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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 26.1878

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14. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.52572#0330
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334

kleines Paket Briefe, das sauber in rosaseidenes Band ge-
knüpft war.
„Ei, ei! — wer hätte das gedacht?" murmelte ich ganz
überrascht von dieser Entdeckung, denn wir Alle hielten den
alten Herrn für einen ausgemachten Weiberverachter. Er that
ja immer so außerordentlich vernünftig, wenn wir junges Volk
einmal Thorheiten machten, und war von einem weiblichen
Wesen die Rede bei Tische, so wurde er roth und verlegen.
Deßhalb ganz besonders nannten wir ihn ja eben den „alten
Herrn" wegen dieser übergroßen Solidität und weil er es
niemals litt, daß in seiner Gegenwart Geschichtchen erzählt
wurden oder Jemand etwas über die Frauen sprach. — —
„Ei — Sapperment!"
„Wollen Sie nicht Platz nehmen, — darf ich Ihnen eine
Cigarre anbieten oder ziehen Sie eine Pfeife vor?" frug der
Premier mich höflich, nachdem das Geschäftliche vorüber war.
„Seien Sie nicht böse," erwiedertc ich artig ablehnend,
denn ich brannte darauf, hinauszukommen, wo die Anderen
schon mit dem Wagen auf mich warteten. „Ich bin heute ein
wenig in Eile. Noch einmal meinen besten Dank für Ihre
große Freundlichkeit."
Er reichte mir die Hand und ich ging hinaus.
„Nun, hast Du es?" fragen mich die da draußen.
„Ja wohl," nickte ich.
„Dann kannst Du lachen."
Der alte Herr lieh nämlich nicht Allen; dazu war er
viel zu vorsichtig. Nur Denen, zu welchen er besonderes Ver-
trauen hatte, streckte er vor.
Ich bekam meine Zulage schon am Ende des Monats
dießmal und bezahlte daher meine Schuld noch vor dem festge-
setzten Termin.
Helmrcich schmunzelte, steckte das Geld ein und strich mich
aus in seinem Buche.
„Dürfen wiederkommen," sprach er gutmüthig. „Setzen
Sie sich — rauchen Sie ein Pfeifchen mit mir."
Er sah so freundlich auffordernd dabei auf mich hernieder,
daß ich seiner Einladung dießmal Folge leistete.
Wir rauchten und plauderten und allmälig begann der
alte Herr dabei aufzuthauen.
Er hatte eine entschiedene Zuneigung zu mir gefaßt, schon
damals, das geschieht ja bisweilen so im Leben, ohne einen
sichtbaren Grund.
Er erzählte mir von seinen Studien. Geschichte trieb er
init Vorliebe, vor Allem aber Mythologie — das poetische
-Gemüth!
„Sehen Sie, die Leuts sprechen so viel über die Mangel-
haftigkeit der Kadettenerziehung," sagte er unter Anderem,
.„aber das ist Alles nur dummes Zeug, wir wissen ebenso viel
wie die Anderen, nur das Klassische fehlt uns, ja, das Klassische,
und das kann man nachholen. Der Mensch muß immerzu
lernen, sonst versauert er, Freund. Und wozu könnte man
.seine Mußestunden wohl besser anwenden, als um sich zu
vervollkommnen? Spart auch Geld dabei.
„Sehen Sie hier, alle Klassiker in deutscher Uebersetzung,
den Horaz, Juvenal, Cicero's Reden ... ein wahrer Schatz!
Tausend verborgene Reize, wovon Viele gar nichts ahnen . . .
Und dann — junger Freund, die Kunst, die edle Kunst!. . .
Za — das ist das Wahre!"
So sprechend deutete er auf die vielen Bilder an der Wand.
„Alles meiner Hände Werk — in Kreide, Bleistift, mit
der Feder und der Farbe. Nur bis zum Oelmalen habe ich's
noch nicht gebracht. Dafür aber hier — sehen Sie — —"
Er öffnete die Kammerthür und ließ mich hineinschaucn.
Ich prallte ordentlich zurück vor Schrecken. — Ein Schütze,
lebensgroß, lag mir gerade gegenüber im Anschlag und zielte
mit seiner Büchse nach meiner Brust.
„Sapperment!" rief ich unwillkürlich.
„Nicht wahr?" lachte er geschmeichelt, — „naturwahr —
naturwahr, Kleiner! ... he? — Und hier das noch."
