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10. ^e^t. §I«Ug»rt. Löiprig «ml Hirn.

NieFremule uoilGnllway.
Erzählung
Von
W. Passauer.
(Nachdruck verboten.)
I.
Wo die letzten Häuser
stehen und Gärten und Ge-
müsefelder, Schuppen und
Wirthschaftsgebäude den all-
mäligen Uebergang vom Land
auf die Stadt Gallway an
der Westküste Irlands bilden,
steht gegenüber den Hütten
des Claddagh, auf dem „die
spanische Parade" genannten
Platz, eine lange, niedere
Schiffskneipe, „Zum See-
raben". Näher kann ich sie
nicht beschreiben, denn es ist
klares Sternenlicht zwar, doch
nicht hell genug, um ein deut-
liches Bild von dem mit Stroh
gedeckten Gebäude zu geben.
Aber von Innen scheint es
durch die kleinen, trüben
Fensterscheiben noch hell her-
aus, so hell, wie es eine von
der Decke an einer eisernen
Ketteherabhängendeschmutzigs
Thranlampe und eine Talg-
kerze auf dem langen eiche-
nen Schanktisch immer machen
können. Gäste sind nicht im
Zimmer. Von Weitem tönt
das Brausen des Meeres
dumpf herüber.
Es ist elf Uhr Nachts im
Monat Juni 1807 und nur
drei oder vier Schiffe ankern
im Hafen. Der Handel stockt
und das Geschäft geht schlecht.
Die Bewohner der Stube
haben es sich daher bequem
gemacht, ganz nach ihrem
Gefallen. Der ausgestopftc
Haifisch, der über dem„Büffet
an eisernen Ketten hängt,
glotzt mit den gläsernen Augen
und dreht sich leise langsam
im Zuge, der durch die geöff-
neten Oberfenster strömt, um
sich selbst und nach rechts und
links, so weit es angeht, als
ob er suche, wen oder was
er verschlinge. Der zahme
Rabe, das lebendige Wappen-
Jllustr. W-lt. XXVI. 10.

In der Lawine. Originalzeichnung von Joseph Wolf. (S. 243.)


thier der Schenke, hat seine
Stange über dem Ofen ver-
lassen und hüpft über Tisch
und Bänke, und schnappt
Fliegen und Schaben, als ob
sie lediglich zu diesem Zwecke
vom lieben Gott geschaffen
seien. Ganz nach Menschenart
und Gewohnheit. In den
Pausen schnarrt er seinen
Spruch leise vor sich hin:
„Wohl bekomm's! Wohl
bekomm'?!"
Die dicke alte Wirthin,
Dorthe Crackwell, mit den
bläulich-rothen Hängebacken,
den grauen Haaren und dem
Doppelkinn, sitzt ini Lehnstuhl
zwischen zwei mächtigen Fässern
Brandy und Arak nnd schläft.
Sie hat größerer Bequemlich-
keit halber die beiden dicken
Arme um die Fässer geschlun-
gen, und wenn sich ihr eine
Fliege auf die nicht minder
rothe Nase oder andere gleich
edle Theile des Gesichtes setzt,
verzieht sie dasselbe mit einem
plötzlichen Ruck so krampfhaft,
daß der Rabe erschreckt zur
Seite springt und der Haifisch
noch viel schlimmer aus den
starren Augen sieht. — Zu-
letzt noch sitzt nicht weit vom
Fenster auf der hölzernen
Bank ihre Tochter Betsy. Den
Kopf mit den dicken rothgol-
denen Zöpfen hat sie auf die
weißen, runden Arme und
diese auf den Tisch gestützt.
Sie schlummert auch, aber un-
ruhig. Dann und wann hebt
sie das hübsche, frische Ge-
sicht, blinzelt mit den blitzen-
den tiefschwarzen Augen und
läßt den Kopf unwirsch wieder
sinken, als Hütt' ein Traum
sie genarrt.
Schon wieder hebt sie den
Kopf und horcht hinaus und
richtet ihre fchlanke Figur ein
wenig in die Höhe. Wahr-
haftig, sie hört was! — Leise
Schritte und flüsternde Stim-
men. Es pocht sacht und
vorsichtig an's Fenster und
wird wieder still. Betsy dreht
den Kopf langsam nach der
Mutter. Aber die alte Bläu-
lichrothe schläft ganz fest,
schnarcht und kümmert sich
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