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5. Kch.

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Die Wertorene.
Erzählung
von
Galduin Möllhausen.
(Nachdruck verboten.)
Erstes Kapitel.
Wie eine Perle erscheint die Landenge von Panama, wie
eine Perle, ausgestreut, um die Sinne zu berauschen, das Auge
zu entzücken, zu blenden. Was
einer schöpferischen Naturkraft
an Formenreichthum und Far-
benpracht zu Gebote steht:
hier hat sie es angehäuft.
Im wilden Gewirre von
Schlingpflanzen verschwinden
fast die Waldbäume. Lianen
weben ihre wunderbaren Ge-
rüste von Stamm zu Stamm,
umspinnen als zarte grüne
Netze Neste und Zweige. In
Prachtgewänder kleiden zahl-
lose blühende Schmarotzer-
pflanzen die riesenhaften
Baumleichen, gestorben unter
der Jahre Last, erstickt in
einer Flut dicht verschlungenen
Blätterwerks, erwürgt durch
gewaltige, eisenfeste, den Kreis-
lauf der Säfte hemmende
Ranken. Jeden Widerstand
besiegend, drängt sich empor
die- malerische Krone der
Palme; majestätisch überschaut
die Königin des Waldes ihr
Zauberreich, während nach-
barlich Rohrhalme bis zu glei-
cher Höhe dem Licht entgegen-
streben, baumartige Farn-
kräuter Blatt auf Blatt träu-
merisch entrollen. Aus den an-
muthig geschwungenen Festons
wiegen sich Affen und Papa-
geien. Ihr muthwilliges
Schnattern und Kreischen über-
tönt das ununterbrochene
Schwirren und Summen zahl-
loser Fluginsekten und zänki-
scher Kolibris. Wo massives
Gestein oder durch heftige
Regengüsse erzeugte Sand-
schollen der Vegetation feind-
lich entgegentraten, da sonnt
sich das fest gepanzerte Arma-
dill, schlürfen große Eidechsen
mit weit geöffnetem Rachen
wollüstig die heiße Luft ein. —
So bietet die Landenge
von Panama ein Bild üppig-
Jllustr. Welt. XXVI. 5.

ster Pracht und tiefen Friedens. Doch wenn das Auge berauscht
wird durch den Anblick des unerschöpflichen Reichthums einer
rastlos wirkenden Naturkraft, so brütet die Alles durchdringende
Glut der senkrechten Sonnenstrahlen schädliche Miasmen aus
dem feuchten, ewig beschatteten schwarzen Erdreich, trägt der
Athen: dem Sterblichen tödtliche Fieber und schleichendes Siech-
thum zu.
Es bedroht den arglos Einherschreitenden der Biß giftig be-
waffneter Reptilien, es rauben ihm die nächtliche Ruhe eine uner-
träglich verdichtete Atmosphäre und Myriaden peinigender Insekten.

In grellem Kontrast zu dem Charakter einer tropischen Ur-
wildniß steht die Eisenbahn, welche Ozean mit Ozean verbindet,
steht das Aechzen der Dampfmaschine, welche in stundenlanger
Fahrt einen Kontinent durchschneidet. Es begegnen sich auf
dem Isthmus der goldlüsterne Emigrant und der übersättigte
Kalifornier. Westlich stehen die Blicke und Hoffnungen des
Einen, östlich, nach manchen herben Enttäuschungen, die des
Andern. Beiden fächelt die schnelle Fahrt Kühlung zu. Un-
beachtet fliegen zu beiden Seiten von ihnen vorüber die exo-
tischen Bilder und Szenerieen, es verhallt die unheimliche Kunde,
daß der ganze Schienenweg
von Ozean zu Ozean mit den
Gebeinen Derjenigen bedeckt
werden könnte, welche bei
Herstellung desselben ihr Grab
fanden. Und was kümmert
Derartiges einen Reisenden?
Was kümmerte es einst Die-
jenigen, welche mittelst gol-
dener Versprechungen die
Leichtgläubigen aus allen
Himmelsrichtungen auf dem
Isthmus, diesem von zaube-
rischem Glanz umflossenen
Giftwinkel, zusammentrieben?
Was kümmerte sie es, wie
bald ihre Opfer dahinsanken,
und zählten deren Handleistun-
gen nur nach Tagen? Eine
Tagarbeit kam zur andern,
half fördern ein Werk, auf
welches heute die civilisirte
Welt mit Stolz blickt. Ver-
gessen sind die Todten; un-
durchdringlicher Pflanzen-
wuchs entrückt dem Auge die
Gräber der Verschollenen.
Weit draußen in der Bai
von Panama ankerte das
Schiff, welches die Kalisornia-
müden gebracht hatte. Sich
zur Fahrt nordwärts rüstend,
entquollen schwarze Rauchwol-
ken seinem Schornstein. Noch
dampfte nahe der Einschif-
fungsstätte die Lokomotive,
welche die Auswanderer von
Aspinwall herübergeholt hatte.
Zwischen dem Seedampfer und
der Landungsbrücke flog ein
kleines Schraubenboot hin
und her. Hin mit Passagieren
und Gütern, zurück leer. Zwei
Fahrten hatte es bereits ge-
macht, und noch immer dräng-
ten sich vor der Brücke zahl-
reiche Menschen, welche beför-
dert zu sein wünschten. Jeder
wollte der Erste sein. Nach
vorn kämpfte mit Macht, was
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Kindesraub. Gemälde von H. Schaumann. (S. 110.)
 
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