Ich sah um die Ecke. Mein Staunen fand keine Worte:
An der einen Wand stand das schmale Feldbett, diesem gegen-
über aber, die ganze andere Seite einnehmend, erblickte ich ein
riesengroßes Bild. Ich mußte mir ordentlich die Augen mit
der Hand beschatten, so blendete es. Alles Gelb in Gelb,
hinten ein tiefblauer Strich und im Vordergrund ein Kahn,
auf welchem zwei Liebende in mittelalterlicher Tracht sich
schaukelten.
„Der Sonnenaufgang bei Malaga," erklärte Helmreich
mit einer entsprechenden Handbewegung.
„Ah!" machte ich unwillkürlich. — „Pompös! — Auf
Ehre! . .."
„Nicht wahr?. .. Das ist Kolorit! Wie? — Glanz. . .
Effekt!"
„Allerdings," erwiederte ich, mich einigermaßen erholend,
„aber wo ist Malaga?"
„Malaga ... ja, junger Freund, das liegt hier vorn, etwa
da wo Sie selbst stehen, das sieht man nicht. .. Das ist eben
das Wahre. Aber, nicht wahr, das Ding ist nicht übel?"
„Versteht sich, — grandios, magnifique," sprach ich mit
Feuer, dann, mit neuem Staunen sah ich auf eine seltsame
Sammlung von allerhand Musikinstrumenten in der Ecke hinter
dem Klciderschrank.
Ich war buchstäblich starr. Eine Guitarre, eine Geige,
eine Flöte, ein Harmonium und dergleichen mehr! —
,,^k voiln — ein ganzes Orchester, — Sie sind auch
musikalisch, Premier?" rief ich ungläubig.
Der alte Herr wurde ein wenig roth und wiegte lächelnd
den Kopf.
„Früher habe ich das Alles einmal getrieben, Kleiner,
Liber ich hatte keine rechte Ausdauer," sprach er verschämt und

Zllnstrirte M e l t.

deutete mit einer Handbewegung nach dem Winkel hin, wo
alle jene Instrumente sauber aufgehängt waren.
„Ueberdieß, man soll sich nicht zersplittern," fügte er hinzu.
„Ich ziehe die Malerei der Musik vor, ich empfinde höhere Be-
friedigung dabei und störe keinen Andern, denn Musik, Sie
wissen wohl, ist Dasjenige, was man zu seinem eigenen Ver-
gnügen und zu anderer Leute Mißvergnügen treibt."
„Sehr gut definirt!"
„Spielen Sie auch ein Instrument?"
Ich verneinte dieß.
Wir gingen dann wieder in die Stube und rauchten. Der
Premier war gesprächiger wie je heute. Er zeigte mir zuletzt
noch die kleinen Kunststücke, welche seine Kanarienvögel konnten,
und als ich Abschied nahm, bat er mich, doch recht bald wieder
zu kommen.
Ich kam in der That von da an öfters und wurde allmälig
mit dem alten Herrn ziemlich intim, soweit man das über-
haupt mit ihm werden konnte.
Eines Tages machte ich in einer übermüthigen Laune
einmal eine Anspielung auf jenes weibliche Porträt. — Er er-
schrak heftig, wurde sehr roth und sah mich halb traurig, halb
vorwurfsvoll an. In seinem Gesichte begann es eigenthümlich
zu zucken und seine Aeuglein blinzelten heftig ans und zu.
„Lassen Sie das," sprach er ernst, nachdem er sich gefaßt
hatte.
Ich machte mir Vorwürfe hernach wegen meiner Indis-
kretion; gewiß das Bild einer Verstorbenen, einer Verwandten
oder gar seiner Mutter, dachte ich, und kam nie wieder auf
jenes Thema zurück.-
Ich war ein wenig ausführlich im Aufzühlen aller dieser
Dinge, aber ich wünschte, daß der freundliche Leser ein recht
genaues Bild von dem lieben „alten Herrn" bekommen möchte.
*
Etliche Jahre waren seitdem verflossen. Es war im Herbst
1876.
Unsere Division hatte Manöver in der Gegend von X. . .
und ich war Fourieroffizier.
Die Quartiere waren im Allgemeinen nicht zum besten,
wenigstens nicht für die Offiziere. Auf dem Rückmarsch aber stand
es günstiger für uns.
Wir sollten am nächsten Tage Ruhetag haben. In dem
großen Dorfe, welches wir belegten, war ein Schloß, eine
Besitzung des Grafen B. Dort brachte ich die Stäbe hin.
Beim Förster aber quartierte ich mich selbst ein, mit Helmreich zu-
sammen.
Ich hatte immer meinen stillen Spaß mit dem alten Herrn,
er war so gutmüthig und komisch umständlich, und sodann war
er auch der Einzige in der Kompagnie, welcher nicht schnarchte. —
Kurzum, wir theilten mit einander die kleine freundliche Stube
und vertrugen uns vortrefflich.
