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Der Kokzsturz.
Erzählung
von
Fr. K. Emmer.
(Nachdruck verboten.)
„Die Aussagen der Zeugen belasten Euch schwer; das
müßt Ihr selbst einsehen. Gesteht also lieber. Ihr ver-
bessert nur Eure Lage."
„Ich kann nichts Anderes sagen, als daß ich un-
schuldig bin. Der Forstwart —"
„Nun, was ist es mit dem?"
„Er wird meine Unschuld bezeugen müssen."
„Müssen?!"
„Ja."
„Ämtsdiener, rufen Sie den Zeugen Peter Steiner,
Forstwart."
Aus dem Zuschauerraum vernahm man jenes Ge-
räusch, das in unartikulirten Lauten nichts Anderes sagte,
als was in den Mienen der Richter zu lesen war: „Jetzt
wird die Sache interessant."
Der „Fall" war kein ungewöhnlicher. Im Heubach-
thale war ein Forstgehülfe erschossen worden und der
„herrische Franzl" war deßhalb als Mörder angeklagt.
Er behauptete seine Unschuld; Zeuge der That war Nie-
mand gewesen, aber er war als Wilderer bekannt und
man hatte ihn erregt und verstört aus dem Walde kommen
sehen, gerade von der Gegend her, in welcher die Leiche
gefunden wurde. Der Franzl hatte zudem noch einige
Tage vorher einen Streit mit dem Forstgehülfen gehabt:
Gründe genug, um den Verdacht zu rechtfertigen. An all'
dem war nichts Ungewöhnliches, eine Wilderergeschichte,
wie sie sich in den Bergen nur zu oft ereignet. Wenn
etwas auffallen konnte, so war, es die Erscheinung des
Angeklagten. Nicht umsonst hießen ihn die Burschen den
„herrischen Franzl"; er war in der That von anderer Art.
Wohl hatten Sonnenbrand und Wetterstürme sein Gesicht
gebräunt, aber die schönen Linien seiner Züge waren nicht
zerstört worden; harte Arbeit hatte die Hände schwielig
gemacht, und doch war eine gewisse Feinheit des Baues
nicht verloren gegangen; das Auge blickte ruhig und fest,
wie das eines Mannes, der sich nicht nur körperlicher
Kraft, sondern auch geistiger Stärke bewußt ist. Die
Dirnen bewunderten, die Burschen fürchteten ihn,, die
Alten ärgerten sich, denn er war klüger als sie. Nur
Einer in der Gemeinde hielt große Stücke auf ihn, und
das war der Herr Vikar.
Die Freundschaft datirte noch aus der Zeit des Schul-
besuchs her. Der Franzl kam zwar nichts weniger als
regelmäßig in die mehr als bescheidene Schule, daran mar
der Bauer schuld; aber er lernte in wenigen Stunden
mehr, als die Anderen in Wochen. Der Franzl hatte
die paar Bücher des Herrn Vikars lesen dürfen; die Biblio-
thek war wohl nicht reichhaltig, einige Reisebeschreibungen,
einige Schülbücher und Broschüren über landwirthschaft-
liche Fragen und ein paar Bände alter Zeitungen waren
der ganze literarische Schatz des hochwürdigen Herrn.
Immerhin wußte aber der Franzl mehr als alle An-
deren, den Herrn Vikar nicht ausgenommen, denn dieser
Jllustr. W-lt. XXVI. 21.

Neapolitanische Fruchtverkäuferin. Originalzeichnung von P. Wagner. (S. 516.)
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