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Heydemann, Heinrich
Hallisches Winckelmannsprogramm (Band 7): Terracotten aus dem Museo Nazionale zu Neapel — Halle/​Saale, 1882

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https://doi.org/10.11588/diglit.5994#0030
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Zu Seite 12 Anm. *)

Auch die neuere Kunst hat zuweilen Familien- und Genrescenen aus dem Kentaurenleben
zum Vorwurf für Darstellungen gewählt, welche ich der Merkwürdigkeit und Seltenheit wegen,
soweit sie mir bekannt sind, hier anführe:

1. Gemälde von Rubens in der Sammlung des Herzogs von Hamilton, 'Verliebte Kentauren'
darstellend: veröffentlicht zum ersten Male bei Goeler von Ravensburg Rubens und die Antike Taf.l.
S. 76 f. — Im Vordergrunde eines Waldes, dessen Lichtung einen Blick auf eine weite Landschaft
gewährt, umarmt ein dunkelfarbiger Kentaur von hinten begehrlich eine weisse ungemein anmuthige
sKentaurin und will sie küssen, während sie das Gesicht liebevoll zu ihm umwendet und mit der
Rechten seinen Kopf an den ihren drückt. Ein zweites Paar ist mehr im Hintergrunde dargestellt:
eine Kentaurin galoppiert entsetzt von dannen, von einem Kentauren verfolgt, der sie mit den Händen
am linken Handgelenk und an der linken Schulter gcfasst hält. Ausdruck Form und Bewegung
der phantastischen Geschöpfe ist namentlich im ersten Paar von vollendeter Schönheit und gross-
artigster Kühnheit.

2. Aquarelle, 'Stillleben einer Kentaurenfamilie' darstellend, von JHWilh. Tischbein; zu
den nicht ausgeführten Blättern seiner 'Idylle' gehörig und in der grossherzoglichen Sammlung
zn Oldenburg befindlich; vgl. dazu von Alten Aus Tischbein's Leben nnd Briefwechsel S. 263 ff. —
Die betreffende Zeichnung wird von Alten (S 322 no. 8) so beschrieben: 'Das Blatt stellt einen Ken-
tauren vor. wie er hingestreckt unter mächtigen Eichen ruht; das Haupt auf die Rechte gestützt,
richtet er den Blick nach oben. An den schweren Körper des Halbmenschen lehnt sich dessen
Gattin, mit ihrem Kindchen schäkernd.' Bekanntlich hat Goethe einer Anzahl von Blättern der
Idylle, die ihm Tischbein zur Ansicht sandte, 'auf des FreuntHl Verlangen einige Reime hinzu-
gefügt' und ist dann später, nach Zurücksendung der Zeichnungen, wie er schreibt 'vom Geiste
getrieben worden seine Reime mit Prosa zu commentiren'; diese poetischen und r>rosaischen Be-
sehreibungen Goethe's zu den Tischbeinsehen Idyllenbildern erschienen zuerst in ' i\unst und Alter-
thum' III3 S.91 ff. Darunter ist auch das Blatt mit der 'Kentauren-Idylle', doch irrt sich der
grosse Mann, wenn er in dem Kentauren den Cheiron erkennen möchte, über Achill's Erziehung
nachdenkend; mir scheint es nur der Kentauren Einer zu sein mit seiner Familie. Er schreibt,
nachdem er des Breiteren über die Kentaurenbildung in körperlicher wie geistiger Hinsicht sich
geäussert, wie folgt: 'So [für die Erziehung eines Fürsten, eines Helden erfahren] wird uns Chiron
geschildert, den man hier ausgestreckt ruhend, also den thierischen Leib an der Erde findet. Der
obere menschliche Theil denkt aber auf Höheres, mehr als Menschliches. Denn das Haupt wird
durch den Arm unterstützt, Angesicht und Augen sind aufwärts gerichtet; edle Form, ernster Blick,
auf sinnige, wichtige Unternehmung deutend. Damit wir aber ausser Zweifel gesetzt werden, was
so eine wundersame Person im Sinne trage, sehen wir hinterwärts, halb versteckt, ein Weibchen
im Tigerfell. Es wendet uns die Schultern zu und spielt mit einem muntern, beinahe unbändigen
Mensehenknaben. Sollte das nicht Achill seyn? einem Chiron als dem tüchtigsten Pädagogen
übergeben, welcher jedoch einen solchen Auftrag wohl bedenklich finden darf. Wir haben diesem
Bilde deshalb folgende Strophe hinzugefügt:

'Edel, ernst, ein Halbthier liegend,
Im Beschauen, im Besinnen,
Hin und her im Geiste wiegend,
Denkt er Grosses zu gewinnen.
Ach, er möchte gern entfliehen
Solchem Auftrag, solcher Würde;
Einen Helden zu erziehen
Wird Centauren selbst zur Bürde.'

Halle, Druck von E. Karras.
 
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