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^tkisunüLWilnrlgsUt Akhtgsng. 15. ^tsttglrrt, "§eixrig «Nil Wien. ,sZ,^


Sulchen am Kerd.
Erzählung
von
Grttina Wirth.
(Nachdruck verboten.)
Ich war damals wenig mehr als zwanzig Jahre alt und
Bergamtskandidat. Die Worte, mit denen ich diese Aufzeich-
nungen überschreibe, waren mein Motto und hatten mir über
manche schwere Stunde hinweggeholfen. Nicht daß ich hätte
das kennen lernen, was die Menschen als'Noth bezeichnen —
mein Vater hinterließ mir, als er starb — meine Mutter war
ihm vorausgegangen — ein mäßiges Vermögen, das in Hän-
den eines gewissenhaften Vormundes schon durch die Zinsen
die Kosten meiner Erziehung decken konnte und mir nun in
aller Gemächlichkeit abzuwarten erlaubte, bis der Schneckengang
der Bureaukrati'e mich auf einen bezahlten Posten befördern
würde. Aber daß ich elternlos und eigentlich heimatlos war,
das lastete mir schwer auf dem Herzen. Ich hatte dadurch
eine besondere Leichtigkeit, mich an
Andere anzuschließen, und war in
meiner Auswahl nicht immer klug,
so daß der Enttäuschungen viele mich
Welt und Menschen kennen lehrten.
Wenn dann wieder Einer, für
den ich mit Freuden den letzten
Heller gegeben, mein Herzblut ver-
gossen hätte, sich als berechnender
Egoist, ja manchmal als schlechter
Kerl entpuppte, dann mußte mein:
„Nur frischen Muth, und es wird
schon gut!" herhalten.
Nun waren aber meine Erfah-
rungen ganz einseitig gewesen. Mit
der Zurückhaltung und der Verehrung
für das Unnahbare, die einem echten
deutschen Jüngling der damaligen
Zeit — mein Haar ist seitdem zu
Schnee geworden — gleichsam an-
geboren war, hatte ich bisher zum
andern Geschlechte emporgeblickt. Ich
habe mir seitdem manches Lächeln,
manchen Kuß, ich darf getrost sagen,
auch manches Herz erobert, — da-
zumal aber war ich noch ein unbe-
schriebenes Blatt , also empfänglich
für jeden Eindruck, dem ich begegnen
konnte. Die ergrauten Locken, die
jetzt die Ehrfurcht meiner Enkelkinder
erwecken, glänzten goldig im Sonnen-
schein und die blauen Augen blickten
freudig sogar in der schwülen Berg-
amtsstube, wo die Gedanken, die
so gerne das Weite gesucht hätten,
durch unzählige Zahlen in einen
Zauberkreis gebannt wurden, der
meiner Brust manchen Seufzer ent-
lockte.
Ich sollte eben messen und be-

rechnen, welche Entfernung zwischen dem Ende eines Stollens,
der nicht mehr gebraucht wurde, und dem Anfang eines neuen
lag, und dachte mir, mit welch' bedeutend größerer Freude
meine langen Beine die Messung im Freien vornehmen würden,
als mein Vorgesetzter, unser überaus geachteter Berghaupt-
mann, von hinten leicht meine Schulter berührte und mir die
Mittheilung machte, ich sei auserlesen worden, um eine Revision
der Bücher in einigen entfernt gelegenen Werken vorzunehmen.
Schon am nächsten Tag war mein Ranzel geschnürt, ich
auf der Reise.
Die Post hätte mich wohl ziemlich in die Nähe meines Be-
stimmungsortes gebracht, doch verließ ich sie lange vorher, um
einen andern Weg zu Fuß einzuschlagen, von dem ich jedoch
nicht wußte, ob er mich genau an das mir vom Bergamt ge-
steckte Ziel führen würde. Mein Ziel war erreicht — ich
stand in Gottes freier Natur, die ersten Ausläufer der Ge-
birgskette, in der unsere Werke liegen, vor meinen Augen, die
Aussicht auf eine Woche der Freiheit und der Freude vor mir.
Ich kann jetzt nicht mehr einsam gehen, ohne mein Haupt unter
der Fülle der Gedanken, die stürmisch Audienz verlangen, beugen
zu müssen. Damals trug ich den Kopf leicht, keine Sorge,

kein tiefer Gedanke beschwerte ihn, und der reine Genuß mag
um so höher gewesen sein, denn der vollen Brust entrangen
sich eines nach dem andern die Lieder aus der fröhlichen Stu-
dentenzeit! Sie war noch nicht lange verflossen und hatte nicht
lange gedauert.
Die Berge hoben sich jetzt höher und höher, wo zwei aus-
einander traten, schob sich stets ein dritter ein, dessen Formen
die der frühem an Schönheit übertrafen, dessen Umriß immer
wieder malerischer vom tiefblauen Himmel des herrlichen Juni-
tags sich abhob. Ich wurde nicht müde zu schauen und zu
singen und war in solch' glücklicher Stimmung, daß es mir
nicht einmal auffiel, als neben meiner Stimme noch eine an-
dere ertönte, nicht so stark, doch klar und lieblich, die Stimme
eines herzensfrohen Mädchens. Als mein Lied aus war,
kehrte ich mich um und sah den Bergpfad nicht weit hinter
mir eine zierliche weibliche Gestalt, deren sicherer Gang mich
in Erstaunen versetzte, denn ich meinte, ein Wesen wie das,
welches ich gewahrte, würde ohne Stütze gar nicht weiter kom-
men können über das Gerölls und die Unebenheiten, welche
mir allerdings nur Spaß machten.
Als ich stehen blieb, machte auch sie Halt, und eine Weile


Italienischer Frühling. (S. 363.)

Jllustr. Welt. XXVI. IS.
 
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