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Dtutigsrt, HtipLig «nck Hirn.

Uietro Kiconi.
Erzählung nach englischer Quelle
vo.r
L. W.
(Nachdruck verboten.)
Es war das eine lebendige und hübsche Szene: die Sonne
schien herrlich und glänzend, wie sie in Italien scheint; auf
dieser Höhe jedoch, am Abhange des Gebirges, wehte ein frisches
Lüftchen von den umliegenden Hügeln und der Ebene unter
ihnen herüber, das sanfte Kühlung fächelte und in dem zarten
Laube des Weinstockes und in den langen schmächtigen Zweigen
des Olivenbaumes leise rauschte.
Es war in der ersten Ernte dieses unschätzbaren und frucht-
baren Baumes, von dem es heißt, daß ein guter Ertrag alle

mit einem Aufsatze wie bei unfern Stulpstiefeln; an den Seiten
waren sie mit Schnallen zusammengezogen und gingen unten
in einen starken Schuh von russischem Leder mit breiter, dunkel-
brauner Schnabelspitze über.
Die kurzen Beinkleider waren schwarz, an den Knieen auf-
geschlitzt, wodurch die weißen Mutande oder Unterhosen zum
Vorschein kamen. Um den Leib hatte der Mann einen grün-
seidenen Gürtel geschlungen, seine Weste war verschossen roth,
mit Aermeln von derselben Farbe, geflickt und beschmutzt, und
die über die linke Schulter hängende Jacke ebenfalls roth, jedoch
von dunklerer Farbe. Sein Hut, von der Form derjenigen,
wie sie von den Bauern und Banditen getragen werden, hatte
keinen andern Schmuck, als eine Schnur von Pferdehaar und
Schweinsborsten, in welche eine Blume gesteckt war; derselbe
!. saß etwas leichtsinnig auf einer Seite, aber, wie cs schien, mehr
! wegen der Gestalt des Kopfes unter ihm, als aus sonstiger

Absicht seines Trägers. Er war ein wenig in die Augen ge-
drückt, aber unter ihm erschien ein heiteres, glückliches, gut-
mütiges und selbst edles Gesicht, wie man es unter Tausenden
nur einmal finden mag. Sein Mund zeigte zwei Reihen hüb-
scher Zähne und es ruhte auf ihm ein so sanftes und natür-
liches Lächeln, daß man ihm unmöglich mißtrauen konnte. Nur
in feinem hellgrauen Auge lag ein Blinzeln, das nicht Alles
zu sagen, sondern Manches für sich zu behalten schien. Es
flößte nicht sogleich vollkommenes Zutrauen ein, bei näherer
Betrachtung ließ sich jedoch kein Grund zu Mißtrauen oder
Widerwillen darin finden. Kurz, cs war das Bild eines schlich-
ten, einfachen, ehrbaren Mannes, und der so erschien war einer
der größten Landstreicher Italiens.
Pietro Ciconi hatte in seiner Art nicht leicht seinesgleichen.
Niemand verstand so wie er aus seinem eigenthümlichen Handel
Gewinn zu ziehen. Bei jedem Kauf- oder Tauschgeschäfte beutete

zehn Jahre dem Anbauer die geringe Mühe
und Pflege, welche er darauf verwendet,
ersetze. Einige Weiber, Mädchen und
Kinder waren emsig beschäftigt, die
Früchte einzuheimsen, so viel ihrer für
die Oelmühle reif genug erfunden wurden.
Die Bäume waren zahlreich und be-
laden mit der kostbaren Frucht, obgleich
erst wenige Wochen vergangen waren,
seit der neue Blätterschmuck das alte Laub
verdrängt hatte, das nun verdorrt und
abgestorben im Grase lag. Nur hie und
da sah man an einem Zweige einzelne
überjährige Früchte hängen, welche stets
das reinste Oel liefern und eine Lieblings-
speise der Italiener sind. Diese Oliven
waren völlig schwarz geworden. Der Hain
erstreckte sich in einer langen Linie von
der Mitte des Berges an aufwärts, und
da seiner schrägen Lage wegen die lockere
Erde hätte hinabrutschen müssen, waren
von Steinen niedrige Wälle aufgeworfen,
sie aufzuhalten, welche eine Anzahl hori-
zontaler Terrassen bildeten, auf denen
die Bäume wuchsen und die Landbewohner
in bunten Gruppen beschäftigt waren oder-
faulenzten.
Auf einem schmalen Pfade, der sich
um den Berg schlängelte und von Felsen-
stücken und wildem Strauchwerk eingefaßt
war, kam ein kleiner, stämmiger Marr
leichten und emsigen Schrittes daher und
stützte sich im Hiiiabsteigcn auf einen lan-
gen Stab. Er sah weder wie ein Bauer
aus, noch wie ein Viehhändler, noch wie
ein Handelsmann oder Negoziant, wie
man diejenigen Leute nennt, welche solche
kleine Maaren mit sich führen, die von
den Bauern und Hirten gekauft werden;
dennoch lag in seinem Wesen etwas Ge-
schäftliches. Er war augenscheinlich kein
Städter, und doch schien er auch kein
Fremder zu sein. Anstatt der gewöhn-
lichen Scioci trug er eine Art starker Halb-
stiefel oder Gamaschen von schwarzem Leder-


Graf Peter Schuwaloff. Originalzeichnung. (S. 855.)

er nicht nur sein Opfer auf die unver-
schämteste Weise aus, sondern wußte es
auch in der Regel so zu wenden, daß
nur er als das Opfer seiner Freigebigkeit
erschien.
Das Vorwiegende in dem Charakter
Pietro's schien etwas Besonderes zu sein,
das alle Welt für Weichherzigkeit hätte
halten sollen — eine Art kindlicher Einfalt
und Gutherzigkeit, welche Jeder zu seinem
Vortheile benützen zu können glaubte.
Dieses stand ihm so natürlich, daß Nie-
mand daran dachte, eine so harmlose Waffe
gegen sich selbst gekehrt zu sehen. Von
einem Lügner heißt es, daß er so lange
lüge, bis er seine eigenen Märchen für
wahr hält. Pietro betrog sicher mit einem
solchen Scheine großmüthigen Handelns,
daß er sich selbst für den ehrlichsten Mann
von der Welt halten mochte. Wenn es
sich so verhielt, so war dieses eine Mei-
nung, die nur er allein gefaßt hatte, denn
allgemein hieß es, im ganzen Kirchen-
staate gebe es keinen zweiten solchen „bir-
don6 inkume" (nichtsnutziger Spitzbube)
mehr, und wenn man davon einen Be-
weis haben wollte, so brauchte man sich
nur in ein Geschäft mit ihm einzulassen.
Pietro Ciconi war, was in Italien ein
„MUllutsnZolo" heißt, bei uns ein Diebs-
hehler, der gestohlene Sachen kaust und
verkauft.
Aber sein Geschäft war gefährlicherer
Art, als dasjenige seiner Brüder in un-
seren Städten. Anstatt in einem engen
dunklen Winkel zu wohnen, wie eine
Spinne in der Ecke, bereit, über Alles
herzufallen, das sich in ihr Netz verirrt,
sah man Pietro stets unter den Leuten,
lebhaft und thätig. Er wanderte aus den
Bergen umher und besuchte ungehindert
und frei die kleineren Ortschaften, und
das war vielleicht der Grund seines ge-
sunden und vergnügten Aussehens. Er
schien immer sehr viel zu thun und nichts

Allustr. W-lt. XXVI. 23.

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