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158

Zllustrirte Welt.

Heino riß das Couvert auf.
„Wir erwarten Dich unverzüglich, Lydia fühlt sich schon
verletzt. Kurt von Möllenhof."
Heino knitterte das Blatt in einen Ballen und warf es
mitten in's Zimmer.
„Lydia! Haha! Es ist komisch, wirklich komisch! Sibylla!
Der weise Narr hat uns einen schlechten Gefallen gethan —
kleine Hexe, Dir wäre auch wohler auf dem Meeresgründe!"
„Der Herr Graf erlauben, daß ich nach dem Arzt schicke,
das Fieber nimmt zu," bemerkt Friedrich.
„Narr! Extrapostpferds kannst Du bestellen und zwar
sofort. Wir müssen morgen zum ersten Zug an der Station
sein."
„Herr Graf!"
„Hast Du gehört, Schlingel? Kreuzelement, es ist ja zum
Tollwerden. Scher' Dich Deiner Wege, thue, was ich Dir be-
fohlen, und laß mich in Ruhe, ich muß und will jetzt schlafen."
Am andern Morgen in aller Frühe war Heino mit Hinter-
lassung einiger Zeilen an die Obermarschallin abgereist — nach
Interlaken zu seiner Familie. Diese Zeilen lauteten:
„Gnädige Frau! Liebenswürdigste aller mütterlichen
Freundinnen!
„Ich bin untröstlich, ohne Handkuß mich von Ihnen ver-
abschieden zu sollen, ohne Verzeihung für den Trouble, den ich
Ihnen gestern veranlaßt. Ein Telegramm des Papa, der
schon ungeduldig wird, ruft mich unbarmherzig ohne Verzug
ab; grüßen Sie mir mein heroisches Cousinchen, das dießmal,
weil das Schicksal gar zu tückisch war, eine harte Wasserprobe
hat bestehen müssen. Hoffentlich kamen wir Alle mit dem
Schreck davon. Ihr bis in den Tod getreuer Heino.
„Nachschrift. Apropos — die Angelegenheit mit dem
Herrn Falk — eine angemessene Anerkennung oder dergleichen
überlasse ich Ihrem talentvollen Geiste. Sie können gewiß sein,
daß Papa Alles, was Sie darin für geboten erachten, in aus-
gedehntestem Sinne bewilligen wird."
Sibyllens kräftiger Körper hatte die Erschütterung über-
standen, sie ruhte am andern Morgen angekleidet auf der
Chaiselongue unten im gemeinschaftlichen Salon, freilich noch
sehr bleich, aber doch wohl. Hier erfuhr sie Heino's Abreise.
Sie starrte die Obermarschallin einen Moment an, als ob sie
das Gesagte nicht verstanden habe, — diese übergab ihr Heino's
Billet. Sibyllens Augen überflogen das Blatt, tödtliche Blässe
überzog ihr Gesicht, sie sank in das Kissen zurück und schloß die
Augen.
„Du hättest noch im Bette bleiben sollen, 'Kind," sagte die
Obermarschallin ruhig, „ich dachte es mir, daß die Nachwir-
kungen nicht ausbleiben würden, aber solche leichtsinnige Kinder
sind weder zu warnen, noch zu hüten."
Sibylla antwortete nicht, sie hörte auch nichts, — wie
eine grimmige Hohnlarve starrte ihr das Leben entgegen. —
Er war fort — ohne ein weiteres Wort des Abschieds für sie
— und für ihren — seinen Lebensretter diese schmachvolle
Phrase!
„Soll ich Herrn Falk herunter entbieten lassen," sagte die
Marschallin, „damit Du ihm selber noch erst Deinen Dank aus-
sprichst, Sibylla? Ich finde das im Grund angemessen und es
macht sich leichter und geschickter sofort ab, das Weitere können
wir ja später berathen."
„O, mein Gott! Frau Obermarschallin! Haben Sie auch
solche Ansichten darüber wie — Heino!" Der Name wollte
heute kaum über ihre Lippen.
