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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0105
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Erscheinungsformen des holländischen Porträts 1615-1633

93

Farbe in den Porträts von Frans Hals dar. Die männ-
lichen Bildnisse aus dem Untersuchungszeitraum zei-
gen häufig deutliche Zeichen des Malvorgangs: Wie
bei dem Bildnis Isaac Massas [Kat. 208, Taf. VII] sind
die einzelnen nebeneinander liegenden Pinselstriche
im Gesicht der Dargestellten oftmals gut sichtbar;
Teile des Gewandes können, wie z.B. der Ärmel des
Herrenporträts in New York (Frick Collection) [Kat.
221] zeigt, in breiten, unverbunden aufgetragenen
Pinselzügen angegeben sein. Dabei bleiben jedoch
die Details der Kleidung stets erkennbar und auch bei
der Modellierung des Gesichts ist die Pinselführung
feinteiliger als bei den Tronien derselben Periode und
verselbständigt sich nicht in vergleichbarer Weise.90 91 92
In weiblichen Porträts ist darüber hinaus zur selben
Zeit ein weitaus zurückhaltenderer Umgang mit dem
Pinsel zu verzeichnen.91
Festzuhalten ist, dass die häufig recht lockere
Ausführung der von Hals im untersuchten Zeitraum
geschaffenen Einzelporträts nicht an die Freiheit der
malerischen Gestaltung der Tronien und Genrebilder
des Meisters heranreicht. Allerdings stellt Hals’ un-
gewöhnlich flotte und in seinen Porträts bewusst in-
szenierte Maltechnik in den zwanziger Jahren trotz
der Tatsache, dass die Art der Vortragsweise bei den
verschiedenen Porträtmalern variieren konnte, ein-
deutig eine Ausnahme dar.92
Was die Lichtführung in den gesichteten Bildnis-
sen angeht, so ist zu konstatieren, dass in aller Regel
auf eine gute Ausleuchtung des Gesichts der Porträ-
tierten geachtet wird. Zwar ist bei männlichen Por-
träts die von der Lichtquelle abgewandte Gesichts-
hälfte häufig partiell verschattet [Kat. 204, Taf. 43].
Die andere Seite wird dann jedoch meist in Gänze
beleuchtet und selbst bei teilweiser Verschattung
- wenn der Dargestellte z.B. einen Hut trägt [Kat.
210] - bleibt die Augenpartie stets gut erkennbar.

Abschließend ist die veristische Darstellungs-
weise als wesentlicher Aspekt zu erwähnen, der die
untersuchten Bildnisse unabhängig von der spezi-
fischen Malweise der einzelnen Künstler verbindet.
Die Bilder sind ausnahmslos durch das Bemühen ge-
kennzeichnet, eine möglichst naturgetreue Wieder-
gabe des Modells und damit einen möglichst hohen
Grad an Ähnlichkeit mit dem Original zu erzielen.
Der Eindruck idealisierender Darstellung entsteht
nur in wenigen Fällen und dann vornehmlich im
Bereich der höfischen Malerei.93 Doch bleiben die
Dargestellten auch hier in aller Regel als Individuen
erkennbar.
2.5 Portrait historie und Kostümporträt
Neben der Darstellung in repräsentativer zeitge-
nössischer Tracht bot die Verkleidung als biblische,
historische, allegorische, mythologische oder litera-
rische Figur eine Möglichkeit der Selbstinszenierung,
die sich im Laufe des 17. Jahrhunderts zunehmender
Beliebtheit erfreute. Indem der oder die Dargestell-
te im so genannten portrait historie, Rollen- oder
Identifikationsporträt in die Rolle einer historischen
oder fiktiven Figur mit Vorbildcharakter schlüpfte,94 *
konnte er oder sie Rang und Bedeutung der eigenen
Person sowie für sich beanspruchte Tugenden im
Bild anschaulich werden lassen.90 So verherrlichen
beispielsweise die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts
zunächst vor allem in Frankreich und den Nieder-
landen verbreiteten Darstellungen adliger Damen
als Jagdgöttin Diana die Schönheit und enthaltsame
Tugendhaftigkeit der Porträtierten.96 Die in einem
portrait historie eingenommene Rolle konnte jedoch
auch Bezug auf den Beruf oder die jeweiligen Lebens-
umstände des Dargestellten nehmen.97

90 Vgl. hierzu auch unten, Kap. II.3.2, S. 104f.
91 Vgl. Grimm 1989, S. 184.
92 Thomas de Keyser etwa experim entierte erst in den dreißiger
Jahren mit einem aufgelockerten Stil und pastosem Farbauf-
trag, Adams 1985, S. 285.
93 Vgl. Judson / Ekkart 1999, S. 30, 45f., sowie Kat. 233-234.
94 Zur Terminologie vgl. Wishnevsky 1967, S. 5-15; Polleross
1988, Bd. 1, S. 1—9. Im Folgenden wird der Terminusportrait
historie als Oberbegriff für Bildnisse verwandt, auf denen die
Dargestellten als mythologische, allegorische, biblische oder
historische Gestalt erscheinen. Aber auch die Bezeichnung
entsprechender Werke als Identifikations- oder Rollenpor-
träts besitzt ihre Berechtigung. Gerade im Einzelbildnis
identifizierte sich der Auftraggeber mit der Rolle, in der er
sich darstellen ließ. Bei einem portrait historie, das eine sze¬

nische Darstellung zeigt, konnte dagegen auch der Gehalt der
Geschichte und nicht so sehr die Identifikation mit bestimm-
ten Figuren im Vordergrund des Interesses der Auftraggeber
stehen.
95 Weder von Wishnevsky 1967, noch von Polleross 1988,
wird ein Vergleich vonportrait historie und konventionellem
Porträt vorgenommen. Ebenso fehlt jeweils eine nähere Ana-
lyse zu Fragen der Einhaltung des decorum und der einem
bestimmten Code folgenden Verwendung festgelegter for-
maler und inhaltlicher Gestaltungsmittel. Zum portrait his-
torie vgl. auch Winkel in Kat. Amsterdam 2002/03, S. 96f.;
Sutton 2005.
96 Zu Entwicklung und Bedeutung höfischer Diana-Porträts
vgl. Polleross 1997.
97 Winkel in Kat. Amsterdam 2002/03, S. 96.
 
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