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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 2.1854

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Nr. 34
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https://doi.org/10.11588/diglit.62065#0279
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Die Illi, strikte Welt. 271

„Nein," rief der Wirth, „denn es ist bereits ver- !
kauft und zum Voraus bezahlt. Wenn der Herr jedoch
sich darüber ins Vernehmen setzen will, so hat er's mit !
mir zn thun."
„Keineswegs", wandte der vlämische Schildmaler
ein, „es gehört mir. Mein College half mir aus Freund-
schäft etwas ans; aber das Bild ist mein rechtmäßiges
Eigenthum, und ich kann es verkaufen, wem ich will."
„Was soll das heißen?" rief der Wirth, „meine
aufgehende Sonne ist mein Eigenthum, da sie an der
Wand meines Hauses niet- und nagelfest ist. Wie kann
sie sonst wem gehören? Niemand hat ein Recht darauf,
als ich."
„Ich werde Euch vor die Obrigkeit fordern!" rief
der , der das Bild nicht gemalt hatte.
„Ich werde Euch wegen Contractbruchs verfolgen",
entgegnete der Wirth, welcher bereits die Hälfte bezahlt
hatte.
„Einen Augenblick!" rief eine andere energische
Stimme, die des Eindringlings: „es scheint mir, daß ich
in dieser Sache auch ei» kleines Votum habe."
„Ganz recht, Bruder", antwortete der Maler, „statt
auf der offenen Landstraße zu verhandeln, laßt uns in
Meister Marzens Haus gehen und die Sache freundschaft-
lich bei einer Flasche Bier verhandeln."
Dazu gab Alles seine Einwilligung: aber das war
auch das Einzige, denn drinnen ging es noch weit bunter
und verwirrter zu. Die Vlamänder stritten um den Be-
sitz des Bildes und der Engländer wiederholte sein Aner-
bieten , es mit Gold zu bedecken.
„Aber angenommen, ich wollte es gar nicht verkauft
sehen?" sagte fein wirklicher Urheber.
„O lieber Herr", meinte der Wirth, „ich bin über-
zeugt, Sie wollen einen ehrlichen, armen Mann, der
kaum die beiden Enden zusammenhalten kann, dieses
Glücksfalls nicht verlustig machen. Ich könnte ein gutes
Stück Wein und Bier dafür einlegen."
„Glauben Sie ihm nicht, Bruder", rief der Maler,
„ich bin Familienvater, und da ich zugleich Maler bin,
so sollten Sie einem Bruder Künstler helfen und mir den
Vorzug geben. Auch bin ich bereit, das Geld mit Ihnen
zu theilen."
„ Er", sagte Meister Märzen, „ Er ist ein alter Ver-
schwender , der nicht mal seiner Tochter eine Mitgift geben
kann, weil er Alles, was er cinnimmt, auf seinen eige-
nen Leib verwendet."
„Das ist nicht wahr, meine Susette ist mit einem
ehrlichen, jungen, französischen Kunsttischler versprochen,
der, so arm sie ist, sie im nächsten September heirathen
will."
„Eine Tochter ansznsteuern!" rief der fremde Künst-
ler, „das ändert die Sache. Ich bin's zufrieden, daß das
Bild für die Aussteuer verkauft werde und überlasse cs
dem Edelmuth unsres englischen Freundes, die Summe zu
bestimmen."
„Ich habe bereits einhundert Guineen angeboten,
gerne gebe ich jedoch das Doppelte, wenn noch zwei Worte
in der Ecke stehen."
„Was für zwei Worte?" rief die ganze Versamm-
lung zugleich.
Der Engländer antwortete:
Pierro l) uv ich"
Alles stand in stummem Erstaunen da. Der Schild-
uialer hielt den Athem zurück, blitzte mit den Augen,

faltete die Hände krampfhaft und fiel vor dem großen
französischen Meister auf die Kniec.
„Vergeben Sie mir!" rief er, „vergeben Sie mir
meine kühne Unwissenheit"
David lachte und schüttelte seine Hand mit freund-
licher Cordialität.
Die Nachricht von der Entdeckung hatte sich indeß
verbreitet, das Wirthshaus füllte sich mit Menschen, die
die Gesundheit ihres berühmten Besuches tunken wollten:
und der gute alte Mann, der in der Mitte des Zimmers
stand, erwiederte ihre Grüße auf's Herzlichste. Zuletzt
schlang auch die überglückliche Susette, die man herbetge-
holt, ihren Arm um den Hals ihres Wohlthäters, und
ihr künftiger Gatte hüllte das Zimmer in eine Wolke von
Sägmehl, als er dem französischen Meister die Hand
schüttelte.
In diesem Augenblick kamen die Fremden an, die er
erwartete. Es war Lesfec, ein Theaterunternehmer, und
der große Talma.

Per Shawl.
Es gab eine Zeit, da unsre Damen großen Werth
auf einen Toilettegegenstand legten, der häufig wieder
in den Hintergrund zu treten schien. Oft schwankte ein
: begehrlich weiblich Herz zwischen der Wahl dieses Ge-
genstandes und einem Schmuck von Gold und Edelstein.
Wir sprechen vom Shawl. Man darf nicht einwenden, daß
dieses Kleidungsstück noch immer so manche hübsche —
und wohl auch manche minder hübsche — Gestalt bildet.
Das jetzige „Umwnrfstuch" ist weit entfernt von dem
Shawl früherer Tage: während jenes auf der Brust und
dem Rücken der Dame einem verdrehten Viereck gleicht,
einem Carreau, und keineswegs ein graziöses Ganzes
mit der Gestalt der Trägerin bildet, war die Form des
Shawls, jenes lange, schmale Gewebe aus des Ostens
! fernem Lande, eine anmuthige Draperie, bestimmt für leben-
dige Schönheiten. Zu ein und derselben Zeit tauchten in
! Frankreich zwei Erscheinungen auf, die sich rasch, die
Herrschaft in Europa erkämpften: Napoleon I. und der
Shawl. Dieser hat seinen Zeitgenoffen noch um andert-
! halb Jahrzehende überlebt und ist dann wie jener ver-
schwunden.
Es ist eine eigene Sache mit der Geschichte jenes
östlichen Einwanderers aus dem Geschlechte der Easchemirs
nach dem westlichen Europa. AuS vergilbten süufzig-
jährigen Geschichtsbüchern erstehr man, daß ein türkischer
Gesandter in Paris zur Zeit der Republik von großer
Neigung zu einer „Bürgerin" von hohem Range er-
griffen wurde, und als er nach Constantinopel heimkehrte,
ihr einen prächtigen Shawl als Erinncrungs- und Hnldi-
gungszeichcn übersandte. Bis zu diesem Tage war der
Shawl in der großen Seinestadt ein unbekanntes Ding;
und als er nun dort erschien, war er ein Fremder, mit dem
man nicht umzugehen verstand. Es war keine Gebrauchs-
anweisung beigegeben worden. Die Dame blieb in Zweifel,
wie sie die empfangene Gabe benützen sollte. Nach
langem Grübeln glaubten sie und ihre Freundinnen, daß
das dünne, feine Gewebe in der kalten Jahreszeit als
passende Fußbekleidung verwendet werden könnte, und vor
dem Kamine sitzend, empfing die Dame ihre Besuche, die
 
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