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9. Kost.

"Jerpirjg «nü Hkn.


Stolz und Liebe.
Roman
von
E. M. Vacans*).
(Nachdruck verboten.)
Erstes Kapitel.
Sotherne Court.
Ein schönes, flaches Thal, durch welches sich ein Muß
schlängelt wie ein blitzendes Lichtband; dann niedere, sanft ge-
wölbte Hügel, purpurroth, von Abendschatten durchzogen, gleich-
sam verschmelzend mit dem gelben Lichte des Himmels; Wälder,
Wiesen, Rinder, heimrollende Gefährte, und über dem Allen
die goldene Pracht eines herbstlichen Sonnenuntergangs.
In solcher Szenerie zeigt sich Sotherne Court, rothgiebclig,
vielfensterig, die Hügel beherrschend, und sieht herab auf die
Niederung zu der Stunde, wo Juliet Blair, die schöne Herrin
des alten Adelssitzes und der vielen reichen Grundstücke um
dasselbe, recht einsam dasitzt unter dem Sykomorenbaum in der
Lichtung.
Sie hat den Hut abgenommen und das schief durch die
Neste des Baumes einfallende Sonnenlicht überglitzert den feinen
brünetten Kopf und den reichen, modischen Aufputz am Kleide
der Dame.
Sie hatte weder Buch, noch
Arbeit; ihre zarten fcingeformtcu
Hände falteten sich um ihre Kniee
und ihr Auge folgte groß offen
dem prächtig versinkenden Son-
uenball.
Wahrlich, auch ohne das
Glutenlicht des Abends wäre
dieses Mädchenantlitz reizend und
lebendig genug gewesen. So zart
und beweglich die Linien des
Gesichts, so weich das Schwellen
des sinnvollen Mundes, so dunkel
und leidenschaftlich die Augen:
das hatte sie von ihrer jun-
gen, spanischen Mutter, die
nun schon seit Jahren in der
pomphaft ausgeschmückten Gruft
des kleinen Friedhofs da unten
ruhte.
Eine heiße und kräftige Natur
sprach aus alledem; eine Natur,
ebenso stark im Lieben wie im
Ertragen, und dabei doch wieder
so weich und sorglos, wie es
eben stürmischen Herzen eigen zu
sein pflegt.
Miß Blair von Sotherne
Court ist eine gar wichtige Person
in ihrer Heimat. Sie war von

Nach bem Roman „Juliet" von
Mrs. H. Lovett-Cameron, mit Autor-
recht stir Deutschland bearbeitet von
E. M. Vacano.

ihren ersten Lebenstagen an der Abgott eines Vaters, der sein
Leid über den Tod einer jungen Gattin nicht anders zu be-
täuben gewußt hatte, als daß er all' sein Fühlen und Denken
auf dieß Kind übertrug, dessen Geburt der Mutter das Leben
gekostet hatte.
Miß Blair — so wurde sie schon als kleines Kind genannt
— war in den Augen ihres Vaters ein Geschöpf, um welches
sich das ganze Dasein drehte. Alles, was im Hause geschah,
hatte irgendwie Bezug auf ihr Behagen und hing ein wenig
von ihrem Willen ab. Von der Zeit an, wo sie selbstständig
zu denken anfing, — und früh genug lernte sie das! — hätte
Mr. Blair keinen Baum fällen lassen auf seinem Gut, ohne
vorher seiu Töchterlein darüber zu befragen. Und selbst als
er, von jenem alten Männern nicht selten drohenden Verhäng-
niß ergriffen, eine zweite Gattin in seiu Haus brachte, welche
zu ihm, denn er war nahezu ein sechzigjähriger Mann, in keinem
einzigen Punkte paßte, war seiu Erstes, daß er der Mrs. Blair
Nummer Zwei zu verstehen gab, sie sei bloß dem Namen nach
die Herrin, während sein Töchterlein solche thatsächlich bleibe in
einem Hause, welches demselben doch in kürzerer oder späterer
Frist als Eigenthum zufallen werde.
Mrs. Blair saß also ungefähr zwei Jahre hindurch am
Ehrenplätze des Mittagstisches; dann starb der alte Herr, und
am Tage nach dem Leichenbegängnisse nahm Juliet bereits den
Sitz der Hausfrau ein. Obwohl erst siebenzehn Jahre alt,

hatte sie doch schon das vollste Bewußtsein ihrer neuen Würde
und wies ihrer Stiefmutter die Stelle an, welche bisher sie
selbst eingenommen hatte; eine Stelle, welche von dieser klugen
Dame wohlweislich angenommen wurde.
Denn Juliet war jetzt die Herrin, wo sie bisher bloß
Tochter gewesen war. Das Haus und das reiche Land um
dasselbe herum waren ihr Eigenthum, während die Wittwe sich
mit einem bescheidenen Leibgedinge begnügen mußte, welchem
Juliet, dem Willen ihres Vaters gemäß, noch den Wunsch
hinzufügte, Mrs. Blair möge Sotherne Court so laug als ihre
Heimat betrachten, als sie Beide neben einander leben mochten.
Mrs. Blair nahm diesen Wunsch in demselben Sinn an,
wie er gemacht wurde. Es gab zwar Leute, welche sagten,
die Verfügungen des Verstorbenen seien unbillig und ungerecht,
und vielleicht dachte die Wittwe ebenso; sicher aber ist, daß sie
diesem Gefühle niemals Worte gab.
Als Vormund war für die junge Erbin der Sohn eines
alten Schulkameraden des Mr. Blair, der Oberst Fleming, be-
stellt worden, welcher seit Jahren in Bombay eine militärische
Stellung bekleidete. Es war aber nicht für nöthig gehalten
worden, daß dieser Vormund beim Tode Mr. Blair's nach Eng-
land kam, es genügte, daß er seine Vormundschaftspflichten
schriftlich abthat. Eine Menge Briefe wurden gewechselt zwischen
ihm und Mr. Bruce, dem Anwalt der Familie; eine Menge
Papiere und Dokumente wurden ihm hinübergesendet, die er
sämmtlich gewissenhaft unterzeich-
nete und wieder zurückschickte; auch
schrieb er ein paar Briefe au seine
junge Mündel, die er seit ihrem
fünften Jahre nicht nrehr gesehen
hatte.
Darnach hörte Juliet einige
Jahre hindurch nichts von ihrem
Vormund und hoffte dabei im
Stillen, daß sie überhaupt nichts
mehr mit ihm zu thun haben
werde. Aber als sie eben ein-
undzwanzig Jahre alt war, da
traten mancherlei Aenderungeu
in den Pachtübertragungen und
dergleichen ein, die eine so statt-
liche Anhäufung von Vertrags-
urkunden, Abrechnungen und
sonstigen Geschäften zur Folge
hatten, daß Mr. Bruce die per-
sönliche Anwesenheit und den
mündlichen Rath von Miß Blair's
Vormund fürunumgänglichnöthig
erklärte. So schrieb er also
demselben nach Bombay und
ersuchte ihn, nach England zu
kommen.
Oberst Fleming fand jetzt,
daß Miß Blair und das ganze
Sothernegut eigentlich eine schreck-
liche Belästigung für ihn sei. Er
hatte schon so viele Jahre hindurch
in Indien gelebt, hatte sein In-
teresse an England verloren und
verlangte nichts weniger als eine
Rückkehr in die Heimat. Hatte es

Stolz und Liebe. Er kam und stand hinter Juliet, wie sic an ihren Roscnbäumen sich zu thun machte. (S. 207.)


Jllustr. Welt. XXVI. S.

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