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A-chsunrlLVisMrgsttr Aithrgüng.

13. .liest.


Tamara.
Episode aus dem jetzigen russisch-türkischen Kriege im Kaukasus,
mitgetheilt von
H. non Lauüeimu.
(Nachdruck verboten.)
1.
Heute beabsichtige ich dem geneigten Leser ein Drama aus
dem jetzigen Kriege vorzuführcn, dessen volle Wahrheit mir von
einem soeben vom Kriegsschauplatz zur Heilung seiner Wunden
nach Deutschland gekommenen russischen Offizier verbürgt wird.
An der Ostküste des schwarzen
Meeres dehnt sich das abchasische Ge-
biet aus, in dessen rauhen Bewoh-
nern noch die Leidenschaft in unge-
zügelter alter Wildheit zerstörend da-
hinbraust. Keinen für die Verbrei-
tung einer Insurrektion günstigeren
Landstrich als diesen hätten die Tür-
ken zur Descente wählen können, die
Gegend nämlich nördlich und südlich
von Suchum-Kale. — Steil sind die
sich hart am Mceresufer erhebenden
kaukasischen Felsengebirge, düster die
undurchdringlichen Urwälder, düste-
rer noch deren schwindelerregende Ab-
gründe. Tausende von Bergquellen
entströmen den Höhen, stürzen sich
schäumend über die Felsen und reißen
unwiderstehlich mit sich fort, was sich
ihnen hindernd in den Weg stellt.
An den Abhängen und in den Thä-
lern, welche den Strahlen der Sonne
ausgesetzt sind, schlingen sich, der Hand
des Menschen oft unerreichbar, pracht-
volle Rosen und riesige Weinreben
hin, unberührt und ungepflegt, nichts-
destoweniger üppig gedeihend.
Hier und dort pickt ein Goldfasan,
eine rosenrothe asiatische Drossel oder
eine blaugrüne Mandelkrähe die halb-
vertrockneten Beeren an und flattert
von einem Traubenbüschel zum an-
dern. Fern im Westen glänzt, einem
unübersehbaren Spiegel gleich, die
grünlich schimmernde Fläche des
schwarzen Meeres. In dem oft
schmalen Küstengebiet zwischen diesem
und den bald steil, bald terassenför-
mig sich erhebenden Gebirge, dessen
höchste schnee- und eisbedeckte Gipfel
weit in die Wolken hinaufragen, lie-
gen malerisch die Flecken, Aouls und
Ansiedelungen des Landstrichs, theils
von russischen und fremden Ansiedlern,
theils von Eingeborenen: Abchasiern,
Mingrelicrn, einigen nach der Ueber-
sicdlung hier zurückgebliebenen Tscher-
kessen und anderen Völkerschaften be-
wohnt, vott denen die Letzteren sich
Jllustr. Welt. UVI. IS.

nur gezwungen und murrend dem russischen Szepter gebeugt
und unterworfen hatten, jetzt aber sich in vollem Aufstande
gegen den russischen Zaren befinden.
In dieser Wildniß nun lebte bereits viele Jahre laug unge-
stört und ringsum von Allen geachtet, in der Ansiedelung Gagra,
der alte russische Kolonist Thomas Lissenko. Die Mühle des
Alten hatte an einem schönen Frühlingstage, zu Anfang des
April vorigen Jahres, ein feiertägliches Aussehen; im Freien
vor derselben waren mehrere Tische gedeckt und erwarteten die
Gäste. Die ganze Gegend, alle Aoule und Ansiedelungen wuß-
ten, daß heute die Verlobung der Tochter Lissenko's, Tamara,
mit Georg Zenker, einem hochgewachsenen, kräftigen Burschen

der Gegend, vor sich gehen sollte. Die Kolonisten nannten
diesen zwar meist einen Faulenzer und Herumtreiber; die
Weiber hingegen blickten ihm bewundernd nach, da er hübsch,
jung und, was dort zu Lande sehr selten, blondhaarig war.
Die Mühle des alten Lissenko nahm sich recht stattlich aus,
sie befand sich mitten im Thal des Bergstroms Choschupsä, da
wo der Weg eine Biegung macht. Das ganze Dorf hatte nur
eine Straße, zwei Reihen Berghütten, die in ihrem Aeußern
kleinen Festungen glichen, wie alle Hütten der Bewohner der
Gegend, hinter welchen sich Wiesen und hohe Bäume längs
dem Ufer des Flüßchens hinzogen. In ganz Abchasien würde
weit und breit keine hübschere russische Ansiedelung zu finden
sein. Rechts und links liegen mäch-
tige Wälder mit uralten Bäumen
und begrenzen den Horizont mit ei-
nem ganzen Meer von Grün. Nach
Süden hin ziehen sich wunderbar
fruchtbare Reis- und Baumwollefelder
an den weichen Abhängen hin, von
Wiesen und Bächen durchbrochen.
Das Angenehmste aber in und um
Gagra ist sein gesundes Klima, eine
Ausnahme in dieser sonst so paradiesi-
schen Gegend, wo die vielen Sümpfe
und stehenden Wässer oft das Land
umher zu einer Brutstätte für bös-
artige Fieber machen. Der Bergstrom
Choschupsö entspringt in den Wäldern
der gagrinskischen Berge, und die
Frische des Laubes, unter dem er da-
hinströmt , scheint sich ihm selbst mit-
getheilt zu haben. Sanft murmelnd
bringt er den kühlen, tiefen Schatten
des Waldes bis hieher. Doch nicht
er allein fließt hier; eine Unzahl ähn-
licher Wässer strömen von den Ber-
gen, mehr oder weniger reißend,
herab, dem Meere zu; zu Zeiten kaum
sichtbare Silberfäden, dann wieder
tobende, wilde, Alles verheerende
Wasserlawinen. Der Choschupss ist
unter ihnen der harniloseste.
Das Thal ist weiter unten feucht;
gigantische Kastanien und Wallnuß-
bäume, Platanen, Eichen und Linden,
neben langen Reihen von Pappeln
mit ihren lispelnden Blättern schlie-
ßen es ein. Auf einer Anhöhe er-
hebt sich ein großes, schloßartiges
Gebäude, dessen eine, ältere Hälfte
im maurischen Styl erbaut ist, wäh-
rend der neue Anbau einer italieni-
schen Villa gleicht. Es ist dieß das
Stammschloß der vormaligen Herrscher
von Abchasien, der Fürsten Scher-
wadschidse. Zu demselben führt eine
lange Allee weißer Bergahornbäume
hinan. Auf diesem feuchten Boden
hier wächst das Gras ungemein
üppig und erreicht eine unglaubliche
Höhe; man sollte glauben, in einen
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Viktor Emanuel, der erste König von Italien. Originalzeichnung von F. Weiß. (S. 312.)
 
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