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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0316

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288

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

In ähnlicher Weise zu beurteilen ist ein Bildnis in
dem 1647 auf genommenen Inventar des Textilhändlers
Jan Pietersz. Bruyningh. Das Gemälde wird als »Het
conterfeijtsel van Jan Pietersz. Bruynmgh a antique
mede van S. Coningh met een ebbe lijst«116 beschrie-
ben. Da Salomon Könincks erhaltene Einfiguren-
bilder in reduziertem Ausschnitt und Phantasietracht
ausnahmslos in jener tronietypischen Kostümierung
erscheinen, die Elemente des 16. Jahrhunderts auf-
nimmt, ist davon auszugehen, dass auch das Porträt
Bruyninghs diesem Erscheinungsbild entspricht. Der
Inventareintrag belegt somit auch, dass die phantasie-
voll gekleideten Einfigurenbilder Könincks, die nicht
eindeutig als Tronien zu klassifizieren sind, mitunter
als Bildnisse intendiert waren. So könnte es sich z.B.
bei Könincks 1642 datiertem Mann in Phantasietracht
am Fenster in Lille (Musee des Beaux-Arts) [Kat. 259,
Taf. 55] um em Porträt ä Vantique handeln.
Die Zeitgenossen charakterisierten Kostümpor-
träts in tronieähnlicher Tracht offensichtlich ebenso
wie bestimmte Tronien als >antiek<. Zwar konnten
darüber hinaus auch andere Arten von Bildnissen als
Porträts a Vantique bezeichnet werden. Taucht der
Begriff als beschreibender Zusatz von Einzelbildnis-
sen jedoch in bürgerlichen Inventaren der vierziger
und fünfziger Jahre auf, waren wahrscheinlich Kos-
tümporträts in Tronie-Manier gemeint. Denn zu die-
ser Zeit waren Bildnisse van Dyckscher Prägung und
solche in antikisierender Tracht in der bürgerlichen
Porträtmalerei noch nicht verbreitet. Wird zudem
zusätzlich der Name eines Künstlers vermerkt, der
nachweislich Tronien und/oder mit diesen vergleich-
bare Kostümporträts malte, gewinnt die Beurteilung
der entsprechenden Einträge noch an Sicherheit. Ist
dies nicht der Fall, muss ab den sechziger bzw. sieb-
ziger Jahren damit gerechnet werden, dass der Begriff
>antiek< auch auf Porträts in pseudo-römischer Mili-
tärtracht oder im van Dyckschen >deshabille< bezogen
wurde. Aus diesem Grund werden Kostümporträts
in Tronie-Manier in dieser Studie nicht als >Porträts
a l’antique< bezeichnet. Als Oberbegriff bietet sich
dieser Terminus auch deshalb nicht an, weil die Dar-
gestellten auf den untersuchten Kostümporträts nicht
nur historisierende Kleidung, sondern auch andere
- etwa orientalisierende - Kostümierungen tragen.
116 Amsterdam, Gemeentearchief, Arch. 5073, Inv. Nr. 973,
Akte 4 (Inv. Jan Pietersz. Bruyningh, ursprünglich 1647 in
Amsterdam von dem Notar Johan van Speenhoven aufge-
nommen, erhalten in einer Kopie vom 3.1.1648). Vgl. auch
Dudok van Heel 1980, S. 112; Veen 2006, S. 171.

2.2.3 Entstehung und Vorbilder des bürgerlichen
Kostümporträts in Tronie-Manier
Die Feststellung, dass in den Nördlichen Niederlanden
spätestens ab Ende der 1630er Jahre Porträts gemalt
wurden, die ein mit Tronien vergleichbares Erschei-
nungsbild aufweisen, impliziert, dass die Verbreitung
der Bildaufgabe Tronie als maßgebliche Voraussetzung
für die Entstehung der neuen Form des Porträts zu
begreifen ist. Es ist zu untersuchen, ob dies tatsächlich
der Fall war und wie es zur Entwicklung des bürger-
lichen Kostümporträts in Tronie-Manier kam.
Da Gerard van Honthorst bereits Anfang der
dreißiger Jahre damit begonnen hatte, adlige Auf-
traggeber in Phantasietracht darzustellen, ohne den
Porträtierten durch die Beigabe signifikanter Attri-
bute eine bestimmte Rolle zuzuweisen, könnte man
vermuten, dass eben diese Werke den Malern bür-
gerlicher Kostümporträts und ihren Auftraggebern
als Vorbild dienten. Es ist nicht von der Hand zu
weisen, dass der höfischen Malerei mit Blick auf die
Etablierung einfiguriger Bildnisse in fiktiver Verklei-
dung - seien es Kostümporträts oder portraits histo-
ries - eine Vorreiterrolle in der holländischen Male-
rei des 17. Jahrhunderts zukam.117 Auch Malern, die
nicht in Den Haag ansässig waren, aber - wie z.B.
Rembrandt - Aufträge für den Oranierhof ausführ-
ten, dürften diese Darstellungsmöglichkeiten im
höfischen Bildnis bekannt gewesen sein.118 Zudem
entstanden die höfischen und bürgerlichen Kostüm-
porträts dem Vorgehen der Maler nach in vergleich-
barer Weise, nämlich indem die Künstler eine von
ihnen selbst auch in anderen Bildzusammenhängen
eingesetzte Phantasietracht in die Porträtmalerei
übernahmen: Honthorst griff auf den Motivschatz
seiner Historien zurück; die Maler der bürgerlichen
Kostümporträts kleideten die Dargestellten in Kos-
tüme, die sie auch für ihre Tronien und die Figuren
auf ihren Historienbildern verwandten. Hinsichtlich
des Herstellungsverfahrens von Kostümporträts und
der prinzipiellen Praxis, Auftraggeber in einer nicht
der zeitgenössischen Mode entsprechenden Tracht
darzustellen, ist ein Einfluss der höfischen auf die
bürgerliche Porträtmalerei also durchaus denkbar.

117 Vgl. Wishnevsky 1967, S. 75f.; Kettering 1983, S. 10-16,
63f.; Judson / Ekkart 1999, S. 28-33, 45.
118 Vgl. Dickey 2002, S. 37 u. Anm. 53, S. 214.
 
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