DAS BILD DES TODES
183
Es erklingt von neuem, weniger schulmäßig, in Versen, die trotz ihres
kürzeren Baus dennoch den nachhaltigen Klang des gereimten
Hexameters behalten haben: in der Franziskaner-Poesie des 13. Jahr-
hunderts. Jacopone von Todi, der joculator Domini, ist aller Wahr-
scheinlichkeit nach der Dichter der Strophen gewesen, die unter dem
Titel Cur mundus miiitat sub vana gloria die Reihen enthalten:
„Die ubi Salomon, olim tarn nobilis
Vel Sampson ubi est, dux invincibilis
Et pulcher Absalon, vultu mirabilis,
Aut dulcis Jonathas, multum amabilis?
Quo Cesar abiit, celsus imperio?
Quo Dives splendidus totus in prandio?
Die ubi Tallius, clarus eloquio
Vel Aristoteles, summus ingenio“?1)
Deschamps hat dasselbe Thema mehrmals in Reime gebracht;
Gerson wendet es in einer Predigt an, Dionysius der Karthäuser in
dem Traktat über die „Vier Äusserste“. Chastellain spinnt es in
einem langen Gedicht Le pas de la mort aus, um von andern ganz zu
schweigen2 3). Villon versteht einen neuen Akzent hineinzulegen; jenen
sanfter Wehmut in der „Ballade des dames du temps jadis“ mit dem
Refrain:
„Mais oü sont les neiges d’antan?“8)
Und bald sprenkelt er es mit Ironie in der Ballade der Herren, wo ihm
zwischen den Königen, Päpsten, Fürsten seiner Zeit einfällt:
„Helas! et le bon roy d’Espaigne
Duquel je ne scay pas le nom?“4)
Das würde sich der brave Höfling Olivier de la Marche nicht er-
laubt haben, wo er in seinem „Parement et triumphe des dames“ all
D Früher Bernard von Clairvaux zugeschrieben, von einigen für das Werk
von Walter Mapes gehalten; vgl. H. L. Daniel, Thesaurus hymnologicus, Lipsiae
1841-1856, IV, p. 288; II, p. 379.
2) Deschamps, III, no. 330, 345, 368, 399. — Gerson, Sermo III de defunctis,
Opera, III, p. 1568; Dion. Cart. De quatuor hominum novissimis, Opera, t. XLI,
p. 511; Chastellain, VI, p. 52.
3) Villon, ed. Longnon, p. 33.
4) Ib. p. 34.
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Es erklingt von neuem, weniger schulmäßig, in Versen, die trotz ihres
kürzeren Baus dennoch den nachhaltigen Klang des gereimten
Hexameters behalten haben: in der Franziskaner-Poesie des 13. Jahr-
hunderts. Jacopone von Todi, der joculator Domini, ist aller Wahr-
scheinlichkeit nach der Dichter der Strophen gewesen, die unter dem
Titel Cur mundus miiitat sub vana gloria die Reihen enthalten:
„Die ubi Salomon, olim tarn nobilis
Vel Sampson ubi est, dux invincibilis
Et pulcher Absalon, vultu mirabilis,
Aut dulcis Jonathas, multum amabilis?
Quo Cesar abiit, celsus imperio?
Quo Dives splendidus totus in prandio?
Die ubi Tallius, clarus eloquio
Vel Aristoteles, summus ingenio“?1)
Deschamps hat dasselbe Thema mehrmals in Reime gebracht;
Gerson wendet es in einer Predigt an, Dionysius der Karthäuser in
dem Traktat über die „Vier Äusserste“. Chastellain spinnt es in
einem langen Gedicht Le pas de la mort aus, um von andern ganz zu
schweigen2 3). Villon versteht einen neuen Akzent hineinzulegen; jenen
sanfter Wehmut in der „Ballade des dames du temps jadis“ mit dem
Refrain:
„Mais oü sont les neiges d’antan?“8)
Und bald sprenkelt er es mit Ironie in der Ballade der Herren, wo ihm
zwischen den Königen, Päpsten, Fürsten seiner Zeit einfällt:
„Helas! et le bon roy d’Espaigne
Duquel je ne scay pas le nom?“4)
Das würde sich der brave Höfling Olivier de la Marche nicht er-
laubt haben, wo er in seinem „Parement et triumphe des dames“ all
D Früher Bernard von Clairvaux zugeschrieben, von einigen für das Werk
von Walter Mapes gehalten; vgl. H. L. Daniel, Thesaurus hymnologicus, Lipsiae
1841-1856, IV, p. 288; II, p. 379.
2) Deschamps, III, no. 330, 345, 368, 399. — Gerson, Sermo III de defunctis,
Opera, III, p. 1568; Dion. Cart. De quatuor hominum novissimis, Opera, t. XLI,
p. 511; Chastellain, VI, p. 52.
3) Villon, ed. Longnon, p. 33.
4) Ib. p. 34.