Wir waren noch beim Kaffeetrinken am andern Morgen,
als die Kompagnieordonnanz für uns eine Einladung brachte
vom Grafen B. zum Diner.
„So? — Also sollen wir heute mit dem großen Löffel
speisen," sprach der Premier im tiefsten Baß. — 'S ist gut,
Ordonnanz — rufen Sie im Vorbeigehen meinen Burschen."
Der Bursche trat herein.
„Friedrich — meine besten Sachen," befahl der alte Herr
mit wichtiger Miene, „die Stiefeln mit den rothen Strippen,
frische Wäsche, Helm und gute Epaulettes, Alles spiegelblank,
Punkt zwei Uhr."
„So, und nun lassen Sie uns überlegen, Kleiner, was
wir mit unserem angebrochenen Morgen anfangen."
Wir gingen ein Stückchen in den Wald, angelten dann
und setzten uns hernach vor die Thür mit dem Förster zusam-
men, bis dieser zum Essen mußte.
„Herr Lieutenant, es ist zwei Uhr," rapportirte Friedrich
pünktlich. „Die Kleider sind sämmtlich zur Stelle."
Wir gingen hinein und kleideten uns an.
Unter den Sachen des alten Herrn bemerkte ich etwas sehr
in die Augen Fallendes, Buntes. Während er am Fenster sich
die Haare und den Bart ordnete, beugte ich mich seitwärts
und besah mir dasselbe. Mit einem Lächeln, welches nicht ohne
einige Ironie war, bemerkte ich einen prachtvoll gestickten
Hosenträger (o, wollet nicht crröthen, holde Leserinnen, ob dieses
harmlosen Wortes!). Auf rothem Grunde lief eine prächtige
Guirlande von Kleeblättern hin, das Ganze war gestickt in
Seide und Wolle und auf einen weichen ledernen Riemen ge-
heftet — ganz nach der alten Mode.
Lächelnd betrachtete ich das etwas prahlerische Kleidungs-
stück, besonders aber hafteten meine Blicke mit einiger Ver-
wunderung auf der untersten Stelle desselben, wo mit gelber
Seide eine Inschrift eingestickt war.
Aus
18
lautete dieselbe.
Ich schüttelte den Kopf. — Was konnte es nur bedeuten,
dieses Zeichen?
Aus — 18? ... Mir völlig unklar!
„Potz Blitz, Premier!" rief ich übermüthig, „welch' ein
kostbarer Artikel ist das hier! — Darf ich bitten, dieses Räthsel
mir zu lösen?"
Dabei deutete ich lachend auf: „Aus — 18."
Er drehte sich herum, die Bürste in der einen, den Kamm
in der andern Hand.
„Ah... Sie wünschen?" machte er, zog die Augenbrauen
merkwürdig hoch hinauf und wurde sehr roth.
„Ein Andenken," sprach er dann mit einer hochkomischen
Verschämtheit... Ich bitte Sie..."

„Ich sehe nur den einen — wo ist denn der andere?" rief
ich lachend.
„Die zarte Hand, die diesen hier Ihnen reichte, wiro
doch auch gemußt haben, daß diese Art von Maschinen stets
paarweise auf die Welt zu kommen pflegen."
„Ich bitte... scherzen Sie nicht über etwas, was mir
thener ist," sprach der alte Herr empfindlich und erhob sich
zn seiner ganzen Länge. Dann aber, wie um mir zu be-
weisen, wie ungereimt mein Scherz gewesen war, knöpfte er
erst den einen und dann noch einen zweiten an, welchen er unter
den anderen Kleidungsstücken, wo derselbe sich versteckt hatte,
hcrvorzog.
Noch einen verweisenden Blick warf er mir zu und besah
sich dann mit ernster, ja, wie mich dünken wollte, gerührter
Miene in dem kleinen Spiegel an der Wand.
In jenem Spiegel fand ich auch die Lösung des Rüthsels.
stand auf dem rechten, auf dem linken.
„Aus Liebe — 1866" machte das Ganze.
Wie außerordentlich zart und sinnig! —
Welche wunderliche Heilige mochte nur auf diese Idee da
gekommen sein? — Und wie komisch-tragisch der Premier meine
kleine Bemerkung soeben aufnahm!-
Ei — ei! .. . Sollten diese prahlerischen Dinger da vielleicht
gar mit dem bewußten Bilde und dem Päckchen Briefe Zusam-
menhängen, welche ich einst in dem geheimen Fache des Schreib-
pults erblickte?! —
So dachte ich während der ganzen Zeit, daß wir Toilette
machten, und mußte mit einem leisen Anflug eines Lächelns
immer wieder meinen alten Premier ansehen.
