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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0315

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Der Einfluss des Bildtyps Tronie auf die Porträtmalerei

287

>antiek< für die Kostüme der Dargestellten auf Peter
Lelys Bildnissen,107 dass auch die von van Dyck für
Porträts erfundene Form zwangloser Kleidung unter
dieser Bezeichnung gefasst werden konnte.108 Durch
locker drapierte Stoffbahnen, die eine fließende Sil-
houette erzeugen, sowie den Verzicht auf modische
Details wie Spitzenkragen und -manschetten verlieh
van Dyck der Kleidung seiner Auftraggeber einen
informellen Charakter im Sinne des zeitgenössischen
>deshabille< oder >undress< [Kat. 122, Kat. 124, Taf.
25].109 Vor allem in weiblichen Bildnissen fügte der
Maler der Tracht der Porträtierten phantasievolle
Elemente und übertrieben große Schmuckstücke zu
oder versah sie mit Details, die auf die Mode vergan-
gener Zeit zurückgehen.
In den Nördlichen Niederlanden etablierte sich
diese Form der Kostümierung in der Porträtmale-
rei ab den vierziger Jahren und zwar zunächst vor
allem in höfischen Kreisen. Meister wie Gerard van
Honthorst, Adriaen Hanneman und Jan Mijtens fer-
tigten in Den Haag entsprechende Bildnisse adliger
Auftraggeber an.110 Gordenker führt aus, dass sich
der auf van Dyck zurückgehende Kostümtyp ab ca.
1670 auch in der bürgerlichen Porträtmalerei ande-
rer niederländischer Städte ausbreitete:111 Im letzten
Drittel des Jahrhunderts kleideten Maler wie Nico-
laes Maes, Caspar Netscher, Godfried Schalcken und
Adriaen van der Werff ihre Auftraggeber in fließende
Gewänder, die keine Krägen und Manschetten auf-
weisen und wie die englischen Prototypen van Dycks

und Lelys in einer Mischung aus Phantasie und Re-
alität bestehen.112 Allerdings übersieht die Autorin,
dass ein Maler wie Govaert Flinck einige seiner Auf-
traggeberinnen bereits in den 1650er Jahren ähnlich
wie van Dyck in farbigen Satinkleidern ohne Spit-
zenkrägen und oftmals mit einem um die Schultern
drapierten Umhang oder Tuch darstellte."3
Neben den genannten Formen des Porträts wur-
den auch Bildnisse als >antiek< bezeichnet, auf de-
nen die Dargestellten in antiker oder antikisierender
Kleidung präsentiert werden. Gerade männliche
Auftraggeber wählten ab der Mitte des 17. Jahrhun-
derts häufig eine pseudo-römische Militärtracht als
repräsentative Kostümierung.114
Aufgrund der heterogenen Verwendung des
Begriffes >antiek< lässt sich keine gesicherte Aussa-
ge darüber treffen, wie die Tracht der eingangs ge-
nannten, fast ausnahmslos in Inventaren der sieb-
ziger und achtziger Jahre verzeichneten Porträts ä
l’antique beschaffen war. Anders verhält sich dies,
wenn ein Bild nicht nur als >antiek< charakterisiert,
sondern darüber hinaus auch der Maler des Werkes
genannt wird. Prominentes Beispiel hierfür ist
»Rembrants Contrefeijtsel antijcks f 150:-:-,«115 das
1657 im Inventar Johannes de Renialmes verzeich-
net wird. Aufgrund der Kenntnis von Rembrandts
(Euvre kann als gesichert gelten, dass hier eine jener
Selbstdarstellungen aufgeführt ist, die den Maler in
einer an die Mode des 16. Jahrhunderts erinnernden
Kostümierung zeigen.

107 Vgl. oben, Kap. III.3.2, S. 214.
108 Vgl. Groeneweg 1985, S. 420f.; Gordenker 1995, S. 22f.;
Winkel 1998/99, S. 95.
109 Zum Phänomen des >deshabille< bzw. >undress< vgl. Marly
1978; Marly 1980, S. 276-283; Hollander 1978, S. 157-236;
Kettering 1997; Groeneweg 1997/98, S. 210f.; Tasch 1999,
S. 25f.; Gordenker 2001, S. 51—53, 63—65. Zu van Dycks
innovativem Umgang mit der Kleidung der Porträtierten
auf seinen englischen Bildnissen vgl. Marly 1980, S. 271f.;
Groeneweg 1997/98, S. 212-216; Tasch 1999, S. 15-35;
Gordenker 2001.
110 Zum Einfluss der phantasievoll kostümierten Bildnisse van
Dycks auf die höfische Porträtmalerei Hollands vgl. u. a. Kuile
1976, S. 13-17; Marly 1980, S. 272; Groeneweg 1997/98, S.
216; Winkel 1999, S. 89f.; Gordenker 2001, S. 70f. R. Ekkart
in Judson / Ekkart 1999, S. 46, und Gordenker 2001, S. 122,
Anm. 20, betonen Honthorsts Eigenständigkeit als Porträtma¬
ler gegenüber van Dyck. Kaum erklärlich ist allerdings, warum
Ekkart in seinem Beitrag zu Honthorsts Porträtkunst (in Jud-
son / Ekkart 1999, S. 25-M6) nicht näher auf die starke Ähn-
lichkeit der Kostüme vieler weiblicher Bildnisse Honthorsts aus
den vierziger und fünfziger Jahren mit den Phantasiekostümen

der englischen Bildnisse van Dycks eingeht. Für entsprechende
Werke vgl. z.B. Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 316, PI. 204,
Kat. Nr. 367, PI. 259, Kat. Nr. 377, PI. 269, Kat. Nr. 510, PI. 380,
sowie für Vergleichsbeispiele van Dycks Barnes et al. 2004,
Kat. Nr. IV. 16, IV.27, IV.30, IV.36, IV.77, IV.223.
111 Gordenker 2001, S. 74f. Vgl. auch Groeneweg 1985, S.
422.
112 Vgl. Groeneweg 1985, S. 421-423; Gaeittgens 1987, bes. S.
106; Beherman 1988, bes. S. 42; Kettering 1997; Krempel
2000, S. 92-104; WiESEMAN 2002, bes. S. 93, 99-108.
113 Vgl. z.B. Sumowski 1983-1994, Bd. 2, Kat. Nr. 709, 712, Bd.
5, Kat. Nr. 2088, Bd. 6, Kat. Nr. 2285b. Für Vergleichsbei-
spiele van Dycks siehe u. a. Barnes et al. 2004, Kat. Nr. IV.7,
IV.8, IV. 16, IV.22.
114 Vgl. Marly 1975; Marly 1980, bes. S. 273f.; Winkel 1998/99,
S. 94f.; dies, in Kat. Amsterdam 2002/03, S. 96. Als Bildbei-
spiel vgl. Jan Mijtens’ Porträt des Cornelis Maertensz. Tromp
(1629-1691), 134 x 105 cm, bez.: JAMijtens F. / Ao 1668,
Amsterdam, Rijksmuseum, Bauer 2006, Kat. Nr. A105, S.
227-229, Abb. A105, S. 400.
115 Strauss / Meulen 1979, Dok. 1657/2, S. 397, Nr. 297 (Inv.
Johannes de Renialme, Amsterdam 27.6.1657).
 
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