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Der Südosten und die Kulturkreise der Bronzezeit.
ausgeschaltet. Kunst- und kulturgeschichtlich äußert sich der Zusammenhang
der Bronzezeit Italiens mit der vorhergehenden Kupferzeit der nordöstlich
angrenzenden Gebiete in zahlreichen auffallenden Ähnlichkeiten zwischen
Terramarafunden der Poebene und ostalpinen Pfahlbaufunden. Nur einiges
davon sei hier angeführt (vgl. die Abbildungen S. 353, untere Hälfte).
Auf einem Tongefäß aus Gorzano58) wechseln konzentrische Halbkreisfiguren mit
quadratischen Fenster gittern, auf einem anderen aus Castione „Sonnenfiguren“ mit rhom-
bisch und kreisförmig umrandeten Buckeln. Sonstige Parallelen zwischen den beiden Gebieten
liegen außerhalb der Sphäre der bildenden Kunst: Daumenschutzplatten der Bogenschützen,
gewisse gemuschelte Dolche, Lanzenspitzen und Krummesser, die in den Pfahlbauten von
Laibach usw. der Kupferzeit, in Oberitalien der Bronzezeit angehören. Andere Parallelen mit
der Kupferzeit der Ostalpen liegen wieder auf dem Gebiete der Ornamentik, sind aber
schwierig zu deuten, da sie in Italien nicht mehr der Bronzezeit, sondern schon der ersten
Eisenzeit angehören. Mit richtigem Blicke fand sich Virchow (ZfEV. 1887, 550) angesichts der
Laibacher Keramik (vgl. S. 347 obere Hälfte) „durch gewisse Einritzungen, wie schiefe
Fenster, an etruskisches Gerät aus Mittel- und Süditalien erinnert“. Im oberitalischen
Villanovastil erscheinen Kreuz- und Treppenmuster und mit Kreuzen gefüllte Quadrate von
großer Ähnlichkeit mit solchen aus dem Laibacher Moor.59) Ein direkter Zusammenhang ist
hier, des zeitlichen Abstandes wegen, nicht anzunehmen, vielleicht aber die Vermittlung des
Ornamentsystems auf einem Umweg über Griechenland und Unteritalien.
Das dritte Element ist das ägäisch-mykenische, dessen Einwirkungen,
soweit sie in künstlerischen Arbeiten nachweisbar sind, auf Sizilien und
Unteritalien beschränkt blieben.60) Auf die eigene Plastik und Zeichnung
in Ton übte dieser Import so gut wie gar keinen Einfluß aus. Die Tonfiguren
und Tierzeichnungen aus den Gräbern von Thapsos61) erscheinen neben den
mykenischen Vasen und Bronzen von äußerster Boheit, jedenfalls um kein
Haar besser als ein Paar neolithische Tonfiguren von Mensch und Tier aus
dem Wohnplatz von Stentjnello bei Syrakus und anderen Fundorten Siziliens
und Italiens (Villafrati bei Palermo, Höhle delle arene candide in Ligurien,
vgl. S. 307, Fig. 1, 2).
Italien war also im zweiten Jahrtausend v. Chr. arm an eigenen Stil-
schöpfungen, nicht nur ärmer als Ostgriechenland, sondern sogar ärmer als
Ungarn und Nordeuropa. Es teilte diese Armut mit Westeuropa, und nicht
mit Unrecht erblickte Sophus Müller (Urgeschichte Europas 84. 87) in Italien
die Basis der westeuropäischen Bronzezeit, hauptsächlich wegen des beiden
Gebieten gemeinsamen Fehlens der Spiraldekoration und anderer ornamen-
taler Motive höherer Ordnung. Die reichsten Ornamente auf Bronzen Frank-
reichs, Englands und der Schweiz bewegen sich im Formenkreise des neo-
lithischen und kupferzeitlichen Bahmenstils Mitteleuropas, der Glocken-
becher usw., wie schon oben S. 200, 202 f.) bemerkt wurde.
58) Montelius, Civ. prim. I. B., Taf. 18, Fig. 15.
59) Vgl. Böhlau, Zur Ornamentik der Villanovaperiode, S. 15, Fig. 5.
eo) Montelius, Die vorklassische Chronologie Italiens, 148, Fig. 322—328. (Mykenische
Tongefäße und Bronzen aus Sizilien. Die Literatur dazu s. ebenda 154, Note 1, die Literatur
über Mykenisches vom italischen Festland, ebenda 149, Note 1.) Über Sizilien vgl. außer den
Arbeiten Orsis namentlich auch G. A. Colini, La civiltä del bronzo in Italia II, 1905.
61) P. Orsi, Thapsos, necropoli Sicula con bronzi e vasi Micenei, Mon. ant. acc. Line.
VI, 1895, Taf. IV, 4, 5, 14; V, 5, 11. — Tonfiguren von Stentinello: ΒρΙ. XVI, Taf. VI, 9, 14.
