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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0371

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Tronien als Demonstrationsstücke künstlerischer Kreativität

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im Bild angebrachten Tronien ausgesprochen häufig
zur Ausstattung der Interieurs. Sie zeigen dieselben
Figurentypen, die als Bildpersonal in Teniers’ Genre-
szenen figurieren. So weist z.B. der oben zum Fens-
ter hereinblickende Bauer auf Teniers’ 1636 gemaltem
Besuch heim Dorfarzt^ in Budapest (Szepmüveszeti
Museum) [Kat. 519, Taf. XVI] frappante Ähnlichkeit
mit dem Brustbild des Bauern auf, der auf demselben
Bild auf einem an die Wand des Raumes gehefteten
Blatt Papier dargestellt ist. Die Datierung des Ge-
mäldes findet sich interessanterweise auf dem Blatt
mit der Tronie - ein Kunstgriff, den Teniers auch auf
anderen Genrebildern einsetzte. Offenbar fungierten
die im Bild angebrachten Zeichnungen von Tronien
gleichsam als >Signatur<. Für diese Annahme spricht
der Aussagewert, den die Tronien sowohl hinsicht-
lich der Qualifikation und Arbeitsweise des Malers
als auch bezüglich der Qualitäten des jeweiligen Ge-
mäldes besitzen, in dem sie erscheinen. Als treffsichere
Studien von Bauern geben die in Teniers’ Genrebilder
eingefügten Tronien Auskunft über die Befähigung
des Malers zur Charakterdarstellung und damit sein
Talent als Genremaler, als der er sich in seinen Inte-
rieurszenen präsentiert. Zudem konfrontieren sie den
Betrachter stets mit Gesichtern von Bauern, die als
besonders hässlich zu beschreiben sind. Damit sind
sie im Sinne eines werkimmanenten Kommentars zu
begreifen. Denn die dargestellten Szenen führen dem
Betrachter nichts anderes vor Augen als den Charak-
ter und das Verhalten von Bauern, das sich in aller
Regel als lasterhaft und närrisch erweist und in seiner
moralischen Verwerflichkeit nach zeitgenössischer
Vorstellung der Hässlichkeit der Akteure entspricht.
Des Weiteren sind die ins Bild eingefügten Tronien
auch deshalb als kommentierende Zutat des Malers zu
lesen, weil sie darauf verweisen, dass ihr Schöpfer sich
mit Hilfe der Zeichnung im Studium nach dem Leben
übte, ehe er sein Gemälde ausführte. Damit wird sug-

geriert, dass auch die dargestellte Szene unmittelbar
der Natur abgeschaut ist. In der Naturnachahmung
aber und mehr noch der Wiedergabe von >Realität<
besteht ein wesentliches Qualitätskriterium und Stil-
merkmal der Genremalerei,60 61 auf dessen Einlösung
durch das Einfügen der (scheinbar) nach dem Leben
gezeichneten Tronie Anspruch erhoben wird.
Signifikant ist in diesem Zusammenhang die in
Teniers’ Genrebildern gelegentlich anzutreffende
Konfrontation einer gezeichneten Tronie mit einem
>realen< Bauernkopf.62 Auf dem Gemälde Le Bonnet
vert in Madrid (Museo Thyssen-Bornemisza) [Kat.
518] beispielsweise ist der Zeichnung einer Bauern-
tronie, die am Kamin rechts im Bild befestigt ist, auf
nahezu gleicher Höhe der Kopf eines Bauern ge-
genübergestellt, der durch ein Fenster links im Bild
schaut.63 Kunst und Leben treffen hier aufeinander,
wobei die Zeichnung als im Bild dargestelltes Pro-
dukt des Künstlers auf den Kunstcharakter des ge-
samten Gemäldes und damit auch des gemalten Bau-
ernkopfes im Fenster zurückverweist. Gleichzeitig
unterstreicht sie die Bedeutung des Naturvorbildes
für die Kunst im Allgemeinen und die dargestellte
Szene im Besonderen. Schließlich führt die Tronie
in ihrer Eigenschaft als Zeichnung den Stil und die
Handschrift des Meisters in besonders unmittelbarer
Weise vor Augen,64 wobei auch hier wieder mit einer
Illusion gespielt wird, da es sich ja in Wirklichkeit
um eine >gemalte Zeichnung< handelt.
Teniers versah seine Genreszenen mit einem für
die Kunst des Genremalers typischen und für sein
diesbezügliches Können aussagekräftigen Kennzei-
chen, das er wie einen Stempel oder eine Signatur
einsetzte. Als solche konnten die gezeichneten Tro-
nien nur deshalb gelten, weil sie unverwechselbare
Eigenschaften und Charakteristika der Kunst des
Meisters und dabei insbesondere seine individuelle
Handschrift widerspiegeln.65 Hochinteressant sind

60 Für eine allgemeine Deutung des Bildes vgl. Klinge in Kat.
Antwerpen 1991, Kat. Nr. 14, S. 60.
61 Vgl. Raupp 1983, bes. S. 403.
62 Vgl. Kat. Antwerpen 1991, Kat. Nr. 12-14, S. 54-61, Kat.
Nr. 32, S. llOf.
63 Zu dem Gemälde vgl. Kat. Antwerpen 1991, Kat. Nr. 13, S.
56f.; Kat. Karlsruhe 2005/06, Kat. Nr. 12, S. 114f.
64 Gerade in der Zeichnung bzw. im skizzenhaften Entwurf
spiegelten sich Idee und Intention eines Künstlers nach zeit-
genössischer Vorstellung besonders unmittelbar wider, vgl.
Held 1963, S. 85-89. Deutlich wird dies etwa bei Junius; ihm
zufolge sehen die Kunstkenner in »naked and undisguised
lineaments what beautie and force there is in a good and pro-

portionable designe; but they doe likewise see in them the
very thoughts of the studious Artificer.« Junius / Aldrici-i
/ Fehl 1991, S. 239. Junius’ Auffassung ist freilich dem von
Vasari geprägten Konzept des disegno verpflichtet. Vgl. zu
diesem u.a. Kemp 1974; Günther 1999, S. 148-154. Zum
Prinzip ingeniöser Skizzenhaftigkeit vgl. Kanz 2002, S. 217-
225.
65 Bemerkenswerterweise enthält Teniers’ zeichnerisches CEuvre
keine vergleichbaren Bauernköpfe, sondern nur einige weni-
ge, mit Attributen versehene Halbfiguren. Vgl. oben, S. 342,
Anm. 59. Auf die im Bild angebrachten Zeichnungen geht M.
Klinge in ihrer Studie zu Teniers’ Zeichnungen leider nicht
ein, vgl. Klinge 1997.
 
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