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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0275

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Der Einfluss der Porträtmalerei auf den Bildtyp Tronie

255

zessinnen verstanden werden konnten. Letzteres gilt
auch für jene Tronien weiblicher Figuren, welche die
von Rembrandt eingeführten Darstellungsformen
übernehmen, wie z.B. Jacob Backers Brustbild einer
jungen Frau im Profil nach links in München (Alte
Pinakothek) [Kat. 14, Taf. 3],
Zu den Tronietypen, die besonders porträthafte Züge
aufweisen, gehört nicht zuletzt die Gruppe der Orien-
talen [Kat. 42, Taf. 7, Kat. 290, Taf. 61, Kat. 405, Taf.
86, Kat. 417, Taf. XVII, 88, Kat. 431, Taf. 91]. Sucht
man nach Vorbildern, die in formaler Hinsicht mit
diesen vergleichbar sind, weil sie ebenfalls orientalisch
gekleidete Einzelfiguren in Halbfigur oder im Brust-
ausschnitt zeigen, die sich durch würdevollen Habitus
auszeichnen, so stößt man einerseits auf gedruckte Por-
trätbücher und -Serien des 16. und 17. Jahrhunderts, die
Bildnisse türkischer, persischer und anderer orienta-
lischer Herrscher, Fürsten und Befehlshaber umfassen,
sowie andererseits auf gestochene Einzelporträts von
Orientalen.43 Insbesondere Porträtbücher mit Bildnis-
sen orientalischer Herrscher waren im 16. und 17. Jahr-
hundert weit verbreitet und können sowohl den Malern
von Tronien als auch ihren Käufern bekannt gewesen
sein.44 Für gemalte Porträts von Orientalen, die in Ita-
lien bereits im 16. Jahrhundert angefertigt wurden, gilt
dies sicher nicht in vergleichbarer Weise.45
Mit Paolo Giovios Elogia virorum bellica virtute il-
lustrium von 1575 wurde im Zusammenhang mit der

Behandlung der Tronien Rembrandts bereits auf eines
der prominentesten Beispiele für ein Porträtbuch der
Renaissance hingewiesen.46 Der aus Como stammen-
de Humanist und Bischof von Nocera Paolo Giovio
(1483-1552) hatte mit mehr als 400 Bildern eine der
zu seiner Zeit größten Sammlungen gemalter Porträts
berühmter Persönlichkeiten (z/omzw illustrf angelegt.47 48
Nach diesen Bildnissen fertigte Tobias Stimmer (1539—
1584) Zeichnungen und anschließend Holzschnitte an,
die zur Illustrierung des 1575-1578 in mehreren Bän-
den von Peter Perna in Basel herausgegebenen Porträt-
buches Giovios verwandt wurden [Kat. 508, Abb. 16, S.
125, Kat. 509].4S In der Folge stützten sich auch Auto-
ren anderer Porträtbücher auf die von Stimmer gelie-
ferten Vorlagen.49 Weitere Beispiele für Porträtsamm-
lungen, die osmanische Herrscher abbilden, sind etwa
Jean Jacques Boissards Vitae et Icones Sultanorum Tur-
cicorum von 1596 [Kat. 41], Pietro Bertellis Vite degV
imperatori de turchi con le loro effiggie von 1599 [Kat.
34] und Richard Knolles’ The Liv es of the Othoman
Kings and Emperors von 1603.50
Auch gedruckte Einzelbildnisse von Orientalen aus
dem 16. und frühen 17. Jahrhundert dürften niederlän-
dischen Künstlern bekannt gewesen sein.51 Aus Rem-
brandts Inventar von 1656 geht beispielsweise hervor,
dass der Meister Blätter Melchior Lorchs besaß.52 Mög-
licherweise befanden sich darunter auch dessen 1562
gestochenes Brustbild Süleymans IE [Kat. 331] oder
dasjenige des Persischen Gesandten IsmaelK

