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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0365
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Tronien als Demonstrationsstücke künstlerischer Kreativität

337

Van Hoogstraten bestimmt die Wiedergabe der Re-
flexionen des Lichts als wesentliches Kennzeichen der
Kunst Rembrandts, wenn dessen Art der Lichtbehand-
lung dem ehemaligen Schüler auch gleichzeitig Anlass
zur Kritik bietet:
»Wonderlijk heeft zieh onzen Rembrant in reflexeeringen ge-
queeten, jae het scheen of deze verkiezing van ‘t wederom kaetsen
van eenich licht zijn rechte element was, had hy hem maer wat
beter op de grondregels deezer konst verstaen: want die alleenlijk
op zijn oog en gewaende ondervindinge steunt, begaet dikmaels
feylen, die den spot van leerjongers, ik zwijge van meesters, ver-
dienen.«9 10
Anhand einer Tronie wie der Halbfigur eines alten
Mannes mit Federbarett und Halsberge in Chicago
(Art Institute) [Kat. 402, Taf. IX, 85] führt Rem-
brandt vor, wie unterschiedliche Materialien und
Oberflächen das Licht zurückwerfen - vom weichen
Schimmer des Samtbaretts über das helle Leuchten
des Gesichts bis hin zum Glanz des Metalls der Hals-
berge und dem Funkeln der Goldkette.
Zur Wirkung von Tronien tragen zudem starke
Hell-Dunkel-Kontraste bei sowie die gebündelte
Beleuchtung der wichtigsten Partien der Figuren,
vor allem des Gesichts [Kat. 194, Taf. XIV, 39, Kat.
311-312, Kat. 398, Taf. 84, Kat. 419, Taf. XVII, 88].
Mittels der forcierten innerbildlichen Beleuchtung,
die viele Tronien auszeichnet, wird der Stellenwert,
den die Lichtverteilung im Kunstwerk einnimmt,
deutlich sichtbar gemacht.
Als weitere typische Eigenschaft von Tronien wurde
die wirklichkeitsnahe Schilderung des Gesichts der
Dargestellten genannt, wobei besonders charakteris-
tische Physiognomien bevorzugt und auch hässliche
Züge herausgearbeitet wurden. Es braucht kaum
eigens betont zu werden, dass der getreuen Natur-
nachahmung bei der Beurteilung eines Kunstwerks
im 17. Jahrhundert ein hoher Stellenwert eingeräumt
wurde.12 Darüber hinaus lässt sich jedoch interessan-
terweise belegen, dass der Darstellung des von der

Norm Abweichenden, Zufälligen, Fehlerhaften, Un-
gewöhnlichen, Alten oder Hässlichen gerade in der
Zeit der größten Verbreitung von Tronien, also bis ca.
1660, ein eigener ästhetischer Wert beigemessen wur-
de. Als Indikator für dieses ästhetische Urteil kann
der Bedeutungswandel des Wortes >schilderachtig<
im 17. Jahrhundert dienen. Die Untersuchung dieses
Begriffs ist in unserem Zusammenhang auch deshalb
relevant, weil der Terminus einen Bewertungsmaß-
stab an die Hand gibt, dem die zeitgenössische Beur-
teilung von Tronien folgte.
In der bisherigen Forschung haben sich insbeson-
dere Jan Emmens und Boudewijn Bakker mit der im
17. Jahrhundert üblichen Verwendung des Wortes
>schilderachtig< auseinandergesetzt.11 Allgemein ge-
sprochen bezeichnete man Dinge als >schilderachtig<,
die es wert waren, gemalt zu werden. Das Verständ-
nis davon, für welche Gegenstände dies galt, änderte
sich allerdings im Verlauf des Jahrhunderts funda-
mental. Bakker zufolge ist Karel van Mander der ers-
te niederländische Autor, der den Begriff gebraucht:
Im Zusammenhang mit der Diskussion von Kunst-
werken beziehe er das Wort stets auf Gegenstände
oder Figuren, die nach dem Leben gemalt sind.12
Entscheidend ist hierbei, dass van Manders Konzept
der Naturnachahmung eine von Jan A. Emmens als
>vorklassizistisch< bezeichnete Kunstauffassung zu-
grunde liegt.13 Diese gehe davon aus, »dat de >imi-
tatie< op zichzelf >vermakelijk< is«,14 so dass sowohl
die Darstellung des Schönen, Ebenmäßigen als auch
des Hässlichen, Ungeformten als >schilderachtig< be-
trachtet werden konnte. Als grundsätzliches Ziel der
Malerei wurde die unbeschönigende und damit nach
Wahrhaftigkeit strebende Wiedergabe des Naturvor-
bildes, unabhängig von dessen jeweiligem Erschei-
nungsbild, angesehen.15
Demgegenüber erhoben klassizistisch orientierte
Autoren der zweiten Jahrhunderthälfte, wie z. B. Jan
de Bisschop oder Gerard de Lairesse, die Forderung,
dass die Künstler für ihre Bildschöpfungen nur die
schönsten Teile der Natur auswählen und sich aus-

9 Hoogstraten 1678, S. 273.
10 Vgl. u.a. Hoogstraten 1978, S. 25; Emmens 1968, S. 129-131;
Mander / Miedema 1973, Bd. 2, S. 308, 435-437, Nr. II 14f,
II 15b, S. 450, Nr. IV 4d-e, S. 558f.; Bialostocki 1984; Bren-
ninkmeyer-de Rooij 1984, S. 67; Sluijter 1988b, S. 19-23;
Vries 1991; Weber 1991; Czech 2002, S. 230-247.
11 Emmens 1968, S. 124-134; Bakker 1995. Bakkers Aufsatz
erschien bereits 1994 in Eck 1994. Abgesehen von Bakkers
Beitrag und einem Aufsatz von Karel Bostoen zur Rol-
le des >schilderachtigen< im Werk Brederos befasst sich der

Aufsatzband mit dem Gebrauch des Wortes im 18. und 19.
Jahrhundert und ist daher in unserem Zusammenhang von
sekundärem Interesse.
12 Bakker 1995, S. 148-152.
13 Emmens 1968, S. 128f.
14 Emmens 1968, S. 129. Emmens zufolge geht diese Vorstellung
auf die Theorien Aristoteles’ zurück.
15 Zur zeitgenössischen Forderung nach »unbeschönigender
Darstellung« vgl. Weber 1991, S. 115-128.
 
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