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Gräfin SiöyiLn.
Roman
von
JIrrandrr Nömrr.
iFortsttzung.)
Gertrud besuchte mit den Eltern und Edith die Hoffeste.
Sie ging ruhigen Herzens, mit offenem Auge und Ohr umher
in diesem neuen, glänzenden Strom. Daß Edith sehr unbe-
achtet blieb, ja offenbar zurückstand
und ganz in den Hintergrund trat
unter dieser Versammlung von jun-
gen, freilich im Aeußern und Innern
auch verschieden genug gearteten Da-
men der höchsten Kreise, that ihr
herzlich leid. Hier war eine leben-
digere Strömung verbreitet durch alle
Schichten, auch dis Elite des schönen
Geschlechts war nicht mehr so steif
dressirt, wie es auf Schloß Rothen-
burg noch Sitte geblieben. Die Frau
Kronprinzessin ging voran mit dem
Beispiel ungezwungener Natürlichkeit,
sie war Hausfrau und Mutter in
erster Reihe, und ihr Herz schlug
warm für Alles, was in das Reich
weiblichen Empfindens hineinreichte:
eine prüde Begrenzung in die engsten
Falten ihres kaiserlichen Purpur-
mantels lag ihr ganz fern. —
Ihr Auge fiel auch sofort mit
interessirterem Ausdruck auf Gertrud's
geistvoll charakterisirtes Gesicht, als
auf die schlanke Edith, welche ihre
Verbeugung aufs Tadelloseste absol-
virte und nach allen Regeln der Eti-
kette ihre zart gelispelten Antworten
auf huldvolle Anrede gab, während
Gertrud, nachdem sie ihre erste
Schüchternheit überwunden, ganz ver-
trauensvoll zu der hohen Frau auf-
blickte, welche gar nichts Unnahbares
und Erkältendes in ihrem Wesen
barg. Sie gerieth in eine ganz leb-
hafte Konversation mit der kaiser-
lichen Hoheit, gab kurz und treffend
ihre Auffassung und Bemerkungen
über die neuen Eindrücke kund und
ertappte sich einmal sogar auf einem
Hellen, herzlichen Lachen, das Gräfin
Constanze bis in die Fußspitzen er-
beben ließ. Doch die Frau Kron-
prinzessin lachte herzlich mit und das
mußte die Gräfin doch schließlich be-
ruhigen. Auch der schöne Gemahl,
der Kronprinz, trat noch herzu und
bezauberte Gräfin Constanze voll-
Jllustr. Welt. XXVI. II.

ständig durch die hoheitvolle Anmuth seines Wesens, über-
raschte sie aber sehr durch die Bemerkung:
„Ihr jüngstes Töchterchen ist das interessanteste kleine
Wesen, das ich seit lange gesehen. Ihre Antworten sind stets
originell und pikant, in ihr schlummert eine satirische Ader,
und mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe mag sie noch man-
cher Narrheit unseres Jahrhunderts gefährlich werden. Ich
bin überzeugt, sie thut sich noch einmal irgendwie hervor."
Solch' Lob aus solchem Munde mußte eine Mutter ja
freuen, und Gräfin Constanze sprach auch dergleichen in sehr
korrekt gebildeten Sätzen aus, aber es gehörte für sie mit zu
den fremdartigen Eindrücken dieser neuen Sphäre, und mit

einer ganz sonderbaren, verwunderungsvollen Prüfung ging sie
daran, ihr eigenes Kind zu mustern, das sie bisher mit ganz
anderen Augen gesehen.
Ob Gertrud geschaffen war, eines Mannes Liebe zu erwer-
ben, blieb wohl sehr fraglich — wolle Gott, daß nie ein sol-
cher Wunsch in ihrer Seele aufstiege — sie war vielleicht für
Besseres geschaffen; wer konnte wissen, was in dieser warmen
Seele, in diesem reich und gesund sich entwickelnden Geiste noch
verborgen lag, was die Verhältnisse und, das Leben noch an
Blüten in ihr zu Tage förderten.
Es war nicht zu leugnen, auch in Falk's Leben, dessen
treibender' Sporn in den letzten Jahren allein die politische
Wohlfahrt des Vaterlandes gewesen,
war doch ein helleres, freundlicheres
Licht getreten, seit die kleine Gertrud
da war. Durch des Grafen aufrichtige
Herzlichkeit gefördert, durch Gertrud's
freudig aufleuchtende Augen und sei-
nes eigenen Herzens Antrieb gezogen,
wurden Falk's Besuche im Quartier
der Möllenhofs häufig genug. Da-
neben sah man sich auch an anderen
Orten, und Falk versäumte jetzt kaum
je, dort zu erscheinen, wo er Gertrud
zu finden wußte. Der freier zusam-
mengewürfelte Kreis, den Graf Kurt,
seiner Neigung gemäß, um sich ver-
sammelte, schloß auch Richard Bonsen
oft unter die Zahl der Eingeladenen
ein, und er und Gertrud waren schon
sehr gute Bekannte geworden. Die
Gräfin war es sehr zufrieden, wenn
ihre jüngste Tochter diese Hälfte der
Gäste, in deren Erscheinen sie sich des
Gemahls wegen schicken mußte, an-
genehm unterhielt und denwirthlichen
Pflichten dort gerecht wurde. Sie
hatte im Ganzen wenig Freude von
diesem Aufenthalt in der Hauptstadt,
er schien auch für ihre Zwecke resul-
tatlos zu verlaufen. Junge Herren
aus alten Adelsgeschlechtern waren
hier freilich genug vertreten, doch
Keiner fühlte sich besonders angezo-
gen von Comtesse Edith's kühlem,
indifferentem Wesen. Ja, es war
erschrecklich für Gräfin Constanze
anzusehen und ihr eine wirklich bittere
Erfahrung, wie auch der Geist unter
dieser „edlen Jugend" ein so ganz
anderer geworden als zu ihrer Zeit.
Auch ihnen galt der Name und die
Ahnenreihe nicht mehr so viel, sie
suchten sich nach eigenem Geschmack
die Gattin, und die Vermischung der
Stände hatte so um sich gegriffen,
daß man in der That oft kaum
wußte, neben wem man da mit-
unter placirt ward. Ueberdieß hatte
sich diese Bourgeoisie einen Anstand

Osman Ghazi. Originalzeichnung von V. Lorie. "(S. 266.)
 
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