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VIERTES KAPITEL
des Feindes zu erbeuten. Eine geraubte Kuh wird dem feindlichen
Kapitän auf sein Ersuchen höflichst zurückerstattet. In der Beschrei-
bung eines nächtlichen Zuges über die Felder atmet uns die Nachtluft
und die Stille entgegen. Im „Le Jouvencel“ sieht man den Übergang
vom Rittertypus zu dem des nationalen Militärs. Der Held des Buches
läßt die armen Gefangenen frei, unter der Bedingung, daß sie gut
französisch werden. Zu hohen Würden gekommen, sehnt er sich nach
jenem Leben von Abenteuern und Freiheit zurück.
Solch einen realistischen Rittertypus (der übrigens, wie schon er-
wähnt, im Werk selbst nicht bis zum Schluß durchgeführt ist) konnte
die burgundische Literatur, viel altmodischer, viel feierlicher und mehr
im feudalen Gedanken befangen als die rein französische, noch nicht
hervorbringen. Jacques de Lalaing ist neben Le Jouvencel eine alter-
tümliche Kuriosität, nach dem Klischee älterer, fahrender Ritter wie
Gillon de Trazegnies beschrieben. Das Buch über die Taten dieses ver-
ehrten burgundischen Helden erzählt mehr von romantischen Turnieren
als vom echten Krieg1).
Die Psychologie des Kriegsmuts ist vielleicht weder früher noch
später so einfach und zutreffend zum Ausdruck gebracht wie durch
die folgenden Worte von „Le Jouvencel“ 2): „C’est joyeuse chose que
la guerre ... On s’entr’ayme tant ä la guerre. Quant on voit sa querelle
bonne et son sang bien combatre, la lärme en vient ä l’ueil. H vient
une doulceur au cueur de loyaulte et de pitie de veoir son amy, qui
si vaillamment expose son corps pour faire et accomplir le coinman-
dement de nostre createur. Et puis on se dispose d’aller mourir ou
vivre avec luy, et pour amour ne l’abandonner point. En cela vient
une delectation teile que, qui ne l’a essaiie, il n’est homme qui sceust
dire quel bien c’est. Pensez-vous que homme qui face cela craigne la
mort? Nennil; car il est tant reconforte, il est si ravi, qu’il ne scet oü
il est. Vraiement il n’a paour de rien“.
Dies könnte ebensogut ein moderner Soldat wie ein Ritter des
fünfzehnten Jahrhunderts gesagt haben. Es hat mit dem ritterlichen
Ideal an sich nichts zu tun. Es gibt den Gefühlsuntergrund des reinen
1) Le livre des faits du bon Chevalier Messire Jacques de Lalaing; ed
Kervyn de Lettenhove, Chastellain, Oeuvres, VIII.
2) II, p. 20.
VIERTES KAPITEL
des Feindes zu erbeuten. Eine geraubte Kuh wird dem feindlichen
Kapitän auf sein Ersuchen höflichst zurückerstattet. In der Beschrei-
bung eines nächtlichen Zuges über die Felder atmet uns die Nachtluft
und die Stille entgegen. Im „Le Jouvencel“ sieht man den Übergang
vom Rittertypus zu dem des nationalen Militärs. Der Held des Buches
läßt die armen Gefangenen frei, unter der Bedingung, daß sie gut
französisch werden. Zu hohen Würden gekommen, sehnt er sich nach
jenem Leben von Abenteuern und Freiheit zurück.
Solch einen realistischen Rittertypus (der übrigens, wie schon er-
wähnt, im Werk selbst nicht bis zum Schluß durchgeführt ist) konnte
die burgundische Literatur, viel altmodischer, viel feierlicher und mehr
im feudalen Gedanken befangen als die rein französische, noch nicht
hervorbringen. Jacques de Lalaing ist neben Le Jouvencel eine alter-
tümliche Kuriosität, nach dem Klischee älterer, fahrender Ritter wie
Gillon de Trazegnies beschrieben. Das Buch über die Taten dieses ver-
ehrten burgundischen Helden erzählt mehr von romantischen Turnieren
als vom echten Krieg1).
Die Psychologie des Kriegsmuts ist vielleicht weder früher noch
später so einfach und zutreffend zum Ausdruck gebracht wie durch
die folgenden Worte von „Le Jouvencel“ 2): „C’est joyeuse chose que
la guerre ... On s’entr’ayme tant ä la guerre. Quant on voit sa querelle
bonne et son sang bien combatre, la lärme en vient ä l’ueil. H vient
une doulceur au cueur de loyaulte et de pitie de veoir son amy, qui
si vaillamment expose son corps pour faire et accomplir le coinman-
dement de nostre createur. Et puis on se dispose d’aller mourir ou
vivre avec luy, et pour amour ne l’abandonner point. En cela vient
une delectation teile que, qui ne l’a essaiie, il n’est homme qui sceust
dire quel bien c’est. Pensez-vous que homme qui face cela craigne la
mort? Nennil; car il est tant reconforte, il est si ravi, qu’il ne scet oü
il est. Vraiement il n’a paour de rien“.
Dies könnte ebensogut ein moderner Soldat wie ein Ritter des
fünfzehnten Jahrhunderts gesagt haben. Es hat mit dem ritterlichen
Ideal an sich nichts zu tun. Es gibt den Gefühlsuntergrund des reinen
1) Le livre des faits du bon Chevalier Messire Jacques de Lalaing; ed
Kervyn de Lettenhove, Chastellain, Oeuvres, VIII.
2) II, p. 20.