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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0129
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1

Tronien in Abgrenzung von der Porträtmalerei: die Entwicklung nach 1630

1.1 Bisherige Ergebnisse und Problemstellung
Wie anhand des Bildbefunds der zwanziger und frü-
hen dreißiger Jahre dargelegt, wich die Gestaltungs-
weise, derer sich Künstler beim Malen von Tronien
bedienten, meist in beträchtlichem Maße von den
Darstellungsnormen und -konventionen der Por-
trätmalerei ab. Unter dieser Voraussetzung lassen
sich Tronien relativ leicht von Bildnissen unterschei-
den. Die vorangehende Analyse der Werke Lievens’
und Rembrandts zeigte allerdings auch, dass Tro-
nien unter Umständen ausgesprochen porträthafte
Züge annehmen konnten, was ihre Abgrenzung von
Porträts, ausgehend allein vom äußeren Erschei-
nungsbild, erheblich erschwert oder sogar unmög-
lich macht. Mit Hilfe der Kriterien >Modell, Werk-
kontext und Überlieferung< konnte für Lievens und
Rembrandt jedoch belegt werden, dass ihre bis zum
Beginn der dreißiger Jahre geschaffenen, phantasie-
voll kostümierten Brustbilder und Halbfiguren ohne
Attribute ausnahmslos als Tronien anzusehen sind.
Wie aber verhält es sich mit vergleichbaren Werken,
die im weiteren Verlauf der Entwicklung sowohl von
Rembrandt als auch von dessen Schülern, Nachfol-
gern und einer Vielzahl weiterer Meister geschaffen
wurden?
Gemälde wie Rembrandts Porträt des in reicher
Phantasietracht dargestellten Jacob Trip (1575-1661)
(London, National Gallery) [Kat. 457, Taf. X] von ca.
1661 belegen, dass nicht nur Gerard van Honthorst
Bildnisse in phantasievoller Kostümierung schuf und
dabei auf eine ikonographische Konkretisierung im
Sinne der Darstellung der porträtierten Person in ei-
ner bestimmten Rolle verzichtete.1 Vielmehr waren
>Kostümporträts< spätestens in den vierziger Jahren
auch in der bürgerlichen Porträtmalerei verbreitet.
Dies wird in Teil IV zu zeigen und zudem zu un-
tersuchen sein, wie es zur Herausbildung des ent-
1 Zum Bildnis Jacob Trips vgl. unten, S. 127.

sprechenden Porträttyps kam und in welcher Ver-
bindung er zum Bildtyp der Tronie stand. Vorerst
ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich mit der
Möglichkeit der Verwechslung von Porträt und Tro-
nie gerechnet werden muss und daher die Notwen-
digkeit der Unterscheidung besonders porträthaft
wirkender Tronien von ähnlich aussehenden Porträts
besteht.
Die richtige Klassifizierung eines Brustbildes bzw.
einer Halbfigur in Phantasietracht ist für ihre Beur-
teilung deshalb von essentieller Bedeutung, weil Por-
trät und Tronie nicht dieselben Funktionen erfüllten,
sondern unterschiedliche künstlerische Aufgaben
mit jeweils eigenen Qualitätskriterien waren. Gegen-
seitige Beeinflussungen der beiden Werkkategorien
sowie Wesen, Bedeutung, Funktion und Rezeption
von Tronien können nur dann analysiert werden,
wenn feststeht, welche Werke überhaupt zu diesem
Bildtyp gehören. Die Behandlung des Phänomens
Tronie erfordert somit zunächst die Erschließung des
Untersuchungsgegenstandes in Abgrenzung von der
Porträtmalerei. Aus diesem Grund wird im Folgenden
dargelegt, welche Künstler sich nach 1630 mit Tronien
beschäftigten, in welchen Spielarten Letztere vorka-
men und wie sie sich mit Hilfe der oben entwickelten
Kriterien von Porträts unterscheiden lassen. Sind in
reduziertem Ausschnitt gezeigte Figuren in Phanta-
sietracht nicht aufgrund einer Gestaltungsweise, die
von den Regeln der gleichzeitigen konventionellen
Porträtmalerei abweicht, als Tronien zu erkennen,
müssen andere Zuordnungskriterien herangezogen
werden. Wie erörtert, gehören hierzu die Bestimmung
der dargestellten Person als wiederholt eingesetztes
anonymes Modell und die Einbindung eines Bildes in
einen bestimmten Werkzusammenhang. Wie sich zei-
gen wird, kann zudem der Vergleich mit sicher als Tro-
nien zu klassifizierenden Werken und das Anknüpfen
eines Gemäldes an eine etablierte Darstellungsform
bzw. Bildtradition Aufschluss über seine Zugehörig-
keit zum Bildtyp Tronie geben.
 
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