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Heydemann, Heinrich
Hallisches Winckelmannsprogramm (Band 7): Terracotten aus dem Museo Nazionale zu Neapel — Halle/​Saale, 1882

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https://doi.org/10.11588/diglit.5994#0006
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TAFEL I

Die beiden Darstelltingen, welche in der Grösse des Originals wiedergegeben werden,
schmücken die Seiten eines unten spitzzulaufenden Gefässes aus gebrannter Erde (H. 0,14; Umf.
0,32) in der seit 1865 dem Museo Nazionale zu Neapel einverleibten Sammlung Santangelo; wo
das Trinkgefäss gefunden wurde, ist nicht bekannt, doch darf Unteritalien im Allgemeinen als
Fundort angenommen werden. Ob noch andere Repliken dieser mittelst Formen hergestellten
Reliefbilder erhalten sind, vermag ich nicht zu sagen, mir wenigstens sind keine aufgestossen;
das Exemplar Santangelo kann möglicherweise modern sein, aber die Reliefdarstellungen der
Terracotta sind sicher antik, d. h. entweder aus antjken Formen ausgepresst oder über einem
antiken Exemplar abgeformt.

Scenen bacchischen Inhalts bilden den Vorwurf zur Verzierung des Gefässes, aus dem
man Bacchus' Gabe trank. Auf der einen Seite (a) sind Dionysos und Ariadne dargestellt, auf
Felsstücken sitzend, in Gespräch miteinander. Ihre Haltung ist in strenger symmetrischer Gegen-
seitigkeit durchgeführt. In der Mitte erhebt sich ein Baumstamm: links davon sitzt der Gott,
nach linkshin gewendet, rechts davon Ariadne, rechtshin gerichtet; gleichmässig drehen Beide die
Oberkörper und die Gesichter einander zu; gleichmässig haben Beide je mit der einen (äusseren)
Hand einen tänienumschlungenen Thyrsos dicht unter dem Knauf gefasst und aufgestützt; gleich-
mässig ruht je die andere (innere) Hand auf dem Sitz; gleichmässig liegen Beider Mäntel, welche
Schultern und Rücken bedecken, um die Unterkörper; gleichmässig steht neben den Thyrsos-
stäben je ein Tiger, nach aussen gerichtet und den Kopf zur Gottheit umwendend. Diese sym-
metrische fast 'heraldische' Anordnung ist durch kleine Verschiedenheiten künstlerisch belebt: so
ist — von Unbedeutenderem abgesehen — der linke Arm des Dionysos grade herabgestreckt,
dagegen Ariadne's entsprechender rechter Arm im Ellenbogen gekrümmt; ferner trägt die Göttin
einen Chiton, dessen Faltenfülle den Oberkörper verhüllt, während die Brust ihres Gemahls nackt
ist. Auf der anderen Seite (b) des Terracottagefässes finden wir bacchische Thiasoten, ytvog
ovtiSavcöv ZarvQwv xal a(iTj%avoEQY<nv, mit Spiel und Scherz beschäftigt. Ein bärtiger Silen, in
haarigen Anaxyriden 1 und beschuht, sitzt auf dem Boden und bläst eifrig die Flöte, deren Futteral
neben ihm liegt; vor ihm liegt auf den Knieen ein junger Satyr, welcher, sich auf die Linke
aufstützend und weit vornüberbeugend, die hocherhobene rechte Hand hastig dem Gesicht des
davor zurückfahrenden Genossen entgegenstreckt, sei es dass er in neckischem Uebermuth
die Flöte wegnehmen will, sei es dass er das eifrige Musicieren stören möchte. Hinter ihm
" hängt, den freien Raum füllend, ein Löwen- oder vielmehr Pantherfell, das gleich der Nebris,

1) Vgl. dazu Wieseler Satyrspiel S. 92ff. — Der glatte Bauch ist wol ursprünglich auch behaart gewesen
und nur abgescheuert wie die rechte Schulter und das rechte Knie; doch könnte er auch als abrasiert gedacht
worden: vgl. dazu Wieseler a. a. 0. S. 124ff.
 
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