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VORRANG DER GEMÄLDE M!T VIELEN ODER WENIGEN FIGUREN
aber der Bindung der Gruppen dienten und die Scheidung von großen
Licht- und Schattenmassen erieichterten. Wer wohe dem Maier die Ein-
führung solcher Episoden verbieten? Spieiten sie doch gleichsam die Rolle
der Chöre in den gepriesenen antiken Tragödien. Wenn er es nur ver-
stehe, die einzelnen Szenen gleichwie die antiken Tragödiendichter ihre
Chöre der Haupthandlung anzuschmiegen und einer Hauptszene, die im
Mittelpunkte triumphiere, unterzuordnen. Allerdings, fügt Cortona (ein Hieb
auf seine Widersacher) bei, vertraut man solche gewaltigen Aufgaben nur
den allertüchtigsten Künstlern an, die sich wohl darauf verstehen, mit den
verschiedenen Plänen zu rechnen und genau die Regeln der Linien- und
Luftperspektive kennen.
Ausübende Künstler dozierten bei dieser Gelegenheit zwei Hauptstücke
der „Poetik" des Aristoteles über den Vorzug von Epos oder Tragödie,
der beiden edelsten Gattungen der Poesie. Hach dem maßgebenden Vor-
bilde der antiken Rhetorik trug man kein Bedenken, die Lehren der reden-
den Künste in der Theorie auf die bildenden in Anwendung zu bringen,
da doch ihre Wirkung ebenso auf der Gewalt des eindringlichen Ausdrucks,
auf der seltenen und kühnen Erfindung beruhte. Auch klingt in diesem
Disput die übliche Kardinalfrage wieder, die sich vornehmlich an Castelvetros
berühmte Auslegung der „Poetik" (1570) knüpfte, über die Einheit der Fabel in
den verschiedenen Gattungen der Dichtkunst, ln den römischen Akademien
ebenso wie in Paris, wo zu derselben Zeit auf gleicher Grundlage die klas-
sische Tragödie entstand, ereiferten sich die Geister um denselben Punkt.
Doch scheint es, als ob man hier, bei ihrer Anwendung auf praktisch-
künstlerische Dinge, die Frage zugunsten des Epos zu beantworten geneigter
war, da es den Vorzug farbigerer Fülle, reicheren Prunkes der Erzählung bot.
Das in der Sitzung der Akademie von S. Luca verhandelte Thema
steht in tieferem Zusammenhänge mit künstlerischen Zeitfragen als man viel-
leicht annehmen möchte. Dem Freunde römischer Palastdekorationen aus
der ersten Hälfte des 17. jahrhunderts werden verwandte Erscheinungen
auf diesem Gebiet erinnerlich sein. Gerade damals sind zwei vielbeachtete
Malereien entstanden, die wie Programmarbeiten zu den dort ausgesprochenen
Ansichten erscheinen können: die Deckenfresken von Pietro da Cortona
und Andrea Sacchi in dem durch Maderna und seinen Nachfolger Bernini
zwischen 1625 und 1631 erbauten Palazzo Barberini'). Zwei Strömungen
0 jahtbuch der preuß. Kunstslgn 19)9, 93ff: H. Posse, Das Deckenfresko des Pietro
da Cortona im Paiazzo Barberini und die Deckenmalerei in Rom.
VORRANG DER GEMÄLDE M!T VIELEN ODER WENIGEN FIGUREN
aber der Bindung der Gruppen dienten und die Scheidung von großen
Licht- und Schattenmassen erieichterten. Wer wohe dem Maier die Ein-
führung solcher Episoden verbieten? Spieiten sie doch gleichsam die Rolle
der Chöre in den gepriesenen antiken Tragödien. Wenn er es nur ver-
stehe, die einzelnen Szenen gleichwie die antiken Tragödiendichter ihre
Chöre der Haupthandlung anzuschmiegen und einer Hauptszene, die im
Mittelpunkte triumphiere, unterzuordnen. Allerdings, fügt Cortona (ein Hieb
auf seine Widersacher) bei, vertraut man solche gewaltigen Aufgaben nur
den allertüchtigsten Künstlern an, die sich wohl darauf verstehen, mit den
verschiedenen Plänen zu rechnen und genau die Regeln der Linien- und
Luftperspektive kennen.
Ausübende Künstler dozierten bei dieser Gelegenheit zwei Hauptstücke
der „Poetik" des Aristoteles über den Vorzug von Epos oder Tragödie,
der beiden edelsten Gattungen der Poesie. Hach dem maßgebenden Vor-
bilde der antiken Rhetorik trug man kein Bedenken, die Lehren der reden-
den Künste in der Theorie auf die bildenden in Anwendung zu bringen,
da doch ihre Wirkung ebenso auf der Gewalt des eindringlichen Ausdrucks,
auf der seltenen und kühnen Erfindung beruhte. Auch klingt in diesem
Disput die übliche Kardinalfrage wieder, die sich vornehmlich an Castelvetros
berühmte Auslegung der „Poetik" (1570) knüpfte, über die Einheit der Fabel in
den verschiedenen Gattungen der Dichtkunst, ln den römischen Akademien
ebenso wie in Paris, wo zu derselben Zeit auf gleicher Grundlage die klas-
sische Tragödie entstand, ereiferten sich die Geister um denselben Punkt.
Doch scheint es, als ob man hier, bei ihrer Anwendung auf praktisch-
künstlerische Dinge, die Frage zugunsten des Epos zu beantworten geneigter
war, da es den Vorzug farbigerer Fülle, reicheren Prunkes der Erzählung bot.
Das in der Sitzung der Akademie von S. Luca verhandelte Thema
steht in tieferem Zusammenhänge mit künstlerischen Zeitfragen als man viel-
leicht annehmen möchte. Dem Freunde römischer Palastdekorationen aus
der ersten Hälfte des 17. jahrhunderts werden verwandte Erscheinungen
auf diesem Gebiet erinnerlich sein. Gerade damals sind zwei vielbeachtete
Malereien entstanden, die wie Programmarbeiten zu den dort ausgesprochenen
Ansichten erscheinen können: die Deckenfresken von Pietro da Cortona
und Andrea Sacchi in dem durch Maderna und seinen Nachfolger Bernini
zwischen 1625 und 1631 erbauten Palazzo Barberini'). Zwei Strömungen
0 jahtbuch der preuß. Kunstslgn 19)9, 93ff: H. Posse, Das Deckenfresko des Pietro
da Cortona im Paiazzo Barberini und die Deckenmalerei in Rom.