44
DAS DECKENGEMÄLDE DER DtVtNASAPiENZA
Verkürzungen und Kontraposte in
Lanfrancos und Cortonas Art ge-
mieden. Während Pietro da Cor-
tona gleich dem Bildhauer Ber-
nini der schweren knitternden
Gewandung eine Hauptrolle zur
Belebung der Formen überläßt und
ein jähes Spiel der Faltenlinien und
-flächen in seinen Gemälden selbst
dem ruhenden Körper Erregung
und Unruhe verleiht, ist bei Sacchi
die Gewandung in ihrem leichten
natürlichen Fluß der Körperform
streng untergeordnet^). Keine ein-
zige Gestalt in dieser wohlbedach-
ten Komposition verdankt einem
bloß dekorativen Bedürfnis ihre
Darstellung. Über die gangbare
Hieroglyphensprache allegorischer
Gemälde hinaus, in denen die
Figur erst durch das beigefügte
Attribut ihren Sinn zu empfangen
pflegt, hat der Maler seinen
Repräsentantinnen göttlicher Tugenden eine geistige Beseelung gegeben,
die bis zum Porträthaften geht wie in der charaktervollen Gestalt der
,,Suavitä", die mit dem Ausdruck tiefen Selbstvergessens ins Weite
zu lauschen scheint (Abb. 10). Sprechender als durch die symbolische
Krone wird durch die edle Haltung und den großen geschlossenen Umriß
die ins Profil gewendete Figur auf dem linken Flügel der Komposition
als Verkörperung der „Vornehmheit" gekennzeichnet, und durch die Ein-
fügung der in einfacher Frontalität gesehenen Gestalt in ein Dreieck
empfängt die „Göttlichkeit" ihren feierlichenCharakter(Abb. llu. 12). Alle
Figuren zeigen in den ausdrucksvollen Gebärden und Mienen den gleichen
tiefen Ernst der Hingabe an den geistigen Sinn der Darstellung, der in der
0 Oer Traktat Giandomenico Ottonellis und Pietros da Cortona (74) führt offenbar
des ietzteren gegenteilige Meinung an, daß nämiich manche Künstler zu tadeln seien, weil
sie die Vollendung der Zeichnung so weit trieben, daß ihre Figuren unter der Bekleidung
wie nackt erschienen.
Abb. 11. Sacchi: La Divina Sapienza (Teilstück)
DAS DECKENGEMÄLDE DER DtVtNASAPiENZA
Verkürzungen und Kontraposte in
Lanfrancos und Cortonas Art ge-
mieden. Während Pietro da Cor-
tona gleich dem Bildhauer Ber-
nini der schweren knitternden
Gewandung eine Hauptrolle zur
Belebung der Formen überläßt und
ein jähes Spiel der Faltenlinien und
-flächen in seinen Gemälden selbst
dem ruhenden Körper Erregung
und Unruhe verleiht, ist bei Sacchi
die Gewandung in ihrem leichten
natürlichen Fluß der Körperform
streng untergeordnet^). Keine ein-
zige Gestalt in dieser wohlbedach-
ten Komposition verdankt einem
bloß dekorativen Bedürfnis ihre
Darstellung. Über die gangbare
Hieroglyphensprache allegorischer
Gemälde hinaus, in denen die
Figur erst durch das beigefügte
Attribut ihren Sinn zu empfangen
pflegt, hat der Maler seinen
Repräsentantinnen göttlicher Tugenden eine geistige Beseelung gegeben,
die bis zum Porträthaften geht wie in der charaktervollen Gestalt der
,,Suavitä", die mit dem Ausdruck tiefen Selbstvergessens ins Weite
zu lauschen scheint (Abb. 10). Sprechender als durch die symbolische
Krone wird durch die edle Haltung und den großen geschlossenen Umriß
die ins Profil gewendete Figur auf dem linken Flügel der Komposition
als Verkörperung der „Vornehmheit" gekennzeichnet, und durch die Ein-
fügung der in einfacher Frontalität gesehenen Gestalt in ein Dreieck
empfängt die „Göttlichkeit" ihren feierlichenCharakter(Abb. llu. 12). Alle
Figuren zeigen in den ausdrucksvollen Gebärden und Mienen den gleichen
tiefen Ernst der Hingabe an den geistigen Sinn der Darstellung, der in der
0 Oer Traktat Giandomenico Ottonellis und Pietros da Cortona (74) führt offenbar
des ietzteren gegenteilige Meinung an, daß nämiich manche Künstler zu tadeln seien, weil
sie die Vollendung der Zeichnung so weit trieben, daß ihre Figuren unter der Bekleidung
wie nackt erschienen.
Abb. 11. Sacchi: La Divina Sapienza (Teilstück)