oder allegorischer Figuren, deren
helden- und tugendhafte Eigenschaften von den
Auftraggebern für die eigene Person in Anspruch ge-
nommen wurden.
Die verschiedenen Ausprägungen des Gruppen-
und auch des Doppelporträts können im weiteren

Verlauf der Untersuchung vernachlässigt werden, da
sie hinsichtlich der Figurenanzahl und des gezeigten
Bildausschnitts mit Tronien nicht vergleichbar sind.
Auch beinhalten mehrfigurige Porträts meist die Dar-
stellung aufeinander reagierender bzw. einer bestimm-
ten Situation entsprechend agierender Personen, so
dass sich für die jeweilige Gestaltung der Figuren an-
dere Voraussetzungen ergeben als im Einzelbildnis.
Für den Vergleich mit Tronien kommen letztlich nur
einfigurige Bildnisse in Betracht. Unter diesen wie-
derum sind ganzfigurige Porträts auszuscheiden, da
sie anderen Darstellungsprinzipien folgen als Figuren,
die wie Tronien nur einen Ausschnitt des Körpers
zeigen. Auch Dreivierteiporträts, die in der hollän-
dischen Malerei des 17. Jahrhunderts besonders häufig
vorkommen, entsprechen nicht dem üblichen Format
von Tronien, können aber im Sinne einer Erweiterung
der Halbfigur miteinbezogen werden.16 Dies gilt gera-
de dann, wenn sie einen neutralen Hintergrund ohne
genauere Schilderung der Umgebung aufweisen. Vor
allem aber sind Porträts zum Vergleich heranzuziehen,
die Halbfiguren, Brustbilder mit und ohne Hände oder
ausschließlich den Kopf einer Person zeigen.
Die gattungsspezifischen Funktionen der Porträtma-
lerei sind untrennbar mit der meist aus einem Auftrag
resultierenden Intention verbunden, ein bestimmtes,
wiedererkennbares Individuum und dessen Identität
in adäquater Weise darzustellen und zum Haupt-
thema des Bildes zu machen. Hieraus ergibt sich ein
fundamentaler Unterschied gegenüber Tronien, da
die Identität des dargestellten Modells bei diesen kei-
ne Rolle für den Aussagewert des Bildes spielte.
Bildnisse dienten zum einen der Memorialfunk-
tion, also dazu, das Andenken der porträtierten Per-
son zu bewahren und der Nachwelt zu überliefern,17
zum anderen erfüllten sie repräsentative und exempla-
rische Funktionen.18 Es sind Bedeutungsträger, die zum

12 Vgl. Smith 1982.
13 Vgl. bes. Ekkart 1988; Levy-van Halm 1988; Tümpel 1988.
14 Zum niederländischen Künstlerbildnis und Selbstporträt vgl.
Raupp 1984.
15 Zum portrait historie, Rollen- oder Identifikationsporträt
vgl. vor allem Wishnevsky 1967; Polleross 1988, sowie un-
ten Kap. II.2.5.
16 Vgl. Smith 1982, S. 55.
17 Zur Memorialfunktion von Porträts vgl. bes. JONGH 1986,
S. 23-25. Constantijn Huygens betont, dass die Porträtma-
lerei das Weiterleben einer Person in der Erinnerung ihrer
Nachfahren sichere, Huygens / Kan 1971, S. 75; Huygens /
FIeesakkers 1987, S. 81. Für den lat. Originaltext vgl. Huygens /
Worp 1891, S. 120f. Auch Franciscus Junius weist in seinem

Traktat The Paintmgs 0/ the Ancients (1638) {De Pictura Vet-
erum, Amsterdam 1637) explizit auf diese Funktion der Por-
trätmalerei hin: »Yea, the first beginnings of these Arts seem
to have proceeded out of a desire of prolongmg the memory
of the deceased, or eise of them whose absence would be
most grievous unto us without such a remembrance.« Junius
/ Aldrich / Fehl 1991, S. 123. Vgl. auch ebd., S. 114. Vgl.
außerdem BlE 1661, S. 243.
18 Vgl. Raupp 1995b, S. 1-3. Zur Bestimmung der Aufgaben des
Porträts in der Kunsttheorie seit der Antike vgl. zusammen-
fassend Marschke 1998, S. 15-49. Allgemein zu den Aufga-
ben des Porträts vgl. außerdem bereits ÜECKERT 1929; sowie
Preimesberger 1999.
 
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