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'^§2 Vccli-nntlruülULigoicr lihrgilirg.

25. K-ft.

Dtuitgarl, Hciprig unil Hirn.

Gin Sonnenstrahl.
AuS den Erinnerungen
eines Detektive
L. Maurice.
(Nachdruck verboten.)
In einer Seitenstraße der
großen Stadt wohnte still und
zurückgezogen in einem kleinen
freundlichen Häuschen Frau Ri-
chardson, eine Dame von etwa
vierzig Jahren. Ihre einzige Ge-
sellschaft bildete eine alte Auf-
wärterin, welche auch 'die Ein-
käufe besorgte und den sonstigen
nöthigen Verkehr mit der Außen-
welt vermittelte; sie selbst schien,
ob aus Kränklichkeit oder weil
sie ein großer Kummer druckte
— Beides ließ sich aus der Blässe
ihrer feinen, ernsten Züge, die
sich hin und wieder an einem
Fenster zeigten, entnehmen —
jeder Berührung in dieser Hinsicht
ängstlich aus dem Wege zu gehen.
Begreiflicherweise gab sich die
Nachbarschaft alle-Mühe, das Ge-
heimnis welches die Dame zwei-
felsohne umgab, aufzuklären, doch
vergebens; diejenige Person,
welche allein Eröffnungen hätte
machen können, die alte Magd,
erwies sich gegenüber jeder Frage
nach dieser Richtung hin als voll-
kommen unzugänglich. Sie hatte,
wie das bei langjährigen Dienst-
boten oft der Fall zu sein pflegt,
ganz die Gewohnheit ihrer Gebie-
terin, das heißt deren Eiuftflbig-
keit angenommen, und sprach bei
Erledigung ihrer Kommissionen
nur das Hochnöthige. Ein be-
sonderer, mit Frau Richardson in
Verbindung stehender Umstand
vergrößerte noch die Neugierde
der Nachbarschaft. Von Zeit zu
Zeit bemerkte man nämlich einen
sehr reduzirt aussehenden Men-
schen an dem Haufe klingeln, dann
Einlaß erhalten und nach kurzer
Zeit wieder eiligst und scheu dar-
aus hervorkommen. In welcher
Verbindung stand dieser Strolch
mit der Dame? Allerhand Ver-
muthungen cirkulirtcn darüber,
auch einige durchaus nicht schmei-
chelhafte für Frau Richardson;
Jllustr. Wett. XXVI. 2tz.


Der König der Thiere. Zeichnung von Joseph Wolf. (L. 002)

die Wahrheit errieth indessen Nie-
mand. Sie sollte plötzlich auf
schreckliche Weise bekannt werden.
Eines Abends zur späten
Stunde erschien die alte Aufwär-
terin athemlos, mit verstörtem
Gesicht auf dem Revierpolizeiamt
und meldete, daß sie eben ihre
Herrin ermordet und alle Schränke
und Kästen in deren Zimmer auf-
gebrochen gefunden; es müsse so-
mit ein doppeltes Verbrechen an
derselben verübt worden sein.
Mein Chef und ich begaben
uns daraufhin in Begleitung des
schnell herbeigerufenen amtlichen
Leichenschauers sofort nach dem
Orte der That und fanden die
Angabe der Dienerin bestätigt.
Frau Richardson lag, in einer
Blutlache schwimmend, todt am
Boden, den auch noch allerhand
Gegenstände bedeckten, wie selbige
von eiliger, roher Hand aus den
offenstehenden Schubladen des
Sekretärs und einiger anderer
Gelasse herausgerissen und um-
hergestreut worden sein mochten.
Die Untersuchung der Ermordeten
stellte fest, daß solche, die ver-
muthlich in dem noch auf dem
Tische aufgeschlagen liegenden
Buche gelesen, hinterrücks durch
einen Schlag auf den Kopf nieder-
geworfen und dann durch einen
Schnitt mit einem Messer durch
die Gurgel vollends ihres Lebens
beraubt worden war.
Wer vollbrachte die That?
Durch die Vernehmung der
vor Jammer und Entsetzen ganz
fassungslosen Aufwärterin ward'
ein erschütterndes Familiendrama
enthüllt.
Die Betreffende war vor etwa
einer Stunde in der Küche mit
einer häuslichen Arbeit beschäftigt
gewesen, als plötzlich ein lauter
Schrei aus dem an der andern
Seite des Flurs gelegenen Zim-
mer ihrer Herrin ihr Ohr ge-
troffen. Voller Schrecken stürzte
sie dahin und sah dann das schau-
dervolle Bild vor sich, zugleich
aber auch bei der Leiche ihrer Ge-
bieterin einen Menschen, in dem
sie, trotzdem er jetzt schnell durch
eine andere Zimmerthüre davon-
sprang, noch deutlich den ehemali-
gen Gatten der Frau Richardson
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