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14. Aeft.

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Kin Andenken.
Aus dem Leben erzählt
von
Johannes van Arwall.
(Nachdruck verboten.)
In unserem Regiment stand ein Premierlieutenant Namens
Helmreich, der von uns jüngerem Volke nur „der alte Herr"
genannt wurde. Derselbe hatte nämlich
schon den Feldzug gegen Oesterreich mit-
gemacht und meine Geschichte spielt im
Jahr 1876.
Der alte Herr war eine ganz eigen-
thümliche Erscheinung und in seinen:
Wesen, ohne ihm zu nahe zu treten, in
dieser Alles verflachenden Zeit ein Stück-
chen Original.
Ein lang aufgeschossener Jüngling
war er 1865 aus dem Kadettenkorps
als Fähnrich zum Regiment gekommen.
Die älteren Kameraden, welche ihn als
solchen noch gekannt haben, schilderten
ihn als einen gutmüthigen, etwas
timiden und blöde aussehenden Men-
schen von fünf Fuß und elf Zoll, mit
flach herabfallenden Schultern, kein Loth
Fleisch auf seinem ganzen Körper, un-
geschickten Gliedmaßen, großen rothen
Händen und ein Paar^ Füßen, auf
welchen er bequem im Stehen schlafen
konnte.
Von seinem Gesicht war eben auch
nicht allzu viel Günstiges zu berichten:
kurzes, röthliches Haar, kleine, weiß-
befranste Augen, ein großer Mund
und etwas abstehende Ohren, — das
Ganze übersät mit unzähligen Sommer-
sprossen, aber dabei von einer unend-
lichen Gutmüthigkeit im Ausdruck.
Sein Kapitän, als er ihn das erste
Mal zu Gesicht bekam, soll mit einem
wahren Entsetzen ausgerufen haben:
„Was, — zu meiner Kompagnie
soll er, — dieser undressirte Hühner-
hund? — Um Gottes willen, —Kapitän
d'armes, wo nehmen wir für Den die
Stiefeln und die Röcke her?" —
Jetzt freilich verschönert ihn der Voll-
bart und sein linkisches, timides Wesen
ist gemildert durch den Umgang mit den
Kameraden und die militärische Er-
ziehung, aber auf Ehre! — der alte Herr
hat noch heutigen Tages etwas von ei-
nem undressirte:: Hühnerhund an sich in
seinem ganzen Wesen. Das liegt aber
nun einmal in seinen langen, unge-
schlachten Gliedmaßen, dafür kann er
nicht, und im Uebrigen ist er eine
wahre Perle von einem Menschen.

Die Oekonomie, zu welcher Helmreich durch seine Armuth
verurtheilt wurde, hat ihn ein wenig einsiedlerisch und wunder-
lich gemacht.
Er spricht selten, aber dann immer im tiefsten Baß und
wie ein Buch. Er ist der beliebteste und gcachtetste Offizier im
ganzen Regiment, bei den Kameraden und bei den Leuten,
aber er hat eigentlich keinen speziellen Freund. Er verkehrt
gern mit uns und führt den Vorsitz bei Tisch, er geht auch in
Gesellschaften, wenn keine übertriebenen Unkosten damit ver-
bunden sind, am liebsten aber sitzt er doch zu Haus, in seinen
eigenen vier Pfählen.
Ich war einige Male bei ihm — daß
ich's offen sage, zumeist um Geld von
ihm zu leihen. Er bewohnte, solange ich
denken kann, eine Kasernenwohnung,
Stube und Kammer — wie er sagte,
um bequemer» Dienst zu haben, im
Grund aber nur aus Billigkeitsrückfichten.
Möbel gab es wenige darin, außer
einem durchgesessenen Sopha und einem
plumpen Schreibtisch nur Kasernenuten-
silien (L. II.), eine Kommode, ein Holz-
kasten, Tisch und Spiegel. Dafür schmück-
ten die Wände eine Unzahl von Zeich-
nungen und Gemälden, und eine große
Kanarienhecke hing am Fenster.
„Können Sie mir nicht zehn Thaler
leihen, lieber Premier?" sprach ich nach
einigen Umschweifen, „ich gebe sie Ihnen
am nächsten Ersten ehrlich wieder."
Der alte Herr sah mich an, halb
musternd, halb vorwurfsvoll, dann
brummte er ein wenig, legte die Pfeife
fort und schlug dcu alten fadenscheinigen
Schlafrock fest um seine dürren Glied-
maßen.
„Hm — heute haben wir erst den
Achtzehnten," sprach er... „haben
schlecht hausgehalten, junger Herr .. .
Run, ich freue mich, Ihnen dienen zu
können."
So räsonnireud trat er an seinen
Schreibtisch, schloß das mittelste Fach
auf, nahm ein abgerissenes Notizbuch
heraus, in welchem eine ganz erhebliche
Zahl von Kassenscheinen sich befand, und
zählte mir, nachdem er vorsichtig den
Finger befeuchtet hatte, zehn Thaler
langsam auf den Tisch.
„Ich bitte," sprach er mit einer auf-
fordernden Handbewegung.
Darauf nahm er eine andere Brief-
tasche heraus und machte darin eine
kurze Notiz.
Ich war indiskret genug, während
er dieß Alles sehr umständlich that,
einen Blick in jenes mittelste Fach zu
werfen, und entdeckte im Hintergründe
desselben das Porträt einer Dame,
von einem Kranz von verwelkten Blu-
men eingcrahmt, und daneben ein

Ohne einen Pfennig Zulage hat derselbe sich anständig
durchgeschlagen und dabei niemals Schulden gehabt. Trotzdem
aber hat er Alles mitgemacht in den langen Jahren, was
der Anstand erfordert, ja, er hat sogar noch zurückgelegt und
Anderen abgegeben von seinem Ueberfluß.
Nicht einer Handlung kann ihn Jemand zeihen, welcher er
sich zu schämen hätte, und wenn es einstmals einen Unterschied
gibt dort oben im Himmelreich, dann, denke ich, wird der alte
Herr hoch obenan zu sitzen kommen, trotzdem seine äußere Er-
scheinung, auch mit dem Vollbart, eben keine verführerische ist.

Humbert I., König von Italien. Originalzcichnung. (S. 838.)

Jllustr. Welt. XXVI. 14.

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