Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
A§chsnnäLNSnrigsm 16. l6e^1. ^ttttts-rkt, IdipLig «nil ^»il.


Eigene Wege.
Novelle
von
E. Krithen.
(Nachdruck verboten.)

Das hölzerne Thor, das von dem kleinen Hofraume der
alten Burg zu Nürnberg in den ehemaligen Burggarten führt,
knarrte laut, und eine alte, schlicht ge-
kleidete Bürgersfrau trat in den Küstern,

und von Neuem standen Thränen darin, aber sie antwortete
nicht.
„Nun, um Gottes willen, was gibt's denn mit Dir," sprach
die alte Frau weiter. „Das ist ja zum Erbarmen, ist denn
Dein Kummer so gar hart und heimlich, daß Du ihn in den
letzten Winkel von Nürnberg tragen mußt! Kannst's denn
Deiner Muhme Waiblinger, der besten Freundin Deiner Mutter
selig, nicht 'mal sagen, was Dich so unglücklich macht?"
Das junge Mädchen hatte in einem erneuten Ausbruch
seines Schmerzes die Hände wieder vor das Gesicht gelegt, sich

auf die Bank niedergeworfen und schluchzte krampfhaft. Rath-
los stand die alte Frau vor diesem tiefen Kummer und schüttelte,
höchst beunruhigt, leise den Kopf, den die schrecklichsten Gedanken
durchkreuzten. Endlich setzte sie ihren Korb rasch auf die Erde
nieder und nahm bedächtig neben Veronika auf der Bank Platz,
die sie erst mit einigem Mißtrauen geprüft hatte.
„Jetzt," sagte sie entschieden, ihre harte Hand auf des
jungen Mädchens Schulter legend, „hab' Dich nicht so wunder-
lich und red' vernünftig, was ist's? Entweder es läßt sich
abstellen, und dann finden Zweie bessern Rath als so ein
Grützkopf allein, oder es ist nicht zu
helfen, — da müßt's freilich schlimm

von hohen alten Linden beschatteten
Raum, der in seiner völligen Abge-
schlossenheit einen tiefernsten Eindruck
machte. Die alte Frau, mit ihrem Korb
am Arm, schien für solche Empfindun-
gen nicht gestimmt; suchend durchschritt
sie die grasübcrwachsenen Gänge des
öden Gartens, der, von der hohen Burg-
mauer umschlossen, nur da und dort
Blicke in die freie Ebene des Franken-
landes hinaus bot, und da sie keine
menschliche Seele gewahrte, stieg sie auf
der verwitterten hölzernen Treppe nach
einem höher gelegenen Theile des Gar-
tens empor, von wo man einer freieren
Umsicht auf die grüne Landschaft zu
Füßen der Burg genoß. Als eine Um-
schau aber auch hier vergebens gewesen,
wollte sie eben wieder hinabsteigen, denn
der Garten hatte nur einen Ausgang,
als ein leiser, unerklärlicher Ton sie
stehen zu bleiben veranlaßte. Sie lauschte
und rief dann: „Ist Jemand hier?"
Der Ton verstummte augenblicklich,
aber entschlossen drehte die Frau um und
ging ihm nach, bis hinter ein vorsprin-
gendes Thürmchen, an dem die Mauer
abschloß und den Gartenraum ciuhegte;
hier befand sich unmittelbar vor einer
Schießscharte, die eine umfassendere Aus-
sicht als die übrigen bot, ein kleines
hölzernes Bänkchen, an den Thurm ge-
lehnt, und ein einfach gekleidetes junges
Mädchen saß hier, die ineinander ge-
fallenen Hände vor die Augen gelegt
nnd den Kopf an die graue Maner ge-
stützt. Bei den raschen Tritten der Alten
fuhr sie zusammen und schnellte mit
istigem Wegziehen der Hände und
tiefem Erröthen auf, aber ihre Ver-
wirrung wich sichtlich, als sie die alte
Frau nur erblickte.
„Ach, Sie sind's, Muhme!" sagte
sie erleichtert.
„Ja wohl bin ich's, aber ich möchte
fragen, bistDu's denn wirklich, Veronika?"
sagte die Alte, „warst Du's, die eben
hier weinte?"
Veronika schlug die Augen nieder


Das gerettete Zicklein.
Aus „Schweizerische Bilderbogen". (Verlag von Bari L Jecker in Bern.) (S. 401.)

sein und halt auch ertragen werden."
„Da ist nicht zu helfen," brach
Veronika jetzt heftig aus, „und schlim-
mer als schlimm ist's, aber das weiß
ich, daß ich's nicht ertrag' und wenn ich
mir's Leben nehmen soll!"
„Wie sprichst Du tolles Zeug," sagte
die Alte, unmuthig den Kopf schüttelnd,
„Du wirst noch Manches tragen müssen
und Dein Leben nicht drangcben, —
hast Du was angerichtet?"
Veronika, die nicht die Sanfteste
schien, fuhr auf.
„Muhme!" rief sie mit blitzenden
Augen, „das laß ich mir nicht sagen,
ich hab' mich immer ehrbar geführt und
bin nur für Andere der Sündenbock."
„Nun, nun, um so besser für Dich,"
sagte die Muhme, „besser Unrecht leiden,
als Unrecht thun, weißt, wenn man un-
schuldig ist, läßt sich Alles verwinden
und man kann auch gewiß auf Abhülfe
von Oben rechnen. Da sei Du froh!"
„Froh soll ich sein, wenn mein Vater,
den ich gepflegt hab' wie 'nen Prinzen,
dem ich Alles an den Augen abgesehen,
hingeht und mir ein fremdes Weib in's
Haus bringt, ein junges Laffengesicht,
nicht viel älter als ich — und von mir
verlangt, ich soll das Frauenzimmer als
meine Mutter ansehen! O, wenn das
meine selige Mutter wüßte, die käme doch
gleich vom Himmel her und nahm' mich
zu sich, da wär' mir wohl."
Mit einem jammervollen Blick und
gerungenen Händen sah sie zum Him-
mel auf.
„Um Gott, das kann wohl nit sein,"
nahm nach nner Pause, in der sie sich
von ihrem Schrecken erholt, die Muhme
das Wort. „Dein Vater hat ja kein
ander Glück gekannt als Dich, seit die
Marie von ihm ging. Er war ja ein
wahres Musterbild und that vor der
Zeit alt, ich sagte immer, das thut nicht
gut; wie ist denn das so gekommen?"
„Davon weiß ich rein nichts. Er
ging wohl mehr aus als sonst, aber
ich merkte es nicht, denn das Fräulein im

Zllustr. Welt. XXVI. w.

51
 
Annotationen