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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0238

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218

Verbreitung und Formen der Tronie

und Michael Sweerts einbezogen werden. Wenn-
gleich Ersterer nur in einem begrenzten Zeitraum
Tronien schuf und Letzterer lediglich kurze Zeit in
den Nördlichen Niederlanden ansässig war, leisteten
doch beide Künstler mit Blick auf die Anzahl wie
auch die Originalität ihrer Werke einen wichtigen
Beitrag zur Troniemalerei. Wahrscheinlich gilt dies
auch für Carei Fabritius, jedoch können ihm, wie
oben erläutert, keine erhaltenen Tronien sicher zuge-
schrieben werden.5
Die Mehrzahl der genannten Meister war ausge-
sprochen vielseitig: In 14 der 18 Fälle handelt es sich
um Generalisten und damit um Maler, die mindes-
tens drei Gattungen beherrschten.6 Bei der Bestim-
mung der Anzahl der Fachgebiete der Maler wurden
Tronien natürlich ausgenommen, da ihre Gattungs-
zugehörigkeit ja erst ermittelt werden soll.
Drei weitere Maler - nämlich Frans Hals, Wil-
lem Drost und Aert de Gelder - beschäftigten sich
in der Periode, in der sie auch Tronien malten, in der
Hauptsache mit zwei Bildgattungen. Sie können da-
her als Doppelspezialisten gelten. Kein einziger der
aufgeführten Troniemaler ist dagegen als echter Spe-
zialist zu klassifizieren, also als Meister, der sich auf
ein einziges Fachgebiet konzentrierte. Einschrän-
kend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Adriaen
van Ostade überwiegend Genrebilder schuf; andere
Sujets machen einen wesentlich geringeren Teil sei-
nes großen Gesamtoeuvres aus.7 Obgleichvan Ostade
die Fähigkeiten eines Generalisten besaß, kann man
ihn somit durchaus als Spezialisten des bäuerlichen
Genres bezeichnen.
Die große Zahl von Generalisten unter den be-
deutendsten in den Nördlichen Niederlanden täti-
gen Troniemalern des 17. Jahrhunderts ergibt sich

nicht zuletzt daraus, dass mehr als zwei Drittel der
angeführten Meister Historienmaler waren.8 9 Damit
handelt es sich nach zeitgenössischem Maßstab um
universal begabte Künstler/’ Offensichtlich begüns-
tigte die Tätigkeit als Historienmaler die Herstellung
von Tronien. Nur bei sechs der 18 Meister lag der
Schwerpunkt der Produktion in der Zeit ihrer Tätig-
keit als Troniemaler (von Porträts einmal abgesehen)
primär auf der Genremalerei,10 11 wobei zwei der Maler,
nämlich Sweerts und Vereist, auch auf dem Gebiet
der Historienmalerei eine nicht zu vernachlässigende
Aktivität entfalteten.
Insgesamt ist zu beobachten, dass sich die tonan-
gebenden Genremaler des 17. Jahrhunderts in weit
weniger großem Umfang mit Tronien beschäftigten
als die bekannten Historienmaler." Als bedeutende
Genremaler, deren CEuvre Tronien enthält, sind ne-
ben den bereits erwähnten Meistern vor allem Judith
Leyster und Johannes Vermeer zu nennen. Die An-
zahl ihrer Tronien ist jedoch so klein, dass sie der je-
weiligen Produktion der Historienmaler auf diesem
Gebiet kein echtes Gegengewicht entgegensetzt.
Analysiert man, welche Art von Tronien die 18
oben genannten Maler schufen, fällt auf, dass die
Werke hinsichtlich Kostümierung und Typus in
der Regel den Figuren der Historien- und/oder
Genrebilder der Meister gleichen. Für Lievens und
Rembrandt wurde bereits konstatiert, dass sich das
Erscheinungsbild ihrer frühen Tronien an ihren His-
torien bzw. im Falle von Lievens besonders an seinen
Halbfiguren orientierte.12 In vergleichbarer Weise
verwandten die Schüler und Nachfolger der Meister
ein Figurenrepertoire für ihre Tronien, das weitge-
hend demjenigen ihrer Historien und Genrebilder
entspricht. Weiter ist zu beobachten, dass Maler wie

5 Vgl. oben, Kap. III.3.1, S. 197.
6 Zu der im Folgenden vorgenommenen Einteilung der be-
rücksichtigten Maler in Generalisten, Doppelspezialisten
und Spezialisten vgl. Goosens 2001, S. 117-140.
7 Vgl. Hofstede de Groot 1907-1928, Bd. 3 (1910), S. 149-
453; B. Schnackenburg in Turner 2000, S. 237-239; Slive
1995, S. 135-137.
8 Backer, Boi, Bloemaert, de Bray, Drost, Flinck, de Gelder,
de Grebber, van Hoogstraten, Köninck, Lievens, Sweerts,
Rembrandt, Vereist.
9 Vgl. z. B. Hoogstraten 1678, S. 69; Emmens 1968, S. 122;
Miedema 1981, S. 34f, ferner S. 35-39; Vries 1998, S. 111;
Czech 2002, S. 183-185, 264-274.
10 Dou, Hals, van Mieris, van Ostade, Sweerts, Vereist.
11 Mit Attributen versehene Genrebilder in Halbfigur kom¬
men im CEuvre von Malern wie den Utrechtern Hendrick

ter Brugghen, Dirck van Baburen, Gerard van Honthorst,
dem Haarlemer Jan Miense Molenaer, dem Leidener Qui-
ringh Gerritsz. Brekelenkam oder auch den Rotterdamer
Bauernmalern Cornelis Saftleven und Hendrick Martensz.
Sorgh zwar häufig vor, auf einen Kopf reduzierte Bilder oder
Brustbilder und Halbfiguren ohne Attribute, also Tronien im
strengen Sinne, malten diese Meister jedoch nicht oder nicht
in nennenswertem Umfang. Zum Werk Ter Brugghens vgl.
Nicolson 1958; Kat. Utrecht / Braunschweig 1986/87; zu
Baburen: Slatkes 1965; zu van Honthorst: Judson / Ekkart
1999; zu Molenaer: Kat. Haarlem / Worcester 1993, S.
278-333; Kat. Raleigh / Columbus / Manchester 2002/03;
zu Brekelenkam: Lasius 1992; zu C. Saftleven: Schulz 1978;
zu Sorgh: Schneemann 1984.
12 Vgl. oben, Kap. II.1.3, bes. S. 48f., Kap. II.1.5.
 
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