Die Illustrirte Welt.
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Ansicht der Cnthedmle non Lincoln.
Die prachtvolle Cathedrale von Lincoln, die nach der
von Uork das größte und schönste Denkmal normannischer
Baukunst in England ist und auf einem, die obere und untere
Stadt beherrschenden Hügel liegt, kann von fünf bis sechs
Grafschaften, welche Lincolnshire umgeben, gesehen werden.
Ihre Länge von Ost nach West beträgt 530 Fuß und ihre
Brette 227. Ihr Portal und zwei von ihren drei Thürmen
datiren aus dem elften Jahrhundert und rechtfertigen die
Ansicht der Alterthumsforscher, welche die Gründung theils
Wilhelm dem Eroberer, theils seinem Sohn Wilhelm zu-
schreiben. Später wurde sie umgebaut und von Hein-
rich II. -er Maria geweiht. Die bemerkenswerthesten
Theile des ungeheuren Gebäudes sind der Chor und die
Kapelle der hl. Jungfrau. Besonders aber hebt man die
Glocke hervor, deren tiefer Ton, verbunden mit den Glocken-
klängen der zahlreichen Klöster von Lincolnshire und der
süerzehn Kirchen der Hauptstadt, vielleicht Anlaß zu der
irrigen Ansicht gegeben, welche England zu der klingenden
Insel Rabelais macht. Diese Glocke, welche im Jahre 1827
einen Riß bekam und 1834 zerbrach, wurde 1835 umge-
gossen und in den mittleren Thurm gebracht. Sie hat
heute an der Oeffnnng 18 Fuß im Durchmesser und wiegt
wehr als zehn Centner. Die Schwierigkeit, den Schwengel
inVewegung zu setzen, ist Ursache, weßhalb diese große Glocke
nur bei seltenen Gelegenheiten benützt wird.
Vor der Reformation galt die Kirche von Lincoln
für die reichste des Königreichs: Heinrich XIII. eignete
V'ößten Theil ihres Schatzes an und während der
Religionskriege unter der Regierung Karl I. wurden ihre
1854.
kostbaren Gräber beraubt, und sie mnßte, wie die meisten
der großartigsten religiösen Bauten jener Zeit, den Sol-
daten Cromwells zur Kaserne dienen.
Die beiden Brüder.
Eine jütische Dorfgeschichte.
Der Sommermorgcn war frisch und kühl; die Vögel
hatten sich bereits müde gesungen; aber der Morgenwind
war nicht müde; er schlüpfte unter die Blättcrhaufcn der
Bäume, um sie plötzlich in die Höhe zu werfen und dann
davonzusausen; er schüttelte die schweren Häupter der Korn-
ähren und streute wie ein ausgelassenes Kind den Duft
des gebeugten Klees nach allen Seiten. Droben auf der
grünen Höhe unter den rauschenden Eichbäumen steht ein
Baucrnbursche, ein starker, kräftiger Jüngling; milder
Hand das Auge beschattend, schaut er über die Felder hin.
Dort drunten zieht sich der Landweg durch üppige Korn-
felder, umsäumt von wildwachsenden Blumen und jungen
Bäumen, hin. Und doch ist es nicht gar lange, daß hier
die wilde Schlacht ihr blutiges Spiel trieb, daß schnau-
bende Rosse den Boden zerstampften, daß der Donner der
Kanonen die verstummten Vögel fortscheuchte, und ver-
breite Graben ein Todtenbett für manchen erbleichten
Krieger war. Rasch verwischen sich die Spuren solcher
Gräuel in der Natur; nur im Menschen leben sie fort
und können nicht ausgelöscht werden. Deßhalb ist Jo-
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Ansicht der Cnthedmle non Lincoln.
Die prachtvolle Cathedrale von Lincoln, die nach der
von Uork das größte und schönste Denkmal normannischer
Baukunst in England ist und auf einem, die obere und untere
Stadt beherrschenden Hügel liegt, kann von fünf bis sechs
Grafschaften, welche Lincolnshire umgeben, gesehen werden.
Ihre Länge von Ost nach West beträgt 530 Fuß und ihre
Brette 227. Ihr Portal und zwei von ihren drei Thürmen
datiren aus dem elften Jahrhundert und rechtfertigen die
Ansicht der Alterthumsforscher, welche die Gründung theils
Wilhelm dem Eroberer, theils seinem Sohn Wilhelm zu-
schreiben. Später wurde sie umgebaut und von Hein-
rich II. -er Maria geweiht. Die bemerkenswerthesten
Theile des ungeheuren Gebäudes sind der Chor und die
Kapelle der hl. Jungfrau. Besonders aber hebt man die
Glocke hervor, deren tiefer Ton, verbunden mit den Glocken-
klängen der zahlreichen Klöster von Lincolnshire und der
süerzehn Kirchen der Hauptstadt, vielleicht Anlaß zu der
irrigen Ansicht gegeben, welche England zu der klingenden
Insel Rabelais macht. Diese Glocke, welche im Jahre 1827
einen Riß bekam und 1834 zerbrach, wurde 1835 umge-
gossen und in den mittleren Thurm gebracht. Sie hat
heute an der Oeffnnng 18 Fuß im Durchmesser und wiegt
wehr als zehn Centner. Die Schwierigkeit, den Schwengel
inVewegung zu setzen, ist Ursache, weßhalb diese große Glocke
nur bei seltenen Gelegenheiten benützt wird.
Vor der Reformation galt die Kirche von Lincoln
für die reichste des Königreichs: Heinrich XIII. eignete
V'ößten Theil ihres Schatzes an und während der
Religionskriege unter der Regierung Karl I. wurden ihre
1854.
kostbaren Gräber beraubt, und sie mnßte, wie die meisten
der großartigsten religiösen Bauten jener Zeit, den Sol-
daten Cromwells zur Kaserne dienen.
Die beiden Brüder.
Eine jütische Dorfgeschichte.
Der Sommermorgcn war frisch und kühl; die Vögel
hatten sich bereits müde gesungen; aber der Morgenwind
war nicht müde; er schlüpfte unter die Blättcrhaufcn der
Bäume, um sie plötzlich in die Höhe zu werfen und dann
davonzusausen; er schüttelte die schweren Häupter der Korn-
ähren und streute wie ein ausgelassenes Kind den Duft
des gebeugten Klees nach allen Seiten. Droben auf der
grünen Höhe unter den rauschenden Eichbäumen steht ein
Baucrnbursche, ein starker, kräftiger Jüngling; milder
Hand das Auge beschattend, schaut er über die Felder hin.
Dort drunten zieht sich der Landweg durch üppige Korn-
felder, umsäumt von wildwachsenden Blumen und jungen
Bäumen, hin. Und doch ist es nicht gar lange, daß hier
die wilde Schlacht ihr blutiges Spiel trieb, daß schnau-
bende Rosse den Boden zerstampften, daß der Donner der
Kanonen die verstummten Vögel fortscheuchte, und ver-
breite Graben ein Todtenbett für manchen erbleichten
Krieger war. Rasch verwischen sich die Spuren solcher
Gräuel in der Natur; nur im Menschen leben sie fort
und können nicht ausgelöscht werden. Deßhalb ist Jo-