Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext



Hlordenwalde und seine Kerren.
Novelle
von
M. Niesrr.
(Nachdruck verboten.)
I.
Die Maisonne schien heiß auf die Felder. Ihr blendendes
Licht drang, durch das Grün einiger heimatlichen Topfgewächse
gedämpft, in das Fenster eines bescheidenen Stübchens, das
aber bei aller Einfachheit ein behagliches Aussehen hatte, nicht
nur durch Ordnung und Sauberkeit, sondern auch durch den
Schmuck von frischen Feldblumen, von Epheuranken und Spiegel-
und Bilderrahmen, kurz von all' den kleinen Zierden, die Ge-
schmack und Freude am Schönen auch in beschränkten Verhält-
nissen bekunden.
Eine Frau von etwa fünfzig Jahren saß, mit einer Nähterei
beschäftigt, am Fenster. Ihre feinen Gesichtszüge waren zwar durch
Blatternarben und durch die Fal-

nung wohl das sonnige Lächeln, nicht aber den Seufzer
rechtfertigte. Die hohe jugendliche Gestalt war von einem ein-
fachen blauen Leinwandkleid umschlossen, wie es damals Mäd-
chen des geringer» Bürgerstandes trugen, in der Mode der
ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts, die eben nur einem
wirklich schönen, schlanken Wüchse kleidsam war. Ein runder
Strohhut mit blauem Bande deckte das braune Lockenköpfchen.
Das Gesicht war von dem beobachtenden Auge am Fenster ab-
gewandt und sah zu einem jungen Manne empor, der das
schlank gewachsene Mädchen noch um mehr als eines Hauptes
Länge überragte. Auch seine Kleidung war einfach bürgerlich;
aber seine Haltung war stolz und frei, das Gesicht voll und
kräftig, mit hoher Stirn und üppigem blondem Haar und
Bart. Seine auffallend schönen Augen waren auf das junge
Mädchen mit einem Ausdruck gerichtet, welcher in der Beob-
achterin keinen Zweifel ließ über die Gefühle, die er für das-
selbe hegte, und sein Mund lächelte recht glücklich dazu. Die
gute Frau am Fenster sah auf die Gruppe halb mit unge-
duldiger Sorge, halb mit unwillkürlichem Stolz und Wohlge-
fallen, und diese streitenden Gefühle fanden ihren Ausdruck in

bedenklichem Kopfschütteln, in immer hörbareren Seufzern, ja
sogar in einem flüchtigen Händeringen. Eben hob sie die
Hand, vielleicht um zu klopfen, vielleicht um das Fenster zu
öffnen, da empfahl sich der junge Herr mit leichtem Gruße und
ging, jedoch nicht ohne noch einmal zurückzublicken.
Einige Sekunden später ertönte ein fröhliches Singen durch
das Haus; gleich darauf wurde die Thüre geöffnet und das
junge Mädchen hüpfte auf die ältere Frau zu mit den Worten:
„Da bin ich wieder, Tante Bertha! — Aber was hast Du
denn? Du siehst ja so ernst drein."
„Eva!" begann die gute Frau mit pathetischem Tone, „der
Buchhalter Ring war schon wieder da! Und warum kommt er
nicht lieber herein? Du sollst ihn ja nicht allein sprechen."
Ein leichtes Erröthen flog über des jungen Mädchens
Gesicht.
„Tante," sagte sie schmeichelnd, „er brachte mir nur wieder
Bücher und hatte nicht Zeit, sich aufzuhalten. Du sagst ja
selbst, daß es Dir lieb ist, wenn ich mich weiter bilden kann."
„Nun ja," versetzte die Tante, „ich habe nichts dagegen,
daß er Dir Bücher leiht, da ich gar nichts für Deine Bildung

ten des beginnenden Alters in
ihrer Regelmäßigkeit gestört und
sahen recht zusammengefallen aus.
Das schlicht gescheitelte Haar war
mit grauen Strähnen untermischt
und den Hellen blauen Augen
fehlten fast ganz die Wimpern
und Brauen; — aber weder
Narben noch Runzeln hatten die-
sem Gesicht den Ausdruck großer
Herzensgüte nehmen können.
Das wohlwollende Interesse, wel-
ches die Augen- und Mundwinkel
verriethen, schien sich jetzt in der
Einsamkeit auf die Arbeit zu er-
strecken , welche unter den fleißi-
gen Händen wuchs; denn die
Nähte der Leinwand wurden so-
eben mit solchem Wohlgefallen
von der guten Frau ausgestrichen
und angesehen, als sei das Klei-
dungsstück, an dem sie nähte,
ein Theil der Person selbst, für
die es bestimmt war.
Während ein neuer Faden
von der Garnrolle abgewickelt
wurde, schweiften die Augen der
fleißigen Nähterin zwischen den
blühenden Geraniumstöcken hin-
aus in's Freie. Da glitt plötz-
lich ein sonniges Lächeln über
ihre Züge, dem aber bald dar-
auf ein leises Auffahren und
dann ein tiefer, hörbarer Seufzer
folgte, während die Lippen ein
nnartikulirtes Selbstgespräch hiel-
ten. Draußen, ganz in der Nähe
des Fensters, das sich im nied-
rigen Parterre befand, stand ein
junges Mädchen, dessen Erschei-


Vor einem italienischen Bauernhanse. Aus dem Prächtwerk „Italien". Verlag von I. Engelhorn in Stuttgart. (S. 527.)

Jllustr. Wklt. XXVI. 22.

6S
 
Annotationen