„Nun, Kind, Heino ist ein unverbesserlicher Leichtfuß, er
bürdet nur saus Lyon eine heikle Angelegenheit auf, nachdem
er die Maschen vorher erst gehörig verwirrt. Bei diesem sub-
tilen, wie überhaupt von seiner Größe, so jedenfalls auch von
der Größe dieser seiner That sehr durchdrungenen Menschen ist
solche Aufgabe höchst schwierig, indeß einstweilen genügt ja ein
von Deinem lieblichsten Lächeln begleiteter Dank, und ich meine,
solche Aufgabe wird unsere Sibylla schon lösen."
Sie drohte scherzend mit dem Finger, klingelte und gab der
eintretenden Jungfer den Befehl, sich nach Herrn Falk's Be-
finden zu erkundigen und ihm den Wunsch der Frau Obermar-
schallin zu überbringen, er möge, im Fall dasselbe es gestattete,
sich auf einen Augenblick hinunter in den Salon bemühen.
„Herr Bandel war natürlich schon zweimal hier heute
Morgen," wandte sie sich dann wieder zu Sibyllen. „Der
Arme! Er war noch ganz aus dem Häuschen, ich glaube wirk-
lich, er hat Todesqual ausgestanden gestern. Wie ich höre,
hat er den Leuten Tausende bieten lassen — ein Vermögen —-
aber diese Leute sind so schwerfällig, Niemand hat sich willig
finden lassen. — Ah, Herr Falk! Gottlob! Da sind Sie ja
wieder, frisch und blühend wie ein Apoll. Kommen Sie, lassen
Sie sich die Hand recht herzlich schütteln, Sie braver, braver
Mann! — Schauen Sie, da ruht sie, die bleiche Wasserrose —
ja, ja, Kindchen, Du ruhtest wohl sehr kühl gebettet heute,
wenn dieser brave Mann nicht gestern sein Leben eingesetzt."
Und Frau Marschallin, welche mit meisterlicher Gewandt-
heit und unnachahmlicher Liebenswürdigkeit Falk entgegenge-
treten war und diese Rede gehalten hatte, bewegte sehr geschickt
die vergeblich ausgestreckte Hand — Falk hatte unbegreiflicher-
weise versäumt, sie zu erfassen oder zu küssen — jetzt mit dem
Taschentuch an die von Rührung feuchten Augen.
Sibylla hatte sich aufgerichtet und eine dunkle Glut schoß
ihr jäh in das blasse Gesicht. Auch sie reichte zitternd ihre
Hand dem Retter entgegen. Falk's Antlitz war ruhig und
ernst, er hatte auch für Sibyllens ausgestreckte Hand kein Auge.
„Es freut mich, daß Sie es so gut überstanden, Comtesse,"
sagte er, während er fast streng auf sie niederblickte. Es war
Sibyllen, als ob dieser Blick bis in die tiefsten Winkel ihrer
Seele reiche.

„Sie haben mich befohlen, gnädige Frau?" wandte er sich
dann fragend an die Marschallin.
„Ei — Sie konnten doch wohl denken, daß unser Herz
Ihnen zu danken begehrte," erwiederte diese in dem alten leut-
seligen Ton, in den sich bei dieser Gelegenheit ein leiser Vor-
wurf mischte. „Graf Heino ist untröstlich, daß er so schleunig
hat abreisen müssen, ohne Ihnen persönlich alles das aus-
sprechen zu können, was sein Herz wohl gewünscht. Sie, edler
Mann, haben ja jedenfalls gar kein Gedächtniß mehr für die
in leicht aufwallendem Unmuth zugefügte Kränkung — Heino's
Blut fließt stets ein wenig zu rasch — ach! das war schon
sein Fehler in der Knabenzeit — ich kannte ihn ja von der Ge-
burt an —"
Frau Obermarschallin hatte trotz ihrer vielerprobten Ge-
wandtheit mehrere Male gestockt und verstummte jetzt ganz in
nicht zu bannender Verlegenheit. Diese stolze Männergestalt
da vor ihr blickte ihr so fest und gerade in die Augen, mit so
klarem, durchdringendem Blick, daß es — entsetzlich unbequem
war. Als sie jetzt gänzlich schwieg, verbeugte er sich leicht,
während ein bitteres, sarkastisches Lächeln um seine Mundwinkel
zuckte.
