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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0239
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Stellung der Tronie innerhalb der Gattungen

219

Frans Hals und Michael Sweerts, deren Genrebilder
häufig zeitgenössisch gekleidete Figuren zeigen, auch
viele ihrer Tronien in bürgerlicher Tracht darstellten.13
Ähnliches gilt für die Tronien van Ostades: Sie stim-
men in Kleidung, Physiognomie und Ausdruck mit
den Figuren seiner bäuerlichen Genreszenen überein.
Dagegen malten Künstler wie Rembrandt, Lievens,
Flinck, Boi oder de Grebber, in deren Werk weder
das bürgerliche noch das bäuerliche Genre eine Rol-
le spielt, keine Tronien in zeitgenössisch-bürgerlicher
Tracht und auch keine Bauerntronien. Ebenso wenig
schufen Hals und van Ostade Tronien in exotischen,
juwelenverzierten Phantasiekostümen, deren Ausseh-
en unmittelbar an die Protagonisten eines Historien-
bildes denken ließe. Abraham Bloemaerts Brustbilder
von Greisen und Greisinnen ähneln den Bauern, Bäu-
erinnen und Hirten seiner Genrebilder bzw. den meist
anonymen Nebenfiguren einiger seiner Historien, die
dem einfachen Volk angehören und insofern dem glei-
chen Figurentypus entsprechen wie die Dargestellten
auf den Genrebildern des Meisters.14
Vor diesem Hintergrund scheint sich eine Un-
terscheidung zwischen Tronien, die eher der Histo-
rienmalerei und solchen, die eher der Genremalerei
zugerechnet werden können, anzubieten. Dies ist
allerdings insofern nicht ganz unproblematisch, als
die von Historienmalern für ihre Tronien verwand-
ten Figurentypen auch auf Genrebildern erscheinen
können.15 So tauchen etwa Greise und Greisinnen in
reicher Phantasietracht, wie viele Tronien sie zeigen,
nicht nur auf Historien-,16 sondern auch auf Genre-
bildern auf. Als Beispiele für entsprechende Genre-

figuren können Dous Pelzmäntel tragende Gelehrte
und alte Frauen im Interieur17 oder Salomon Kö-
nincks reich gekleidete Geldzähler und Federschnei-
der genannt werden [Kat. 255, Taf. 54].18 Allgemein
lässt sich sagen, dass die Ausstaffierung von Genrefi-
guren in der Art des Bildpersonals von Historien als
Spezifikum der Rembrandt-Schule anzusehen ist.19
Trotz dieser Beobachtung ist die Zuordnung von
Tronien entweder zur Historien- oder aber zur Gen-
remalerei sinnvoll. Denn es lässt sich feststellen, dass
die Figurentypen, die Historienmaler für ihre Tro-
nien nutzten, mit denjenigen ihrer Historienbilder
grundsätzlich kompatibel sind und dass die betref-
fenden Maler nur selten Tronien schufen, auf die dies
nicht zutrifft. Auch wurden die von Rembrandt und
Lievens erfundenen Tronietypen in erster Linie von
Künstlern übernommen, die sich ebenso wie diese
Meister mit Historien beschäftigten - Gerard Dou
bildet in dieser Hinsicht eine der Ausnahmen. Darü-
ber hinaus sind bestimmte von Historienmalern für
Tronien verwandte Figurentypen, etwa der Typus des
Orientalen, in der Genremalerei eher selten, während
sie auf Historienbildern mit großer Regelmäßigkeit
vorkommen - und das bereits bevor Lievens und
Rembrandt die Tronie in Leiden einführten.20 Orien-
talisch kostümierte Tronien waren sonnt motivisch
zweifellos von Figuren auf Historienbildern inspi-
riert und lassen sich diesen unmittelbar anschließen.
Malten Genremaler wie z.B. Dou und van Mieris
Orientalen-Tronien [Kat. 92, Taf. 17, Kat. 349, Taf.
75], so übernahmen sie letztlich einen für das Schaf-
fen von Historienmalern typischen Tronietyp.

13 Vgl. oben, Kap. III.3.1, S. 200, S. 208, Tab. 1, Nr. III.7, 8.
14 Als Beispiel für einen Figurentyp, den Bloemaert sowohl für
eine Tronie als auch für ein Genrebild sowie für eine Tronie
und ein Historienbild verwandte, vgl. z.B. Roethlisberger
1993, 2 Bde., Kat. Nr. 518, Abb. 702, Kat. Nr. 501, Abb. 685;
Kat. Nr. 269, Abb. 401, Kat. Nr. 527, Abb. 711.
15 Vries 1983, S. 116, zeigt anhand des Beispiels von Jan Steen auf,
dass die Figuren der Genre- und Historienbilder eines Malers
sich hinsichtlich der Kostümierung nicht unterscheiden müs-
sen. Dies gilt auch für andere Maler des 17. Jahrhunderts, z.B.
die Utrechter Caravaggisten, Blankert 1986/87, S. 25.
16 Als Beispiele für eine enge motivische Verwandtschaft zwi¬
schen Tronien und den Figuren auf Historienbildern vgl. etwa
Govaert Flincks Figur des Abraham in seiner Verstoßung der
Hagar (Berlin, Gemäldegalerie) [Kat. 151] mit Flincks Greis
in Phantasietracht (Privatbesitz) [Kat. 150] oder den Schrift-
gelehrten links im Bild von Salomon Könincks Daniel deutet
den Traum Nehukadnezars von den vier Weltreichen (unbe-
kannter Besitz) [Kat. 256] mit einer Tronie wie seinem Nach¬

denkenden alten Mann mit Barett in Milwaukee (Sammlung
Alfred Bader) [Kat. 261, Taf. 55].
17 Vgl. z.B. Dous Tronie einer Alten Frau mit pelzbesetztem
Mantel und Pelzmütze (Holz, 22 x 17 cm, oval, bez.: G. Dou,
Berlin, Staatliche Museen Berlin (SPK), Gemäldegalerie) mit
seiner Alten Frau, neben dem Spinnrad Brei essend (Holz,
51,6 x 41,5 cm, Schwerin, Staatliches Museum), SuMOWSKI
1983-1994, Bd. 1, Kat. Nr. 253, 264.
18 Vgl. auch Salomon Könincks Alten Federschneider in Privat-
besitz [Kat. 258] mit seiner Tronie eines Mannes mit goldver-
zierter hoher Mütze in unbekanntem Besitz [Kat. 257].
19 Diesem Phänomen gegenüber steht die genrehafte Auffas-
sung von Figuren auf Historienbildern im Werk der Ut-
rechter Caravaggisten sowie später im Schaffen von Haarle-
mer Malern wie Jan Miense Molenaer und Jan Steen.
20 Vgl. insb. die orientalisch gekleideten Figuren in den His-
torien der Prärembrandtisten, Kat. Sacramento 1974; Kat.
Amsterdam 1991; Kat. Münster 1994.
 
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