Die Illustrirtr Welt.
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Ostende.
VstenLc aus der Vogclperspecüvc.
Die Lage von Ostende ist durchaus nicht malerisch;
vlngs herum flache baumlose Gegend. Dünen, so wert
das Auge reicht, trennen das Land vom Meere. Doch r>
die Reihe dieser Sandhügel durch die Stadt unterbrochen,
welche weit über ihre Linie hinaus in den Ocean Hinern
gebaut ist und gegen die Gewalt der Wellen durch einen
starben steinernen Damm beschützt wird, dessen mit rochen
Ziegeln belegte Oberfläche den angenehmsten Spaziergang
gewährt. Bei hoher Fluth dringen die Wogen bis zur
Mitte dieses Dammes vor, doch zur Zeit der Ebbe ziehen
sw sich weit zurück, und hinterlassen einen 100 bis lON
Klafter breiten Strand, auf dessen ebenem sandigem Boden
sich während der Saison das mannichfaltigste Leben be-
wegt. An einem Ende des Dammes steht ein eleganter
Pavillon, wo sich gewöhnlich des Nachmittags die Gaste
versammeln-, dichtgedrängt, alle Zungen Europas redend,
umlagern sie aus Stühlen und Bänken das^ zierliche Oe-
baude, während in der Blüthe der Saison Hunderte von
Spaziergängern die ganze Länge deS Dammes auf- und ab-
wogen oder am Strande sich ergehen, und, selbst Zuschauer,
das anziehendste Schauspiel gewähren. Dem nachdenken-
Beobachter drängt sich hierbei der Kontrast und ww-
die Aehulichkeit des kleinen Menschenlebens und des
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großen Meereslebens auf, und es fällt ihm der bekannte
Spruch des alten Poeten ein, wo wir mit den ewig wechseln-
den Wellen verglichen werden.
Vom Damm aus genießt man die herrlichste Aussicht
aufs Meer. Der Blick, von keinen Grenzen beengt, streift
weit über den Ocean hin, dessen letzte Fluchen oft mit dem
neblichten Horizonte verschwimmen, oft aber, scharf abge-
grenzt, eine unermeßliche Linie von Osten nach Westen,
von der Scheldemündung bis nach Dünkirchen ziehen.
Nichts vermag demjenigen, dessen Fuß noch nie den Mee-
resstrand betrat, einen Begriff von diesem großartigen
Bilde zu geben. Mit den einfachsten Mitteln, Luft, Licht
und Wasser, entwickelt hier die Natur die außerordentlichste
Mannichfaltigkeit der Erscheinungen, und so wie sich viel-
leicht von allen Blättern, die der Frühling hervorbringt,
keine zwei vollkommen gleichen, so bleibt sich auch der
Meeresspiegel niemals gleich, sondern bietet einen ewigen
Wechsel der Beweglichkeit und der Beleuchtung dar.
Im Sommer bietet die Nordsee gewöhnlich die freund-
lichsten Bilder. Nicht wenig tragen die zahlreichen Segel,
deren zn jeder Zeit auf diesem befahrensten aller Meere ei-
nige zu scheu sind, zur Belebung des Gemäldes bei. Mit
ruhiger Bewegung sieht man sie in den sicheren Hafen ein-