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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0326
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298

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

433] enthält,181 sollte nicht übersehen werden, dass der
zeitgenössische Betrachter es aufgrund des histori-
sierenden Kostüms des Dargestellten unmittelbar als
Werk eines Historienmalers identifizieren konnte.
Der Auftraggeber eines Kostümporträts in Tronie-
Manier erhielt ein Gemälde, das als Werk eines Histo-
rienmalers und damit eines >universalen< Künstlers,182
nicht etwa eines Porträtspezialisten einzustufen war.
In der zeitgenössischen Kunsttheorie wird Ersterem
bekanntlich der höchste Rang unter den Malern zu-
erkannt, während von Letzterem eher abschätzig ge-
sprochen und die künstlerische Mangelhaftigkeit seiner
Tätigkeit konstatiert wird.183 Niederländische Kunst-
liebhaber und -förderer des 17. Jahrhunderts, die zur
Zielgruppe von Malereitraktaten wie denjenigen van
Manders und van Hoogstratens gehörten,184 waren mit
der Bewertung der Historienmalerei als hochrangigs-
ter und anspruchsvollster Aufgabe der Malkunst sowie
dem kunsttheoretischen Postulat der Universalität des
Historienmalers zweifellos vertraut. Ließen sich gebil-
dete Auftraggeber - auf erkennbare Weise - von einem
bekannten Historienmaler darstellen, demonstrierten
sie somit nicht nur die Vorliebe für einen bestimmten
Künstler, sondern auch einen von der intellektuellen
Elite der Nördlichen Niederlande sanktionierten und
damit gehobenen Kunstverstand und -geschmack.
Die Nobilitierung der Dargestellten
Bereits im Zusammenhang mit der Untersuchung des
Einflusses der Gattung Porträt auf den Bildtyp der
Tronie wurde die reiche Phantasietracht von Tronien
als Zeichen dafür gewertet, dass die Dargestellten hoch-
stehende, wenn auch fiktive Persönlichkeiten von Rang
und Bedeutung repräsentieren sollten. Entsprechend
ist davon auszugehen, dass die an Juwelen, Perlen oder
181 Raupp 1984, S. 178, zufolge erlaubte es Rembrandts repräsen-
tative Selbstdarstellung in Auseinandersetzung mit Tizians sog.
Ariost (London, National Gallery) und Raffaels Porträt des Bal-
dassare Castigtione (Paris, Musee du Louvre) »die ideale Paarung
von disegno und colore, von poetischem geest und beleeftheyt
zu demonstrieren.« Die jüngere Forschung sieht das Gemälde
eher als Ausdruck für Rembrandts Streben, sich als ebenbürtigen
Nachfolger der berühmtesten Meister des Nordens, Dürer und
Lucas var^Leyden, darzustellen, vgl. Winkel 2005, S. 77f.
182 Zur Universalität des Historienmalers aus Sicht van Manders
und van Hoogstratens vgl. u. a. Mander / Miedema 1973, Bd.
2, S. 345, 510, 560; Miedema 1981, S. 34-39; Brusati 1992/93,
S. 69f.; Czech 2002, S. 183-187, 267.
183 Vgl. oben, Kap. II.2.2, S. 82.
184 Vgl.Mander/Miedema 1973,Bd.2,S.306;Miedema 1981,S.251,
259f.; Bok 1993/94, S. 142f.; Bok 1994, S. 73; Czech 2002, S. 158f.

Goldschmuck, kostbaren Stoffen und Pelzen reiche
Tracht die Porträtierten auf Kostümbildnissen über
ihren realen Status als niederländische Bürger und Re-
genten hinausheben und an Darstellungen historischer
oder fiktiver Herrscher und Herrscherinnen, Befehls-
haber, Personen edler Abstammung oder besonderer
Weisheit und Gelehrsamkeit erinnern sollte. Dabei war
analog zu den bereits behandelten porträthaften Tro-
nien sicher nicht intendiert, die Auftraggeber in einer
ganz bestimmten Rolle darzustellen. Vielmehr blieben
die Kostümporträts offen für die Assoziationen und In-
terpretationen der Käufer. Gleichwohl fragt sich, wel-
che Vorstellungen und Absichten mit der im Kostüm-
porträt gewählten Form der Nobilitierung verbunden
waren und welche Aussagen sich bezüglich der realen
oder angestrebten Stellung der Dargestellten innerhalb
der (gesellschafts-)politischen und sozialen Hierarchien
der Zeit treffen lassen.
Wie wir gesehen haben, etablierte sich die Einklei-
dung der Dargestellten auf Einzelbildnissen in fikti-
ve Tracht in der holländischen Porträtmalerei des 17.
Jahrhunderts zunächst in Adelskreisen. Orientierten
sich die Maler bürgerlicher Kostümporträts auch
nicht unmittelbar an den entsprechenden höfischen
Vorbildern, so deutet die zumindest typologisch ver-
gleichbare Darstellungsweise doch darauf hin, dass
die Kostümporträts der bürgerlichen Elite zu denje-
nigen des erblichen Adels in Beziehung standen.
Interessanterweise enthalten einige der zur Dis-
kussion stehenden Kostümbildnisse besonders expli-
zite Anspielungen auf die Lebenssphäre der Aristo-
kratie. So zeigt beispielsweise ein wohl in Rembrandts
Umkreis entstandenes Kostümbildnis in Eaton Hall/
Cheshire (Sammlung des Duke of Westminster) [Kat.
482, Taf. 102] einen jungen Mann in Phantasietracht,
mit einem Falken und einem Jagdtäschchen.185 Die
185 Zu dem Bild ist ein weibliches Pendant erhalten {Frau mit Fä-
cher in Phantasie tracht, Eaton Hall/Cheshire, Sammlung des
Duke of Westminster [Kat. 483, Taf. 102]). Blankert 1982, Kat.
Nr. R263, R264, S. 190, bes. Kat. Nr. 22, S. 99, lehnt Gersons
Zuschreibung der Gemälde an Boi in Bredius / Gerson 1969,
Kat. Nr. 224, S. 566, Kat. Nr. 363, S. 578, ab; er hält die Werke
für Arbeiten aus Rembrandts Werkstatt, die Kostüme könnten
ihm zufolge allerdings von Boi gemalt worden sein. Vgl. auch
Liedtke 1993, S. 130. Tümpel 1986; Schwartz 1987; Slatkes
1992, führen die Pendants nicht auf. Die Zuschreibung der
Werke an Rembrandt durch Chr. Brown in Kat. London 1976,
Kat. Nr. 88, 89, S. 72 (vgl. ebenso Roberts 1975, S. 123; Sulli-
van 1994, S. 43f.), wird heute überwiegend abgelehnt. Für die-
se Einschätzung danke ich Herrn Prof. Dr. Christian Tümpel
(Ahrensburg) und Herrn Drs Michiel Franken (Amsterdam,
RRP).
 
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