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7. Keft.

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Gräfin Siöylla.
Roman
von
Äterandrr Römer.
lForlsetzung.)
Gertrud saß an Sibyllens Lager, welche noch besinnungs-
los in's Haus getragen worden war. Nun hatten die kräf-
tigen Wiederbelebungsversuche gewirkt, Gertrud's vorsorgliches
Walten, die gewärmten Kissen und Decken, der heiße Thee er-
wiesen sich als eine große Wohlthat für die Erstarrten und
zum Tod Erschöpften. Sibylla war
schon seit einer Stunde wieder bei
Bewußtsein und hatte ein paar leise,
kurze Fragen an Gertrud gethan.
Jetzt lag sie ruhig und still, die
Augen geöffnet, aber mit starrem
Ausdruck auf die Zimmerdecke ge-
richtet. Von Zeit zu Zeit streifte sie
über den Finger, an dem der Braut-
ring fehlte. Er hatte nicht gepaßt,
er war viel zu weit gewesen und er
lag unten auf dem Meeresgründe.
Mitunter flog dann ein leises Zittern
durch ihren Körper — Gertrud be-
eilte sich, die Decke fester über sie zu
breiten, und veranlaßte sie, noch et-
was von dem heißen Getränk zu
nehmen, das über der Spiritus-
flamme glühte. Sibylla dankte ihr
mit einem innigen Blick, sprach aber
nicht, und Gertrud verstand, warum
sie nicht sprach, und quälte sie durch
kein Wort.
Gertrud bedurfte selbst der Ruhe
und Sammlung, noch immer klopfte
ihr Herz in wilden, unnatürlichen
Schlägen; die furchtbare Stunde,
welche sie verlebt, ehe die Geretteten
anlangteu, blieb für alle Zeit ihrem
Gedächtnis; eingegraben. Sie hatte
es gewußt, daß Falk hinausgefahrcn
—' „in den sichern Tod", wie die
Leute sagten, also Drei, welche ihr
so nahe standen — und wer von
den Dreien ihr der Nächste war, das
hatte jene Stunde ihr gesagt mit
unumstößlicher Gewißheit. Und nun
saß sie, die Hände im Schooß ge-
faltet, und beobachtete still Sibyllens
Züge. Ach! das Glück jenes „Näch-
sten" lag in Sibyllens Hand, sie
wußte das — sie hatte er sich ge-
holt, den; Tod abgerungen, aus den
Fluten, sic mußte ja nun doch fest
zu ihm gehören — sie, welche in
vchwankeu und Leichtfertigkeit seinem
Jllustr. Wett. xxvi. 7.

Beleidiger gefolgt war. — Einfache Gertrud! mit dem treuen,
reinen Sinn, Du ahnst nicht zur Hälfte, was in Sibyllens
Seele vorgeht, Du ahnst nichts von dem Brautkuß auf dem
Meer — der Mann, der sie liebt, hat sie dem Tod abgerungen,
aber er kann sie nicht schützen vor dem Leben, das sie selber
sich bereitet, — er hat sie dem Meer entrissen, auf das sie
leichtfertig sich gewagt, aber er kann sie nicht retten vor den
Dämonen, welche sie weit — weit von ihm entfernt haben
— weiter, als der Tod es gethan hätte.
Auch Falk hat sich auf sein Lager geworfen, todmüde, aber
wunderbar ruhig im Herzen. Er hat sie geborgen, — sie und
auch feinen Feind. Wie still ist es wieder in der Natur ge-
worden, der Mond scheint in das Gemach, spiegelt sich silber-
klar in dem Meer, das von seiner Tücke nichts mehr ahnen

läßt, es ist so ruhig und friedevoll wie an jenem Abend, da
er an ihre Liebe geglaubt. Ihm ist so seltsam zu Muth, als
sei er der Gegenwart entrückt und weit in vergangene Zeiten
zurückversetzt. Die Mutter, die lang Entschlafene, beugt sich
über ihn — es sind wieder die seidenen Decken der Heimat,
die goldenen Engel an der Krone des Betthimmels, die weichen
Teppiche, über welche des alten Dieners Fuß lautlos gleitet.
„Mutter, sag' mir — nicht wahr, ich habe geträumt, o,
es war ein böser, ein grausiger Traum, als sie dabei stand,
während er mich zu höhnen und zu kränken versuchte, und dann
ihm die Hand reichte, um hinauszufahren auf das weite, wüste
Meer."
Aber die Mutter stand so stumm und unbeweglich neben
dem Lager, er wollte die Hand heben und sie zu sich herab-
ziehen, aber die Hand hob sich nicht
und die Augenlider waren so schwer
— die Bilder verschwamme» vor
seinen Blicken — auch das bleiche
Mondlicht und sein zitternder Strahl
— er schlief — schlief endlich tief
und traumlos.
Heino dagegen wälzt sich ruhelos
umher, sein Bursche rückt die Kissen
so und so, aber er kann es nicht recht
machen und es hagelt ein Donner-
wetter nach dem andern auf sein un-
schuldiges Haupt.
„Der Herr Graf fiebern," sagt
der Bursche schüchtern, „ich will ein
Glas Limonade mischen —"
„Ja — Fieber — kein Wunder,"
brummt Heino, „muß ich auch auf
diesen verdammt tollen Einfall kom-
men, hieher zu reisen" — und er
knirscht heimlich mit den Zähnen. Die
Geschichte hat sich zu dumm abgespielt,
hätt' er doch lieber dem Beelzebub
selber sein Leben gedankt als diesem
— diesem — und natürlich ist der
nur Sibyllen nachgesprungen — Si-
bylla, welche er seine Braut genannt
— er seufzt tief und wirft unwirsch
den Kopf hin und her.
„Friedrich!"
„Zu Befehl, Herr Graf!"
„Hast Du mir nicht etwas von
einem Telegramm vorqeschwatzt vor-
hin?"
„Zu Befehl, Herr Graf, hier ist
es; es kam heute Nachmittag an, als
Sie da draußen im Sturm waren."
„Tölpel, warum gibst Du es mir
nicht gleich?"
„Verzeihen, Herr Graf — ich
sagte — aber der Herr Graf warfen
mir den Stiefel an den Kopf."
„Esel — weil Du doch wohl
einsehen konntest, daß ich Wasser
genug gepumpt, um von der Welt
nichts zu wissen."
22


Staatsminister von Bnlow. (S. 159.)
 
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