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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0317
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Der Einfluss des Bildtyps Tronie auf die Porträtmalerei

289

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Nachahmung
einer für die höfische Malerei typischen Formel er-
klärtes Ziel der Maler bürgerlicher Kostümporträts
war. In diesem Falle wäre eine wesentlich engere An-
lehnung an die höfischen Vorbilder zu erwarten. Die
Maler hätten diesen ebenso folgen können, wie es
im letzten Drittel des Jahrhunderts mit Blick auf die
Kostüme van Dyckscher Prägung geschah. Stattdes-
sen bestehen deutliche Unterschiede zwischen den in
den dreißiger und vierziger Jahren am Haager Hof
entstandenen Kostümporträts und den Bildnissen in
Phantasietracht, die spätestens ab Ende der dreißiger
Jahre in Städten wie Amsterdam, Dordrecht und
Haarlem angefertigt wurden.
Besonders augenfällig ist dies bei männlichen Kos-
tümporträts. In der bürgerlichen Bildnismalerei wurde
für sie am häufigsten eine reiche Phantasietracht ver-
wendet, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie histo-
risierende Kostümelemente integriert. Typisch für eine
solche Tracht sind das Barett, ein dunkler, oft pelzgefüt-
terter (Samt-)Mantel, weite Puffärmel, em waagrechter
Halsausschnitt des Wamses mit darunter getragenem,
gefälteltem weißen Hemd oder aber ein Halstuch, eine
Halsberge und/oder eine Goldkette [Kat. 50, Taf. 9,
Kat. 83, Taf. 15, Kat. 459, Taf. 98, Kat. 482,484, Taf. 102,
Kat. 541, Taf. 111]. Aus denselben Bestandteilen setzen
sich bekanntlich auch die Kostüme vieler der vor allem
im Umkreis Rembrandts verbreiteten Tronien zusam-
men. Wenn Honthorst seine männlichen Auftraggeber
in fiktiven Kostümen darstellte - was nicht sehr oft
vorkam -, wählte er dagegen beinahe ausnahmslos eine
antikisierende bzw. (pseudo-) römische Rüstung [Kat.
242, Taf. 51].119 Ein weiterer Unterschied der Werke be-
steht in der malerischen Vortragsweise. Gegenüber der
sorgfältigen Ausführung von Honthorsts Bildnissen
weisen bürgerliche Porträts in Tronietracht häufig eine
wesentlich unkonventionellere Malweise auf, die, wie
bereits dargelegt, an die künstlerische Gestaltung von
Tronien erinnert.

Weniger auffällig sind die Unterschiede zwischen
Honthorsts weiblichen Bildnissen in einer an seinen
Historien und Pastoralen orientierten Phantasie-
tracht und den weiblichen Porträts in Tronie-Manier.
Auch hier gibt es jedoch im Einzelnen Differenzen.
Die bürgerlichen Kostümporträts zeigen beispiels-
weise kein oder ein weniger tiefes Dekollete als die
höfischen Bildnisse. Stattdessen tragen die darge-
stellten Frauen häufig das auch für Tronien typische
hochgeschlossene weiße Hemd mit enger Fältelung
[Kat. 44, Taf. XXII, 8, Kat. 51, Taf. 9]. Ein weiteres,
wiederholt auftretendes Element ihrer Tracht sind
die kurzen, oft als kleine Puffärmel gestalteten Är-
mel des Kleides, die mit einem verzierten Bündchen
abschließen, sowie die darunter zum Vorschein kom-
menden weiten Ärmel des Hemdes [Kat. 53, Taf. XI,
10, Kat. 422, Taf. XXIII, 89]. Honthorst bevorzugte
dagegen längere und am Oberarm sehr viel volumi-
nösere Kleiderärmel [Kat. 235, Taf. XVII, 51]. Auch
ist das Kleid bei einigen seiner weiblichen Bildnis-
se der vierziger Jahre an der Schulter mit einer oder
zwei Reihen zungenförmiger Ansätze versehen [Kat.
243, Kat. 244, Taf. 51].120 Im bürgerlichen Kostüm-
porträt kommt dieses Motiv dagegen nicht vor.
Bedeutsam ist weiterhin, dass sich Honthorsts
Kostümbildnisse wie auch portraits histories adliger
Auftraggeberinnen auf junge Frauen oder solche mitt-
leren Alters beschränken. Darstellungen alter Frauen
in Phantasietracht, die mit einem Porträt wie Ferdinand
Bois Bildnis einer 81-jährigen Frau in Phantasietracht
(St. Petersburg, Eremitage) [Kat. 54, Taf. 10] zu ver-
gleichen wären, kommen nicht vor. Ebenso wenig
gehören Kostüme, die auch nur entfernte Ähnlichkeit
mit demjenigen der Greisin Bois besitzen, zum Reper-
toire der höfischen Porträtmalerei.
Ergeben sich auch hier und da Ähnlichkeiten in
der Gestaltung der Kostüme,121 so ist doch evident,
dass bürgerliche Kostümporträts in der Art der
in Kapitel IV.2.2.1 behandelten Werke porträthaft

119 Vgl. auch Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 332, PI. 222, Kat.
Nr. 356, PI. 247, Kat. Nr. 360, PI. 252, Kat. Nr. 411, PI. 306.
120 Honthorst könnte dieses antikisierende Element während
seines Englandaufenthaltes im Jahr 1628 den Theaterkostü-
men abgeschaut haben, die bei den am englischen Hof üb-
lichen Maskenspielen zum Einsatz kamen. Mehrere hierfür
angefertigte Kostümzeichnungen des englischen Hofarchi-
tekten Inigo Jones (1573-1652) zeigen eine entsprechende
Verzierung des Kleides. Vgl. z.B. Orgel / Strong 1973,
Bd. 1, Kat. Nr. 7, S. 103, Abb. S. 102, Bd. 2, Kat. Nr. 183, S.
439, Abb. S. 447, Kat. Nr. 184, S. 439f., Abb. S. 448. Auch in
gedruckten Kostümbüchern des 16. Jahrhunderts, die The¬

aterkostüme enthalten, findet sich das antikisierende Motiv
der Borte in Form größerer oder kleinerer Stoffzungen, vgl.
Orgel/ Strong 1973, Bd. 1, S. 139, Fig. 9; Gordenker2001,
S. 228, Abb. 65. Allgemein zu den englischen >masques< vgl.
Graham 1981; Holden 1987; Tasch 1999, S. 17-19.
121 Schnitt und Schmuckdetails des Kostüms der Agatha Hasselaer
(1623-1658) von Backer [Kat. 27] erinnern beispielsweise an
das Kostüm Amalias in Honthorsts um 1629 geschaffenem
Bildnis der Amalia van Solms mit ihren beiden ältesten Kin-
dern, 'Willem II und Louise Henriette (Wörlitz, Gotisches
Haus, Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 298, Pl. 185).
 
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