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Dir Illuftrirte Welt.

im naturhistorischen Museum von Puris befindlichen ma-
laischen Wölfe ganz kameradschaftlich mit den Säugethieren,
von denen sie namentlich die am liebsten haben, die die
lustigsten sind.

An viel Dlnu.
Eine Malergeschichte.
An einem schönen Sommermorgen ging ein alter
Mann auf dem Wege zwischen Brüssel und Namur. Er
erwartete einen Freund, der mit dem Eilwagen kommen
sollte, und machte sich deßhalb etwas früher auf den
Weg, um ihm entgegenzugehen. Da er noch viele
Zeit übrig hatte, so amüsirte er sich damit, Alles, was
ihm auffiel, sich näher zu betrachten; endlich blieb er stehcn
und sah dem Treiben eines Malers zu, der auf eine Lei-
ter gestiegen war, die an der Front eines Wirthshauses
am Wege stand, und ein Schild mit der „aufgehenden
Sonne" malte.
„Hier", sagte der alte Mann zu sich, „ist ein ehr-
licher Anstreicher, der von der Perspective so viel versteht,
als ein Zugpferd, und doch wollt' ich wetten, dünkt er
sich ein Rubens, wie er so in der ultramarinblauen Wolke
herumpinselt."
Der Kritiker ging vor dem Wirthshause auf und
ab und beschloß, hier auf die Diligence zu warten. Der
Maler legte immer neue Massen von Blau auf, was dem
alten Mann Spaß zu machen schien. Als der Schild-
maler jedoch einen neuen Topf mit blauer Farbe in die
Hand nahm, konnte er es nicht länger mit ansehen, und
rief in strengem Tone:
„Zu viel Blau!"
Der ehrliche Maler sah von seiner Leiter herab und
sagte in dem Tone erzwungener Ruhe, den ein zorniger
Mann bisweilen annimmt:
„Der Herr scheint nicht zu bemerken, daß ich eine
Wolke male."
„O ja, ich sehe wohl, daß Sic cine Wolke zu malen
versuchen, aber ich sage Ihnen noch einmal, daß es zu
viel Blau ist."
„Haben Sie je Wolken, ohne Blau gemalt gesehen,
Meister Liebhaber?"
„Ich bin kein Liebhaber. Ich sage Ihnen nur im
Vorbeigehen — ich mache die zufällige Bemerkung —,
daß zu viel Blau darauf ist; aber thun Sie, was Ihnen
beliebt, nehme» Sie noch mehr Blau, wenn Sie glauben,
noch nicht genug davon angebracht zu haben."
„Aber ich sage Ihnen ja, daß ich eine klare blaue
Wolke bei Sonnenaufgang malen will."
„Und ich sage Ihnen, daß kein Mensch von Ver-
stand den Himmel bei Sonnenaufgang blau macht."
„Bei St. Gudula, das ist zu viel!" rief der Maler,
von seiner Leiter herabkommend, „ich möchte doch sehen„
wie Sie Wolken ohne Blau malen könnten."
„Ich behaupte nicht gerade, große Gewandtheit im
Wolkenmalen zu haben; aber wenn ich den Versuch
machte, würde ich nicht zu viel Blau verwenden."
„Und wie würd' es dann aussehen?"
„Natürlich, hoffe ich, nicht wie Ihr Bild, das man
für ein Beet mit Feldenzian oder blaues Tuch halten kann,
nur nicht für eine Wolke; es ist und bleibt zu viel Blau."

„Ich will Ihnen was sagen, alter Herr", rief der
beleidigte Künstler, seinen Malerftock auf die Schulter
legend, mit zornigem Blick, „Sie mögen zu Haus ein
recht braver Mann sein, aber man sollte Sie nicht allein
ausgehen lassen."
„Warum nicht?"
„Warum nicht? weil Sie verrückt sein muffen,
wenn Sie so urtheilen können: zu viel Blau. Ich, der
Schüler Rnisdaels, der Großneffe von Gerard Dows
Enkel, ich sollte nicht mal einen Himmel malen können?
Meine Reputation ist nicht von heute. Ich habe ein
Rothes Roß in Mecheln, einen Grünen Bären in Namur
und einen Karl den Großen in Aachen gemalt, vor denen
Jeder staunend stehen bleibt."
„Unsinn!" rief der Kritiker und nahm die Palette
aus des Malers Hand. „Sie sollten Ihr eignes Bild
vor das Wirthshaus zum vlämischen Esel malen." In
seinem Zorn stieg er die Leiter mit der Lebendigkeit eines
Knaben hinauf und begann, mit dem Ballen seiner Hand
das Meisterwerk von Gerard Dows Enkel-Großneffen aus-
zuwischen.
„Halt, alter Charlatan!" schrie der Letztere, „Sie
ruiniren mir ja mein Schild! Es ist sünfunddreißig
Franken werth. Und dann meine Reputation — ver-
loren! für immer dahin!"
Er schüttelte heftig an der Leiter, um seinen Verfol-
ger zum Herabsteigen zu zwingen. Aber der Letztere ließ sich
weder durch die Gefahr, herabzustürzen, noch durch die
Menge der Leute, welche herbeigekommen waren, in der
Vernichtung des Bildes stören. Dann malte er mit der
Spitze seines Fingers und dem Stiele eines Pinsels in
meisterhaften Umrissen drei vlämische Bauern mit Bier-
gläsern in der Hand, die der aufgehenden Sonne zutran-
ken, welche am Ende des Horizonts, eine graue Wolke
zertheilend, aufstieg. Eines der Gesichter war cine äußerst
komische Karikatur des ersetzten Schildmalers. Die Zu-
schauer waren anfangs sehr geneigt, gegen den zudring-
! lichen Fremden Partei für ihren Landsmann zu ergrei-
fen. Welches Recht hatte er, sich hier einzumischen?
Das Murren, das sich erhoben, hörte jedoch bald
' auf und verwandelte sich in ein Murmeln der Zustim-
mung, als die Zeichnung ins Licht trat. Der Besitzer
des Wirthshauses war der Erste, welcher Bravo rief, und
sogar Gerard Dows Vetter im neunten Glied mußte in
die allgemeine Bewunderung einstimmcn.
„Ja, ja, Sie sind ein Meister, das läßt sich nicht
läugnen", rief er, „es ist ein französischer Maler, der sieb
einen Spaß mit mir macht. Ich muß gestehen, daß er
weiß, was er kann."
Der alte Mann wollte gerade herabsteigen, als ein
Herr auf einem schönen englischen Pferde durch die Menge
ritt.
„Das Bild ist mein!" rief er französisch, aber mit
fremdem Accent. „Ich gebe hundert Guineen dafür."
„Ein neuer Verrückter!" rief das eingeborne Genie,
! „Die Fremden scheinen alle verrückt."
„Was meinen Sie, mein Herr?" fragte der Wirth
neugierig.
„Was ich sage? ich gebe hundert Guineen für das
! Bild," antwortete der junge Engländer von seinem Pferde
absteigend.
„Das Bild ist nicht zu haben", sagte der Schild-
maler mit solchen« Ausdruck, als wäre es sein eigenes
! Werk.
 
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