Der Südosten und die Kulturkreise der Bronzezeit.
ausgeschaltet. Kunst- und kulturgeschichtlich äußert sich der Zusammenhang
der Bronzezeit Italiens mit der vorhergehenden Kupferzeit der nordöstlich
angrenzenden Gebiete in zahlreichen auffallenden Ähnlichkeiten zwischen
Terramarafunden der Poebene und ostalpinen Pfahlbaufunden. Nur einiges
davon sei hier angeführt (vgl. die Abbildungen S. 353, untere Hälfte).
Auf einem Tongefäß aus Gorzano58) wechseln konzentrische Halbkreisfiguren mit
quadratischen Fenster gittern, auf einem anderen aus Castione „Sonnenfiguren“ mit rhom-
bisch und kreisförmig umrandeten Buckeln. Sonstige Parallelen zwischen den beiden Gebieten
liegen außerhalb der Sphäre der bildenden Kunst: Daumenschutzplatten der Bogenschützen,
gewisse gemuschelte Dolche, Lanzenspitzen und Krummesser, die in den Pfahlbauten von
Laibach usw. der Kupferzeit, in Oberitalien der Bronzezeit angehören. Andere Parallelen mit
der Kupferzeit der Ostalpen liegen wieder auf dem Gebiete der Ornamentik, sind aber
schwierig zu deuten, da sie in Italien nicht mehr der Bronzezeit, sondern schon der ersten
Eisenzeit angehören. Mit richtigem Blicke fand sich Virchow (ZfEV. 1887, 550) angesichts der
Laibacher Keramik (vgl. S. 347 obere Hälfte) „durch gewisse Einritzungen, wie schiefe
Fenster, an etruskisches Gerät aus Mittel- und Süditalien erinnert“. Im oberitalischen
Villanovastil erscheinen Kreuz- und Treppenmuster und mit Kreuzen gefüllte Quadrate von
großer Ähnlichkeit mit solchen aus dem Laibacher Moor.59) Ein direkter Zusammenhang ist
hier, des zeitlichen Abstandes wegen, nicht anzunehmen, vielleicht aber die Vermittlung des
Ornamentsystems auf einem Umweg über Griechenland und Unteritalien.
Das dritte Element ist das ägäisch-mykenische, dessen Einwirkungen,
soweit sie in künstlerischen Arbeiten nachweisbar sind, auf Sizilien und
Unteritalien beschränkt blieben.60) Auf die eigene Plastik und Zeichnung
in Ton übte dieser Import so gut wie gar keinen Einfluß aus. Die Tonfiguren
und Tierzeichnungen aus den Gräbern von Thapsos61) erscheinen neben den
mykenischen Vasen und Bronzen von äußerster Boheit, jedenfalls um kein
Haar besser als ein Paar neolithische Tonfiguren von Mensch und Tier aus
dem Wohnplatz von Stentjnello bei Syrakus und anderen Fundorten Siziliens
und Italiens (Villafrati bei Palermo, Höhle delle arene candide in Ligurien,
vgl. S. 307, Fig. 1, 2).
Italien war also im zweiten Jahrtausend v. Chr. arm an eigenen Stil-
schöpfungen, nicht nur ärmer als Ostgriechenland, sondern sogar ärmer als
Ungarn und Nordeuropa. Es teilte diese Armut mit Westeuropa, und nicht
mit Unrecht erblickte Sophus Müller (Urgeschichte Europas 84. 87) in Italien
die Basis der westeuropäischen Bronzezeit, hauptsächlich wegen des beiden
Gebieten gemeinsamen Fehlens der Spiraldekoration und anderer ornamen-
taler Motive höherer Ordnung. Die reichsten Ornamente auf Bronzen Frank-
reichs, Englands und der Schweiz bewegen sich im Formenkreise des neo-
lithischen und kupferzeitlichen Bahmenstils Mitteleuropas, der Glocken-
becher usw., wie schon oben S. 200, 202 f.) bemerkt wurde.
58) Montelius, Civ. prim. I. B., Taf. 18, Fig. 15.
59) Vgl. Böhlau, Zur Ornamentik der Villanovaperiode, S. 15, Fig. 5.
eo) Montelius, Die vorklassische Chronologie Italiens, 148, Fig. 322—328. (Mykenische
Tongefäße und Bronzen aus Sizilien. Die Literatur dazu s. ebenda 154, Note 1, die Literatur
über Mykenisches vom italischen Festland, ebenda 149, Note 1.) Über Sizilien vgl. außer den
Arbeiten Orsis namentlich auch G. A. Colini, La civiltä del bronzo in Italia II, 1905.
61) P. Orsi, Thapsos, necropoli Sicula con bronzi e vasi Micenei, Mon. ant. acc. Line.
VI, 1895, Taf. IV, 4, 5, 14; V, 5, 11. — Tonfiguren von Stentinello: ΒρΙ. XVI, Taf. VI, 9, 14.