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Die prähistorische Kunst in Europa.
thago räumlich und geistig näher als die Länder und Völker der Nord-
und Ostsee.
Man kann in der Geschichte Europas drei alte Perioden unterscheiden:
ein Zeitalter des natürlichen Zusammenhanges mit anderen Gliedern der
Mittelmeerwelt (es liegt in der Ferne der geologischen Vergangenheit), ein
Zeitalter isolierter Existenz und eine Zeit des kulturellen Zusammenhanges,
worin Südeuropa und jene anderen Glieder die bekannte antike Einheit
bildeten. Das Zeitalter natürlicher und kultureller Abgeschlossenheit ist das
des älteren Alluviums. In dieser Zeit herrschte nicht mehr, wie im Quartär,
eine andere Verteilung von Wasser und Land als heute, aber doch eine
andere Wirkungskraft des Bodens und der Gewässer als in den geschicht-
lichen Zeiten des Altertums. Erst in diesen letzteren entfaltete das Mittel-
meer seine zusammenfassende Wirkung und zerfiel Europa dadurch in jene
scharf getrennten Abschnitte. Vorher waren die Schattierungen seines
Kulturbildes mehr von inneren Verhältnissen als von der Weltlage des Kon-
tinents bestimmt.
Denn die Meere, die Europa fast auf allen Seiten umgeben, waren in
der Vorzeit nicht, was sie heute sind. Im historischen Altertum und im
Mittelalter wurde der Verkehr durch Binnenmeere gefördert, durch Ozeane
gehemmt. Vorher aber gab es eine Zeit, in der auch die Binnenmeere brach
lagen, wie viel länger die Weltmeere. In langen vorgeschichtlichen Perioden
fesselten die Küstenstriche nur arme Fischer und Muschelsammler; kräftiger
gedieh der jeweilige Kulturstand im Binnenland, in den fruchtbaren Fluß-
niederungen. Deshalb datiert der Vorsprung des südlichen vor dem mittleren
und nördlichen Europa aus verhältnismäßig später Zeit. Man läßt ihn gern
zusammenfallen mit der Ausbreitung jenes Typus der weißen Rasse, den man
„teutonisch“, „nordisch“ oder „indogermanisch“ nennt und am liebsten im
Umkreis der westbaltischen Länder entstanden denkt.
Weil nun das südliche Binnenmeer für Europa lange Zeit ohne höhere
Bedeutung war, entwickelten sich die ältesten europäischen Kulturen, die der
älteren und der jüngeren Steinzeit — künstlerisch wenigstens — ganz oder
größtenteils unabhängig und selbständig nach Maßgabe der in den Binnen-
ländern herrschenden Verhältnisse. Das gleiche geschah in den Nachbar-
kontinenten. Allein in Flußgebieten wie denen des Nil, des Euphrat und
des Tigris wuchs die Binnenlandkultur schneller zu höheren Stufen empor
als an der Donau und am Rhein. Dadurch wurde Europa rückständig und
für einige Zeit dem Morgenlande tributär. Erst in historischer Zeit wurde
es ein Mutterschoß führender Kulturformen für die ganze Erde. Die Lage
und Beschaffenheit Europas sind der gesonderten Ausbildung, der langen,
selbstherrlichen Entwicklung eigener Kulturformen stets überaus günstig
gewesen. Deshalb erreichten einzelne Regionen dieses Kontinentes be-
merkenswerte Höhepunkte, gerade auch im Bereich der bildenden Kunst:
die paläolithische Tierzeichnung Westeuropas, die neolithische Ornamentik
des mittleren, die bronzezeitliche des nördlichen Europa, —- ganz abgesehen
von den viel höheren Kulturgipfeln des Südens. Darauf gründet sich jener
Die prähistorische Kunst in Europa.
thago räumlich und geistig näher als die Länder und Völker der Nord-
und Ostsee.
Man kann in der Geschichte Europas drei alte Perioden unterscheiden:
ein Zeitalter des natürlichen Zusammenhanges mit anderen Gliedern der
Mittelmeerwelt (es liegt in der Ferne der geologischen Vergangenheit), ein
Zeitalter isolierter Existenz und eine Zeit des kulturellen Zusammenhanges,
worin Südeuropa und jene anderen Glieder die bekannte antike Einheit
bildeten. Das Zeitalter natürlicher und kultureller Abgeschlossenheit ist das
des älteren Alluviums. In dieser Zeit herrschte nicht mehr, wie im Quartär,
eine andere Verteilung von Wasser und Land als heute, aber doch eine
andere Wirkungskraft des Bodens und der Gewässer als in den geschicht-
lichen Zeiten des Altertums. Erst in diesen letzteren entfaltete das Mittel-
meer seine zusammenfassende Wirkung und zerfiel Europa dadurch in jene
scharf getrennten Abschnitte. Vorher waren die Schattierungen seines
Kulturbildes mehr von inneren Verhältnissen als von der Weltlage des Kon-
tinents bestimmt.
Denn die Meere, die Europa fast auf allen Seiten umgeben, waren in
der Vorzeit nicht, was sie heute sind. Im historischen Altertum und im
Mittelalter wurde der Verkehr durch Binnenmeere gefördert, durch Ozeane
gehemmt. Vorher aber gab es eine Zeit, in der auch die Binnenmeere brach
lagen, wie viel länger die Weltmeere. In langen vorgeschichtlichen Perioden
fesselten die Küstenstriche nur arme Fischer und Muschelsammler; kräftiger
gedieh der jeweilige Kulturstand im Binnenland, in den fruchtbaren Fluß-
niederungen. Deshalb datiert der Vorsprung des südlichen vor dem mittleren
und nördlichen Europa aus verhältnismäßig später Zeit. Man läßt ihn gern
zusammenfallen mit der Ausbreitung jenes Typus der weißen Rasse, den man
„teutonisch“, „nordisch“ oder „indogermanisch“ nennt und am liebsten im
Umkreis der westbaltischen Länder entstanden denkt.
Weil nun das südliche Binnenmeer für Europa lange Zeit ohne höhere
Bedeutung war, entwickelten sich die ältesten europäischen Kulturen, die der
älteren und der jüngeren Steinzeit — künstlerisch wenigstens — ganz oder
größtenteils unabhängig und selbständig nach Maßgabe der in den Binnen-
ländern herrschenden Verhältnisse. Das gleiche geschah in den Nachbar-
kontinenten. Allein in Flußgebieten wie denen des Nil, des Euphrat und
des Tigris wuchs die Binnenlandkultur schneller zu höheren Stufen empor
als an der Donau und am Rhein. Dadurch wurde Europa rückständig und
für einige Zeit dem Morgenlande tributär. Erst in historischer Zeit wurde
es ein Mutterschoß führender Kulturformen für die ganze Erde. Die Lage
und Beschaffenheit Europas sind der gesonderten Ausbildung, der langen,
selbstherrlichen Entwicklung eigener Kulturformen stets überaus günstig
gewesen. Deshalb erreichten einzelne Regionen dieses Kontinentes be-
merkenswerte Höhepunkte, gerade auch im Bereich der bildenden Kunst:
die paläolithische Tierzeichnung Westeuropas, die neolithische Ornamentik
des mittleren, die bronzezeitliche des nördlichen Europa, —- ganz abgesehen
von den viel höheren Kulturgipfeln des Südens. Darauf gründet sich jener