43 Vgl. Bahre 2006, S. 132-134.
44 Vgl. Rave 1959, S. 153f.; Haskell 1995, S. 37-93; Pelc 2002;
Wilson 2003.
45 Für italienische Bildnisse von Orientalen aus dem 16. Jahr-
hundert vgl. u. a. Meroni 1983; Kat. Berlin 1989, Kat. Nr.
7/62-7/65, S. 720f.; Kat. Dresden / Bonn 1995, Kat. Nr. 1, S.
52, Abb. S. 44, Kat. Nr. 21, S. 74, Abb. S. 65, Kat. Nr. 76a-e,
S. 101 u. Abb. S. 41; Kat. Brüssel 1999/2000, Kat. Nr. 187,
S. 196f.; Wilson 2003, Fig. 13, S. 47. Eine Ausnahmeerschei-
nung in der niederländischen Malerei des 16. Jahrhunderts
bildet der Kopf eines Orientalen aus dem Umkreis Karel van
Manders, Holz, 40,3 x 26,7 cm, unbekannter Besitz (Verstei-
gerung London, Philips, 7.7.1998, Nr. 197), Foto RKD, Den
Haag. Es könnte sich allerdings unter Umständen um einen
Studienkopf handeln.
46 Vgl. oben, Kap. III.1.2, S. 124f.
47 Zur Porträtsammlung Giovios vgl. u.a. Rave 1959; Vecchi
1977; Kat. Florenz 1979, S. 601-665; Pavoni 1985; Klinger
1991; Marschke 1998, S. 141-146. Für weitere Literatur vgl.
Klinger 1991; Marschke 1998, S. 379, Anm. 406, 407.
48 Es erschienen folgende Bände: Elogia virorum bellica vir¬
tute illustrium (Basel 1575), Elogia virorum literis illustrium
(Basel 1577), Vztae illustrium virorum Tomis duobus (Basel

1578), vgl. Tanner 1984, S. 224; Pelc 2002, S. 87, 183-185.
Für weitere Auflagen vgl. Klinger 1991, S. 247f.
49 Pelc 2002, S. 87.
50 Boissard 1596; Bertelli 1599; Knolles 1603. Vgl. Clough
1993, S. 189; Pelc 2002, Kat. Nr. 16, S. 129, Kat. Nr. 21, S.
135, Kat. Nr. 98, S. 209; Wilson 2003, S. 40-42, 43f.
51 Für Bildbeispiele vgl. u. a. Hollstein’s German Engravings
1954ff., Bd. 4 (o.J.), Kat. Nr. 255, S. 108; TIB 1978ff., Bd.
17 (1981), Kat. Nr. 57, S. 248; TIB 1978ff., Bd. 27 (1978),
Kat. Nr. 520, S. 193; TIB 1978ff., Bd. 72/Com. 2 (1997), Kat.
Nr. 286, S. 95f., Kat. Nr. 291, S. 103f., Kat. Nr. 323, S. 162f.;
Hollsteins’s German Engravings 1954ff., Bd. 48 (2000),
Kat. Nr. 174; Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings
1949ff., Bd. 36 (1990), Kat. Nr. 12, S. 124f, Kat. Nr. 11, S.
146f. Vgl. auch Roding 1989, S. 54-67.
52 Strauss / Meulen 1979, Dok. 1656/12, S. 373, Nr. 234. Zu
Lorchs zeichnerischer Tätigkeit in Konstantinopel vgl. Kat.
Berlin 1989, S. 240-244; Roding 1989, S. 62-64.
53 Kupferstich, 41,5 x 28,8 cm, bez.: MLF [als Monogramm],
unten: VIVA EFFIGIES: ISMAELIS, [...] A MELCHIORE
LORICHS FLENSBURGEN. [...], Hollstein’s German
Engravings 1949ff., Bd. 22 (1978), Kat. Nr. 28, S. 201.
 
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