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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0274
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254

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

seine ebenfalls 1632 datierte Stockholmer Tronie spä-
ter schuf als Honthorst sein Porträt der Winterköni-
gin. Mit dem 1631 datierten Bildnis Frederik Hendriks
(Den Haag, Stichting Historische Verzamelingen van
het Huis van Oranje-Nassau) [Kat. 231, Taf. 50] hatte
Honthorst jedoch schon ein Jahr zuvor ein höfisches
Profilbildnis vollendet.35 Rembrandt übertrug also
offenbar im Stockholmer Gemälde eine in der hö-
fischen Porträtmalerei bereits zum Einsatz gebrachte
Formel auf eine seiner Tronien.36 Aufgrund des Kon-
taktes, den der Meister, vermittelt durch Constantijn
Huygens, in den Jahren 1627-1633 zum Haager Hof
unterhielt, können ihm Arbeiten Honthorsts jeden-
falls aus eigener Anschauung bekannt gewesen sein.37
Somit besteht auch die Möglichkeit, dass dessen Kos-
tümporträts hochrangiger adliger Auftraggeberinnen
allgemein anregend auf Rembrandt wirkten.38
Zwar entspricht die Tracht der weiblichen Tronien
Rembrandts weniger den Honthorstschen Phantasie-
kostümen als vielmehr der Kleidung der Protagonis-
tinnen auf Rembrandts eigenen Historien der frühen
dreißiger Jahre [Kat. 410-411, Taf. 87]. Doch sind die
porträthafte Präsentation von Rembrandts reich ge-
kleideten Frauen sowie bestimmte Details ihrer Aus-
staffierung durchaus mit Honthorsts Kostümpor-
träts vergleichbar.39 Als Beispiel kann Rembrandts
Brustbild einer jungen Frau mit Schleier (Amster-
dam, Rijksmuseum) [Kat. 419, Taf. XVII] von 1633
dienen: Diese trägt wie Amalia van Solms auf einem
1632 von Honthorst gemalten Kostümporträt (Ut-
recht, Centraal Museum) [Kat. 235, Taf. XVII] einen
langen Schleier, auf dem Kopf aufliegenden Schmuck
im Haar, eine Perlenkette sowie ein Kleid mit reicher
Verzierung des Ausschnittsaumes.40

Eine Schwierigkeit bei der Beurteilung der Frage
nach Rembrandts Orientierung an Honthorsts Kos-
tümbildnissen ergibt sich aus der Tatsache, dass sowohl
Rembrandts früheste datierte Tronien junger Frauen als
auch Honthorsts erste datierte weibliche Kostümbild-
nisse aus dem Jahr 1632 stammen. Somit besteht theo-
retisch die Möglichkeit, dass Honthorsts Porträts von
Rembrandts Tronien inspiriert sind und nicht umge-
kehrt. Dies erscheint allerdings insofern unwahrschein-
lich, als Honthorst in seine Kostümbildnisse keine De-
tails integriert, die erstens für die Tronien Rembrandts
typisch sind und zweitens nicht in Honthorsts eigenen
mehrfigurigen (historisierten oder pastoralen) Bildnis-
sen der späten zwanziger Jahre vorkommen. Es ist an-
zunehmen, dass Honthorst seine Kostümporträts unter
Bezug auf seine eigenen einfigurigen portraits histories
entwickelte, mit deren Produktion er bereits 1628 in
England begann.41 Dies schließt nicht aus, dass die Idee,
Auftraggeberinnen in kostbare Phantasiekostüme zu
kleiden, ohne ihnen auf eine bestimmte Rolle deutende
Attribute beizugeben, von Rembrandts oder auch Lie-
vens’ Tronien der zwanziger und frühen dreißiger Jahre
beeinflusst wurde.42
Während sich Honthorst bei der Schöpfung
seiner Kostümporträts jedoch motivisch nicht auf
Werke Rembrandts stützte, übernahm dieser bei der
Gestaltung seiner Tronien - etwa mit der Wahl der
Profilansicht - durchaus Formulierungen, die zum
Repertoire der Bildnisse des Utrechters gehörten.
Die Analogien, die Rembrandts weibliche Tronien
der dreißiger Jahre zur höfischen Porträtmalerei
aufweisen, sprechen dafür, dass der Meister sie als
Phantasiebildnisse ranghöher Frauen konzipierte,
die als fiktive Herrscherinnen, Fürstinnen oder Prin-

35 Vgl. Kat. Den Haag 1997/98b, Kat. Nr. 9, S. 135; Tiethoff-
Spliethoff 1997/98, S. 180; Judson / Ekkart 1999, S. 32;
Spliethoff 2003, S. 135.
36 Vgl. auch Rembrandts als Pendant zu Honthorsts Bildnis
Frederik Hendriks gemaltes Bildnis der Amalia van Solms
im Profil (Paris, Musee Jacquemart-Andre) [Kat. 407, Taf.
87], Dieses gibt die Prinzessin ebenfalls im Profil wieder.
Vgl. hierzu RRP 1982—2005, Bd. 2, Kat. Nr. A61, S. 251—
254; Tiethoff-Spliethoff 1997/98, S. 180; Kat. Den Haag
1997/98b, Kat. Nr. 9a-c, S. 132-141.
37 Vgl. Schwartz 1987, S. 69; Tümpel 1986, S. 133-139; Tiet-
hoff-Spliethoff 1997/98, S. 180.
38 Zu Honthorsts Kostümporträts vgl. oben, Kap. II.2.5, S. 95.
39 Auch Dickey 2002, S. 36f., setzt Einfigurenbilder Rem¬
brandts, insbesondere seine Floradarstellungen, motivisch
mit Honthorsts weiblichen Kostümporträts in Beziehung.

40 Vgl. auch Gerard Dous Halbfigur einer jungen Frau im Profil
in Manchester (City Art Galleries) [Kat. 93, Taf. X, 18]: Ihr
tiefes Dekollete wird von einem Tuch eingefasst, das mit ju-
welenverzierten Broschen am Kleid festgesteckt ist; dies De-
tail wie auch Schleier und Schmuck im Haar erinnern an die
Kleidung auf den Kostümbildnissen Honthorsts, vgl. z.B.
Kat. 232, Taf. 50, Kat. 239.
41 Judson / Ekkart 1999, S. 28.
42 Einen Beleg dafür, dass sich zumindest eine Tronie von Lie-
vens schon zu Beginn der dreißiger Jahre im Besitz des Statt-
halters befand, liefert Constantijn Huygens’ Autobiogra-
phie, vgl. Huygens / Worp 1891, S. 128; Kat. Braunschweig
1979, S. 33; Schwartz 1987, S. 74; sowie oben, Kap. II.1.4, S.
51.
 
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