„Teufel — Teufel! . .. Stille Wasser sind tief!" sagt 's
Sprüchwort, sollte dasselbe auch vielleicht auf Diesen da passen?
— Es Hütte mir wirklich vielen Spaß gemacht, dahinter zn
kommen.
Mittlerweile war cs drei Uhr geworden, wir setzten uns
die Helme auf und gingen.
Es war ein herrlicher Septembertag, die Sonne schien goldig
in das breite Thal hinein, in welchem unser Dörfchen lag. Ein
kleiner Fluß eilte mit plätschernder Hast unter Brücken und
Stegen hindurch , über Mühlen und Wehre, zwischen Wiesen
und Gebüsch an uns vorüber.
Der Wind rauschte leise in den Baumkronen über uns,
kühl und herzerfrischend. Ueberall vor den Thüren und auf
der Gasse standen unsere Leute, im bequemen Drillichzeug, sich
der Ruhe und der guten Quartiere erfreuend, mit den Mäd-
chen schäkernd oder ihr Pfeifchen schmauchend.
Ein prächtiger Tag! —
Wir schlenderten langsam die breite Allee hinunter durch
das Dorf und kamen in's Schloß, freundlich empfangen vom
Grafen und seiner Familie.
Es war große Gesellschaft da, die Generale, die Obersten rc.,
wohl an die dreißig oder vierzig Personen, und beinahe lauter
Uniformen.
Wir machten unsere Reverenz und verloren uns dann be-
scheiden unter der Menge, das heißt ich that dieß, denn für
Hclmreich war ein solches Verschwinden unmöglich, sintemalen
er vermöge seiner Körperlänge stets um eine Kopfesbreite über
alle Anderen hinwegsah.
Im Gefühle seiner hervorragenden Stellung stand er denn
auch die ganze Zeit, ehe es zu Tisch ging, fest in einer Ecke in
seiner Lieblingspositur, das heißt die Rechte vorn zwischen die
Knöpfe geschoben, die Linke auf den Rücken gelegt, und machte
ein überaus ernstes, ja beinahe feierliches Gesicht.
Hernach beim Diner saß ich ihm schräg gegenüber. —
Sein Platz war neben dem einer gesprächigen alten Jungfer,
einer Verwandten des Hauses. Aus Mangel an Damen hatte
man es nämlich für paffend erachtet, in die große Guirlande
von Uniformen in ziemlich gleichen Abständen hie und da ein
Röslein einzuflechten. Der alte Herr hatte also einen ganz
besondern Treffer heute, war einer der wenigen Glücklichen.
Allerdings sollte ihm diese Ehre verhängnißvoll werden, —
doch ich will nicht vorgreisen.
Helmreich saß mit dem Rücken gegen das Fenster, durch
welches das Helle Sonnenlicht des schönen Herbsttages voll
hereinsiel, und um sein Gesicht, welches im sanften Halbschatten
blieb, wob dieses Licht einen Hellen, goldigen, fast verklärenden
Schein, indem es um seine röthlichen Locken spielte und Haupt
und Wangen koste.
Wunderbar gut paßte diese goldene Glorie zu seinem sanf-
ten, menschenfreundlichen Gesicht, zu dem flammenden Bart
und der hohen, spärlich behaarten Denkerstirn.
Wenn cs etwa Ihre zarten Gemüther verwundern sollte,
meine geschätzten Damen, ich kann wirklich nicht dafür, aber
ich versichere Sie, unser guter Premier sah an diesem denk-
würdigen Mittag aus wie ein Heiliger in Uniform.
Dazu paßte auch der milde Ernst, ab und zu durch ein
freundliches Lächeln unterbrochen, mit welchem er die ganze Zeit
der redseligen alten Dame znhörte und sich von ihr die besten
Bissen vorlegen ließ. Er machte übrigens in Wahrheit eine
vollständige Eroberung an seiner Nachbarin, denn diese sprach
ausschließlich nur mit ihm und ohne Aufhören, wie ich bemerkte.
Nach dem Braten kam der Champagner und damit zugleich
eine prachtvolle eiskalte Pfirsichbowle in großen, von außen ganz
von der Külte beschlagenen Krystallgefüssen. — Das war ein
wahres Labsal für den Manöverdurst!
Ich sah sie ihm einschenken und ihn mit Schmunzeln das
erste Glas von diesem Nektar an seine Lippen führen. Das ge-
sättigte Kolorit seines Charakterkopfes wurde dabei um einen
oder zwei Töne wärmer. — Eine artige Verbeugung gegen
die gütige Spenderin, ein leise geflüstertes Wort und er leerte
 
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