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AdthSuMrtVNNLtKSM


20. (Re^t.

^tuttgurt. Adiffrig üNll ^ien.

Eine ereignisreiche Wacht.
Novelle
von
Marr. Soyrn.
(Nachdruck verboten.)
Die Mittagsstunde für den „rothen Adler", das erste
Hotel der Stadt L .. ., war vorüber. Die Reisenden,
welche im Hause lelbst logirten, hatten ihre Zimmer aus-
gesucht, und die jungen Leute der Stadt, welche gewohnt
waren, in diesem bestrenommirten Gasthause der Stadt
ihr tägliches Mittagsmahl einzunehmen, hatten sich be-
reits auf den Heimweg gemacht. Im ersten Stock des
ziemlich umfangreichen Gebäudes befand sich vor einem
der elegantesten Zimmer ein Balkon und auf demselben
saß ein noch junger Mann, mißvergnügt auf die weni-
gen Fußgänger niederschauend, welche zu dieser Zeit den
einsamen Marktplatz, an welchem der „rothe Adler" lag,
spärlich belebten. Der junge Mann lag nachlässig in
einem Schaukelstuhl; die schönen, wohlgeformten Hände
ruhten auf den Seitenlehnen; der zurückgebogene Kopf
zeigte eine wohlgcformte Stirne, dunkle, etwas matt
blickende Augen, und einen festen, entschlossenen Mund
unter einem braunen Vollbarte.
Die Langeweile, welche augenscheinlich den Ruhenden
plagte, schien durch deu Anblick des von der Sonne eines
heißen Spätsommertages durchglühtcn Marktplatzes nicht
gestillt zu werden. Unmuthig erhob er sich und trat in
das Zimmer zurück. Sein Auge überflog mechanisch die
halb elegante Ausstattung desselben, er trat an den
Schreibtisch, auf welchem Zeitungen lagen, und wurde
durch den Anblick eines dort wohl während seiner Abwesen-
heit vom Zimmerkellner für ihn niedergelegten Briefes
aus seiner Lethargie aufgcschreckt.
„Ein Brief," murmelte er, „von Moorhausen? von
der Tante? was kann das sein?"
Rasch entfaltete er das Blatt und las:
„Moorhauscn, den 25. September 187—.
„Geliebter Bernhard!
„Durch Deine Mama erfahre ich, daß Du für einige
Wochen Dein geliebtes Seeberg verläßt, eine Nachricht,
welche mir eben so unglaublich erscheinen will als die
Ursache Deiner Abreise. Die Schwester theilt mir mit,
daß Du von einer schon lange empfundenen Unruhe in
letzter Zeit dermaßen erfaßt seiest, daß Dir ein Verbleiben
zu Hause unmöglich geworden. Dein theures Seeberg,
so recht eigentlich die Schöpfung Deines Fleißes, Deiner
seltenen Eenergie, willst Du verlassen? Kann das wahr
sein? Die Schwester schreibt, Du hieltest Deine Aufgabe
dort für völlig beendet und dadurch für Dich eine dauernde
Zeit der Ruhe in Aussicht. So seist Du denn entschlossen,
für unbestimmte Zeit Dich auf Reisen zu begeben, um zu
sehen und zu genießen, und um schließlich irgendwo in
unserem gesegneten Vaterlande Dich auf einer so recht ver-
wahrlosten Scholle Landes festzusetzen, um wiederum aus
einer Wüste ein Paradies zu schaffen. Ich habe nun einen
Vorschlag, — nein, laß an Dein gutes Herz selbst mich
wenden, — eine Bitte an Dich. Komme doch jetzt, noch
ehe Du feste Pläne gemacht hast, zu dem Onkel und mir
Jllustr. Welt. XXVI. so.

Neapolitanischer Kondolier. Originalzeichnung von P. Wagner. (S. 484.)
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