ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Als erstes Ergebnis unserer Arbeit ist festzuhalten, daß Heinrich Alfred Schmids
Bestimmung der Stuppacher Madonna als Mittelbild des Aschaffenburger Maria-
Schnee-Altares zu rehabilitieren ist. Es hat sich nicht nur gezeigt, daß alle späte-
ren, in Opposition zu ihm vorgetragenen Rekonstruktionsvorschläge unhaltbar
sind, sondern es hat sich auch seine Vermutung bestätigt, daß das Retabel in meh-
reren Phasen entstanden ist.
Matthias Grünewalds Arbeiten für den Altar waren Teil eines umfangreichen,
von Heinrich Reitzmann und den Gebrüdern Schantz spätestens seit 1506 voran-
getriebenen Stiftungsprojektes, zu dem neben der mit Billigung des Kapitels er-
folgten offiziellen Einführung der Maria-Schnee-Feier an der Aschaffenburger
Stiftskirche und der Herausgabe eines noch in mehreren Auflagen vorliegenden
Festoffiziums auch die Einrichtung einer eigenen Vikarie sowie der Bau und die
Ausstattung der Maria-Schnee-Kapelle gehörten. Die ständige Ausweitung der
Stiftung bis 1530 führte wiederholt zu Änderungen an der ursprünglichen Altar-
konzeption. Durch die Neudiskussion der Quellen unter Einbeziehung bisher
nicht oder zu wenig beachteter Archivalien sowie durch unsere Untersuchungen
zum materialen Bestand der noch erhaltenen Teile des Retabels war es möglich,
drei Entstehungsphasen zu unterscheiden und zu datieren: das originäre Ädikula-
retabel von 1516 mit Grünewalds Stuppacher Madonna als Mittelbild, das dann
1519 durch Hinzufügen zweier fest montierter Flügel zu einem einansichtigen
Triptychon erweitert worden ist, sowie den um 1530 erfolgten zweiten Umbau,
während dessen die Festflügel in Klappflügel umgewandelt und zusätzlich zu Sei-
ten des Retabels zwei Bildtafeln in das Bogenfeld der Kapellenrückwand einge-
paßt worden sind. [Tafel I-III]
Es wurde gezeigt, daß diese materialen Veränderungen vornehmlich durch
Funktionsveränderungen des Altares bedingt waren, die ihrerseits auf mehrfach
gewandelte Stifterinteressen zurückgeführt werden konnten. Entsprach das Reta-
bel in seinem ersten Zustand noch vollständig dem an italienischen Vorbildern
orientierten Ideal Heinrich Reitzmanns, entfernte es sich durch die Ergänzung
zum Triptychon, aber noch viel stärker durch die schließliche Umwandlung in ein
im Vergleich dazu altmodisches, mehransichtiges Flügelretabel immer weiter von
den ursprünglichen Vorstellungen des italophilen Stiftsherren. Die Gründe für
diese retardierende Entwicklung lagen in den jeweils neu bestimmten Aufgaben
des Retabels, das zuerst in räumlicher Nähe zur Stiftergrabstätte aufgestellt wer-
den sollte, wobei ihm, neben dem eigentlichen Epitaph, teilweise auch Memorial-
funktionen zukommen sollten. Reitzmanns erfolgreichen Bemühungen um eine
weitgehende Popularisierung des 1512 auf seine Initiative hin in der Mainzer Erz-
diözese approbierten Maria-Schnee-Festes und dessen Ausstattung mit hohen
päpstlichen und erzbischöflichen Ablässen führten dazu, daß der Altar in einen für
die zahlreichen Gläubigen leichter zugänglichen Bereich der Stiftskirche versetzt
werden mußte. Es kam deshalb zur Vereinigung des Reitzmannschen Stiftungspro-
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Als erstes Ergebnis unserer Arbeit ist festzuhalten, daß Heinrich Alfred Schmids
Bestimmung der Stuppacher Madonna als Mittelbild des Aschaffenburger Maria-
Schnee-Altares zu rehabilitieren ist. Es hat sich nicht nur gezeigt, daß alle späte-
ren, in Opposition zu ihm vorgetragenen Rekonstruktionsvorschläge unhaltbar
sind, sondern es hat sich auch seine Vermutung bestätigt, daß das Retabel in meh-
reren Phasen entstanden ist.
Matthias Grünewalds Arbeiten für den Altar waren Teil eines umfangreichen,
von Heinrich Reitzmann und den Gebrüdern Schantz spätestens seit 1506 voran-
getriebenen Stiftungsprojektes, zu dem neben der mit Billigung des Kapitels er-
folgten offiziellen Einführung der Maria-Schnee-Feier an der Aschaffenburger
Stiftskirche und der Herausgabe eines noch in mehreren Auflagen vorliegenden
Festoffiziums auch die Einrichtung einer eigenen Vikarie sowie der Bau und die
Ausstattung der Maria-Schnee-Kapelle gehörten. Die ständige Ausweitung der
Stiftung bis 1530 führte wiederholt zu Änderungen an der ursprünglichen Altar-
konzeption. Durch die Neudiskussion der Quellen unter Einbeziehung bisher
nicht oder zu wenig beachteter Archivalien sowie durch unsere Untersuchungen
zum materialen Bestand der noch erhaltenen Teile des Retabels war es möglich,
drei Entstehungsphasen zu unterscheiden und zu datieren: das originäre Ädikula-
retabel von 1516 mit Grünewalds Stuppacher Madonna als Mittelbild, das dann
1519 durch Hinzufügen zweier fest montierter Flügel zu einem einansichtigen
Triptychon erweitert worden ist, sowie den um 1530 erfolgten zweiten Umbau,
während dessen die Festflügel in Klappflügel umgewandelt und zusätzlich zu Sei-
ten des Retabels zwei Bildtafeln in das Bogenfeld der Kapellenrückwand einge-
paßt worden sind. [Tafel I-III]
Es wurde gezeigt, daß diese materialen Veränderungen vornehmlich durch
Funktionsveränderungen des Altares bedingt waren, die ihrerseits auf mehrfach
gewandelte Stifterinteressen zurückgeführt werden konnten. Entsprach das Reta-
bel in seinem ersten Zustand noch vollständig dem an italienischen Vorbildern
orientierten Ideal Heinrich Reitzmanns, entfernte es sich durch die Ergänzung
zum Triptychon, aber noch viel stärker durch die schließliche Umwandlung in ein
im Vergleich dazu altmodisches, mehransichtiges Flügelretabel immer weiter von
den ursprünglichen Vorstellungen des italophilen Stiftsherren. Die Gründe für
diese retardierende Entwicklung lagen in den jeweils neu bestimmten Aufgaben
des Retabels, das zuerst in räumlicher Nähe zur Stiftergrabstätte aufgestellt wer-
den sollte, wobei ihm, neben dem eigentlichen Epitaph, teilweise auch Memorial-
funktionen zukommen sollten. Reitzmanns erfolgreichen Bemühungen um eine
weitgehende Popularisierung des 1512 auf seine Initiative hin in der Mainzer Erz-
diözese approbierten Maria-Schnee-Festes und dessen Ausstattung mit hohen
päpstlichen und erzbischöflichen Ablässen führten dazu, daß der Altar in einen für
die zahlreichen Gläubigen leichter zugänglichen Bereich der Stiftskirche versetzt
werden mußte. Es kam deshalb zur Vereinigung des Reitzmannschen Stiftungspro-
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