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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0370
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Bedeutung, Funktion und Wertschätzung von Tronien

haber, die sich an der Vielfalt jeweils individueller
Gestaltungsweisen erfreuten, wie van Hoogstraten
bekräftigt, und positionierten sich gleichzeitig auf
dem Kunstmarkt, indem sie sich von der Konkur-
renz unterschieden.51
Tronien erweisen sich gerade aufgrund der Re-
duktion des Darstellungsgegenstandes als ausge-
sprochen geeignet dafür, den Stil eines Meisters zu
exemplifizieren. Der Bildgegenstand setzt keine tie-
fer gehenden literarischen, historischen oder theolo-
gischen Kenntnisse voraus, so dass das Augenmerk
des Betrachters vor allem auf die >Machart< der Ge-
mälde gelenkt wird. Zudem können Tronien hinsicht-
lich des Sujets als durchaus charakteristische Werke
ihrer Schöpfer gelten, anhand derer die Demonstra-
tion einer bestimmten Manier besonders sinnfällig
wird: Wie wir gesehen haben, wurden Tronien in der
Regel von Historien- oder Genremalern produziert,
und der wichtigste Bestandteil dieser Gattungen war
natürlich die menschliche Figur;52 als edelster Teil der
Figur wiederum galt der Kopf.53 Darüber hinaus be-
stand eine der zentralen Aufgaben der Figurenmale-
rei darin, die Affekte und Charaktereigenschaften der
agierenden Personen zum Ausdruck zu bringen. In
ihrer Eigenschaft als Kopfstücke sowie als Charakter-
und Affektdarstellungen repräsentieren Tronien so-
mit eine Art >Kondensat< oder eine >Abbreviatur< der
Figurenmalerei. Dies gilt nicht nur für den Gegen-
stand als solchen, sondern auch für die stilistischen
Aspekte der Werke: In einer Tronie konnte die indi-
viduelle Handschrift eines Figurenmalers in verdich-
teter Form zur Anschauung gebracht werden, indem
er sie gerade an dem künstlerisch am schwierigsten
umzusetzenden Teil einer Figur vorführte.
Interessant sind in diesem Zusammenhang drei
Tronien, die Rembrandt in Leiden um 1630 auf klei-
ne, vergoldete Kupfertafeln malte: der Lachende
51 Vgl. Montias 1990, S. 51. Krempel 2000, S. 111, weist darauf
hin, dass Rembrandt sich Houbraken zufolge »absichtlich
eine ungewöhnliche Malweise angeeignet [habe], um nicht
mit den großen italienischen u.a. Malern verglichen werden
zu können.« Vgl. Houbraken 1753, Bd. 1, S. 273.
52 Van Mander bezeichnet die Darstellung einer menschlichen
Figur als »het besonderste deel der Consten.« Mander / Mie-
dema 1973, Bd. 1, S. 44 (fol. 5v, Z. 32-34). Vgl. auch Mander
/ Miedema 1973, Bd. 2, S. 342, Nr. 5v, r. 32-33.
53 Vgl. Hoogstraten 1678, S. 117: »Gelijk dan het hooft het
voornaemste deel des lichaems is [...].«
54 Schatborn 1986, S. 61. Vgl. auch Vries et al. 1978, Kat.
Nr. 2, S. 53; Kat. Stockholm 1992/93, Kat. Nr. 49-53, S.
180-185; Kat. London / Den Haag 1999/2000, Kat. Nr.
18, S. 122; Kat. Den Haag 2004a, Kat. Nr. 46, S. 200-204.

Soldat in Den Haag (Mauritshuis) [Kat. 392, Taf. V,
83], die Tronie einer Betenden alten Frau in Salz-
burg (Residenzgalerie) [Kat. 393, Taf. I, 83] und
das >Selbstbildnis< in Stockholm (Nationalmuseum)
[Kat. 396]. Peter Schatborn weist darauf hin, dass
Rembrandt hier für drei unterschiedliche Figuren-
typen drei verschiedene Techniken der malerischen
Ausführung gewählt habe.54 Tatsächlich ist der Sol-
dat in skizzenhaft-rauer Manier wiedergegeben, die
alte Frau dagegen detailliert, mit feinen kurzen Stri-
chen und das >Selbstbildnis< malerisch-weicher mit
verschmelzenden Übergängen. Dadurch, dass die
Bilder auf Kupfer gemalt sind, kommt der jeweils
vorgeführte Malstil Schatborn zufolge besonders zur
Geltung.55 Ernst van de Wetering stellt einen Bezug
her zwischen den drei Tronien und der in der anti-
ken Dichtungslehre begründeten Tradition der drei
je nach behandeltem Sujet einzusetzenden »genera
dicendi«, die Vergil als »stilus humilis«, »mediocris«
und »gravis« bezeichne.56 Rembrandt demonstriere in
den drei Gemälden seine Fähigkeit, sich abhängig vom
Figurentyp unterschiedlicher Malstile zu bedienen.57
Die Tronien exemplifizieren damit in besonderer Wei-
se die malerische Virtuosität des Meisters.
Die These, dass Tronien den Stil eines Künst-
lers veranschaulichten und als eine Art Abbreviatur
fungierten, lässt sich mit Blick auf Werke flämischer
Genremaler, in denen Tronien als Bilder im Bild Ver-
wendung finden, stützen und um eine interessante
Facette erweitern.58 An den Wänden oder Kamin-
simsen mancher Interieurszenen von Adriaen Brou-
wer und David Teniers d.J. sind ungerahmte Blät-
ter befestigt, auf denen Köpfe oder Brustbilder von
Bauern zu sehen sind. Die monochrome Farbgebung
der Bilder sowie ihre skizzenhafte Ausführung deu-
ten darauf hin, dass sie Zeichnungen vorstellen sol-
len.59 Besonders im CEuvre Teniers’ gehören solche
Zu Rembrandts Verwendung vergoldeter Kupferplatten als
Bildträger vgl. Roscam Abbing 1999, S. 45-48.
55 Zur Funktion der drei Tronien als Vorlagen und Übungsma-
terial für Rembrandts Schüler vgl. Hirschfelder 2006, bes.
S. 131f.
56 Wetering 2005b, S. 166-171.
57 Zum Modusproblem in der bildenden Kunst vgl. auch
Bialostocki 1961.
58 Zum Phänomen des >Bildes im Bild< in der holländischen
Malerei vgl. Weber 1994; Beaujean 2001.
59 Zu erhaltenen Zeichnungen Teniers’, die Bauern in Halbfigur
zeigen, vgl. Kat. Antwerpen 1991, Kat. Nr. 123A/B, 124, S.
315f.; Klinge 1997, S. 157f., Abb. 40-42, S. 159, Kat. Nr.
40-42, S. 248f.
 
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