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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0096
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Der Bildbefund der 1620er und frühen 30er Jahre

einen den gesellschaftlichen Status und die persönlichen
Verdienste eines Auftraggebers evident machten, zum
anderen anhand seiner Person lobenswerte Fähigkeiten
und tugendhafte Eigenschaften exemplifizierten.
Der einzelne Mensch verstand sich als Teil der be-
stehenden Gesellschaftsordnung: Sein Platz innerhalb
der Familie, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Schicht oder Berufsgruppe, die Ausübung
eines Amtes oder die Mitgliedschaft in einer öf-
fentlichen Vereinigung oder Institution bestimmten
wesentlich das Selbstverständnis des Individuums.
Dementsprechend galt es, im Bildnis Rang, Bedeu-
tung und Stellung eines Menschen im privaten wie
öffentlichen Leben auf repräsentative Weise sichtbar
zu machen. Bildniswürdig wurde der Einzelne erst
dadurch, dass er den geltenden Wertvorstellungen
entsprechende Tugenden gleichsam exemplarisch
verkörperte, so dass sein Abbild Vorbildcharakter
für den Betrachter gewann.19 Diesen Anforderungen
gemäß war es nicht Aufgabe der Porträtmalerei, die
psychische Disposition und den Charakter eines
Menschen nach heutigem Verständnis zu zeigen.
Vielmehr zielte sie darauf ab, diejenigen Charakterei-
genschaften einer Person im Bild anschaulich werden
zu lassen, die nach zeitgenössischer Idealvorstellung
dem Status, der beruflichen Tätigkeit und den Ver-
diensten des Dargestellten sowie seinem Alter und
Geschlecht entsprachen. So sollte z.B. das Bildnis
eines Feldherrn dessen Mut, Stärke und Tapferkeit
zum Ausdruck bringen. Sein >Charakter< ergab sich
aus der Summe der Eigenschaften, die ihm nach ei-
ner in der allgemeinen Vorstellung verankerten,
»ethisch fundierten Typenlehre«20 zukamen, ohne

19 Die Vorstellung, dass Darstellungen verdienstvoller und tu-
gendhafter Personen den Betrachter selbst zu großen Taten
und lobenswertem Handeln anregten, findet sich in der
zeitgenössischen Kunsttheorie, z.B. bei Junius / Aldrich /
Fehl 1991, S. 130f.: »We must needs bring in here the words
of Sallustius; >1 have often heard<, saith hee, >that Q. Maxu-
mus, P. Scipio, and other great men of our city, were wont to
say, That they feit their mindes mightily inflamed to vertue,
when they did looke upon the Images of their Ancestors: not
that there was any such force in that wax and figure, but that
the memory of their famous acts did kindle this flame in the
brests of brave men, which could not be quenched, untill by
a vertuous course they had attained to their fame and glory.«
Vgl. auch Goeree o. J. [ca. 1680], S. 28.
20 Raupp 1995b, S. 3.
21 Vgl. Smith 1982, S. 35f.; Jongh 1986, S. 31; Briels 1987, S. 43;
Raupp 1995b, S. 2; Woodall 1997, S. 82-86.

dass der hieraus resultierende Anspruch unbedingt
mit der Wirklichkeit in Einklang stehen musste.
Diesen Prämissen widerspricht auch der scheinbar
private Charakter der bürgerlichen Bildnismalerei
der Nördlichen Niederlande nicht, da Familie und
bürgerliches Privatleben als Grundpfeiler der neu-
en gesellschaftlichen Ordnung betrachtet wurden.21
Damit erscheint das Individuum auch im privaten
Bildnis als Teil einer Struktur bzw. als Vertreter einer
Institution, die sozial und moralisch definiert war.
Die Vergabe eines Bildnisauftrags erfolgte häufig
im Zusammenhang mit einem besonderen Anlass,
z.B. einer Verlobung oder Eheschließung, der Ge-
burt oder dem Tod eines Kindes, dem Antritt eines
Amtes oder der Veränderung des eigenen sozialen
Status.22 Um den Funktionen der Gattung gerecht zu
werden, musste der Maler sich an bestimmte formale
und inhaltliche Regeln und Konventionen halten.
Oberstes Gebot war die naturgetreue Darstellung
des Modells, aufgrund derer die betreffende Person
mit Bestimmtheit wiedererkannt werden konnte.23
Van Mander spricht in diesem Zusammenhang vom
»goet ghelijeken«24 eines Porträts. Ähnelten Original
und Abbild einander nicht in ausreichendem Maße,
konnte dies dazu führen, dass ein Auftraggeber Be-
schwerde einlegte.25 Zweifellos bestand jedoch in
vielen Fällen auch der Wunsch, von der Regel der
genauen Naturnachahmung zugunsten einer ideali-
sierenden Darstellungsweise abzuweichen. Gerard
de Lairesse jedenfalls plädiert dafür, bestimmte kör-
perliche Defizite, die das Aussehen des Auftragge-
bers entstellen - etwa ein blindes Auge, Narben oder
eine hängende Lippe -, mit geschickten Kunstgriffen

22 Vgl. Ekkart 2007/08b, S. 50-52. Lairesse 1740, Bd. 2, S. 8,
kritisiert die Angewohnheit bürgerlicher Auftraggeber, sich
bei jeder nur passenden Gelegenheit porträtieren zu lassen.
23 Jongh 1986, S. 20-23; Jongh 1997, S. 30f.; Veen 1997/98, S.
73. Allgemein zum Kriterium der Ähnlichkeit im Porträt vgl.
Deckert 1929, S. 272-277; Preimesberger 1999, S. 17-21.
24 Mander / Miedema 1994-1999, Bd. 1, S. 359 (fol. 275r, Z.
34), S. 428 (fol. 292v, Z. 20). Vgl. u. a. auch ebd., S. 420 (fol.
290v, Z. 43), S. 423 (fol. 291r, Z. 10f.).
25 Im Jahre 1654 reichte Diego d’Andrada, ein portugiesischer
Kaufmann, Klage ein, weil ein von ihm bei Rembrandt be-
stelltes Porträt seiner Tochter mit dieser keine Ähnlichkeit
zeige. Im Falle, dass Rembrandt das Bild nicht seinen Wün-
schen gemäß ändere, forderte er Schadensersatz sowie die
Rückgabe seiner Anzahlung von 75 Gulden, Strauss / Meu-
len 1979, Dok. 1654/4, S. 310; Jongh 1986, S. 20.
 
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