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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0327

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Der Einfluss des Bildtyps Tronie auf die Porträtmalerei

299

Jagd auf die meisten Tiere gehörte in den Niederlan-
den im 17. Jahrhundert zu den Privilegien, die dem
Adel vorbehalten waren.186 Dabei wurde die Falken-
jagd als vornehmste und sportlichste Art des Jagens
angesehen. Der Porträtierte ließ sich also offensicht-
lich als Angehöriger einer privilegierten Gesellschafts-
schicht darstellen, indem er Anspruch auf ein generell
mit der Aristokratie assoziiertes Vorrecht erhob, das
er in der Realität aller Wahrscheinlichkeit nach nicht
besaß. Dies gilt auch für Aelbert Cuyps phantasievoll
gekleidetes Bildnis eines Mannes mit Federbarett und
Gewehr (Rijksmuseum, Amsterdam) und das dazuge-
hörige Pendant einer 21-jährigen Frau als Jägerin (Pri-
vatbesitz) [Kat. 83-84, Taf. XXIV, 15], die ebenfalls
ein fiktives Kostüm trägt.187 Als Bildnisse ausgewiesen
sind die Werke durch die inschriftliche Altersangabe
»Aetatis. 21« auf dem weiblichen Porträt.188
Als weiteres Beispiel für em Kostümporträt, dass
Assoziationen zu Bildnissen Adliger hervorruft, ist
der Mann mit Harnisch und Federhut in New York
(Metropolitan Museum of Art) [Kat. 484, Taf. XXIV,
102] zu nennen. Die Kombination von Säule (oder
Pfeiler) und Vorhang im Hintergrund eines Porträts
ist ihrer Herkunft nach höfisch geprägt. Sie wurde
bereits im 16. Jahrhundert von Malern wie Tizian
und Anthonis Mor zur Nobilitierung der Bildnis-
se der Habsburger und anderer hochrangiger Per-
sönlichkeiten adligen Geblüts eingesetzt.189 Im 17.
Jahrhundert ließen Rubens und van Dyck das Motiv
wieder aufleben. Rubens nutzte es z.B. für die Dar-
stellung italienischer und spanischer Herrscher und
Adliger.190 Van Dyck setzte die Formel unter ande-
rem in Bildnissen der Angehörigen des englischen

186 Sullivan 1984, S. 33-45, bes. S. 34, 36. Zu holländischen
Jagdporträts vgl. auch Ci-iong 2001/02, S. 37-40; Gorden-
ker 2001/02, S. 55—58. Zur Jagd als Privileg des Adels vgl.
auch Nierop 1993, S. 37f.
187 Zur Kostümierung der Dargestellten vgl. Kat. Washington
/ London / Amsterdam 2001/02, Kat. Nr. 26, 27, S. 144;
Gordenker 2001/02, S. 57f.
188 Kat. Washington / London / Amsterdam 2001/02, Kat. Nr.
26, S. 198.
189 Woodall 1990, S. 35; Woodall 1997, S. 79. Vgl. z. B. Tizians
Porträt von Karl V. sitzend (München, Bayerische Staats-
gemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Wethey 1969-1975,
Bd. 2 (1971), Kat. Nr. 22, PI. 145) sowie Anthonis Mors Por-
trät der Maria de Austria (Madrid, Museo del Prado, Camp-
bell 1990, S. 240, Fig 262).
190 Vgl. z.B. Huemer 1977, Kat. Nr. 7, S. 113f., Fig. 59, Kat. Nr.
33, S. 156-158, Fig. 101, Kat. Nr. 45, S. 174, Fig. 123.

Königshauses und der englischen Aristokratie ein.191
Zwar kommen Säule und Vorhang auch in bürger-
lichen Porträts der Maler vor, doch blieben die tra-
ditionell aristokratischen Konnotationen des Motivs
erhalten.192 Vor allem in Verbindung mit dem Har-
nisch des Dargestellten auf dem New Yorker Ge-
mälde lassen Säule und Vorhang im Hintergrund an
Porträts hochrangiger Adliger denken.193
Die Verwendung höfisch geprägter Motive und
Attribute, die auf einen aristokratischen Lebensstil
oder adlige Privilegien verweisen, deutet darauf hin,
dass sich die Auftraggeber von Kostümporträts mit
aristokratischen Wertvorstellungen identifizierten
oder zumindest Anspruch darauf erhoben, einer so-
zialen und politischen Elite anzugehören wie sie die
Aristokratie repräsentierte.194 Das Kostümporträt
bot die Möglichkeit, in einem der Alltagswelt entho-
benen Bildnis eine Stellung einzunehmen, welche die
Dargestellten in Wirklichkeit nicht inne hatten. Dies
gilt auch für das bereits behandelte Bildnis Adriaen
Vroesens (Rotterdam, Historisch Museum) [Kat. 541,
Taf. XXI, 111]. Vroesen wurde in der Entstehungszeit
des Porträts zum Leutnant der Rotterdamer Schüt-
zengilde ernannt. Ein glatter Stab, wie er ihn in der
Hand hält, ist in Schützenstücken und anderen Bild-
nissen der Zeit jedoch Befehlshabern vorbehalten.195
In seinem Kostümporträt verlieh Vroesen offenbar
höheren Ambitionen oder Vorstellungen vom Wert
der eigenen Person Ausdruck. Durch die Einklei-
dung in ein fiktives Kostüm wurde dabei vermieden,
dass das Porträt in offenem Widerspruch zur realen
Lebenssituation des Dargestellten stand, woraus sich
für diesen Konflikte hätten ergeben können.

191 Vgl. z.B. Anthonis van Dyck, Charles I. (1600-1649) im
Staatsornat, Leinwand, 248,3 x 153,7 cm, bez.: Ant° van dijck
Eques Fecit / CR /1636, London, Royal Collection, Barnes et
al. 2004, Kat. Nr. IV.53. Vgl. außerdem Barnes et al. 2004,
Kat. Nr. IV.53, IV.61, IV.78, IV. 119, IV. 161.
192 Vgl. Barnes et al. 2004, Kat. Nr. 1.103, S. 96, Kat. Nr.
1.106/107, S. 101.
193 Vgl. oben, Kap. IV. 1.1, S. 2491.
194 Wishnevsky 1967, S. 135f., verbindet vergleichbare Absichten
mit dem holländischenportrait historie des 17. Jahrhunderts.
195 Vgl. Kat. Rotterdam 1994/95, Kat. Nr. 69, S. 245. Als Bei-
spiel für das Bildnis eines Befehlshabers, der einen langen,
glatten Stab trägt, vgl. z.B. Gerard van Honthorsts Porträt
von Willem II. und Mary Stuart von 1647 (Amsterdam, Rijks-
museum), Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 301, PI. 186.
 
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