„Ich wollte Sie nicht unterbrechen, gnädige Frau," sagte
er langsam, „so befremdlich mir solche Erörterung aus Ihrem
Mund auch war. — Was zwischen Graf Heino und mir liegt,
gehört wohl unmöglich innerhalb der Wände dieses Salons —
wenn Sie der Meinung sind, daß meine That gestern irgend
etwas daran geändert, so muß ich Sie auf einen Jrrthum ver-
weisen. Gnädige Frau! Ich wäre um des Fischerjungen willen
allein auch hinausgefahren."
Die Marschallin hüstelte und blickte angestrengt zum Fenster
hinaus, auch Sibylla biß sich auf die Lippen.
„Gewiß — ich wollte auch nicht eben das damit sagen,"
ermannte sich die Marschallin endlich zu einer Antwort, „Sie
— Sie erschweren uns den Dank, mein Herr" — aus dem
„braven Mann" war plötzlich doch „mein Herr" geworden.
„Gnädige Frau, wollen Sie mir gestatten, diese ohne mein
Verschulden peinlich gewordene Szene abznkürzen," sagte Falk
jetzt mit ungezwungener Geradheit. „Wir Alle sind heute dem
obersten Herrn über Tod und Leben großen Dank schuldig;
fünf Leben waren gestern in Gefahr — ob hoch, ob niedrig
nach irdischen Rangverhältnissen, das wiegt vor Gott gleich,
und ob sie Alle schon bereit gewesen wären, vor den ewigen
Richterstuhl zu treten, das ist fraglich. Danken wir also dem
Herrn noch für die gnädige Frist."
Falk verbeugte sich respektvoll; unwillkürlich war auch Frau
Marschallins Verneigung einen halben Zoll tiefer gerathen als
gewöhnlich, an Sibyllens Wimpern hingen ein paar große
Thränen.
An der Thürs stand Gertrud; sie hatte gerade eintreten
wollen und war so stumme Zeugin der eben erzählten Szene
geworden. Sie schaute mit leuchtenden Augen zu diesem Mann
auf, der ihr im wahren Sinne des Worts „ein Edler" schien,
und leise berührte Falk's Hand im Vorübergchen wie segnend
ihr Haupt.
Es war still im Salon, auch Frau Marschallin fand nicht
gleich das rechte Wort.
„Ich habe mir doch wohl zu viel zugemuthet," sagte Si-
bylla, „mir ist noch nicht recht wohl, es wird besser sein, wenn
ich auf mein Zimmer gehe."
„Ich sagte es Dir schon," erwiederte die Marschallin ver-
stimmt, „thue Dir doch keinen Zwang an."
Gertrud begleitete Sibylla; sobald die Thür sich hinter ihnen
geschlossen, brach diese in einen Thränenstrom aus und barg
ihren Kopf an Gertrud's Hals.
„Gertrud! Gertrud! Ich ersticke — wie schrecklich ist dieß
Alles — welch' ein Chaos — ich habe keinen klaren 'Gedanken
mehr!"
Gertrud streichelte leise das jetzt fieberglühende Haupt.
„Sei ruhig," flüsterte sie, „und versuche Dich zu sammel»,
ich verstehe, wie Dir zu Muth ist und was Du eben empfun-
den. Sibylla, Du hättest Heino gestern nicht folgen sollen."
Sibylla schlug die Hände vor das Gesicht und bebte in
konvulsivischem Schluchzen. Gertrud ließ den Schmerzensparoxys-
mus ruhig austoben, Sibylla jammerte sie, aber wie sollte sie
hier helfen!
„Ich muß Falk noch einmal sehen und sprechen, ich allein,"
sagte Sibylla plötzlich und nahm die Hände vom Gesicht; eine
verzweifelte Entschlossenheit lag auf demselben. Gertrud sah
mißtrauisch und bedenklich auf sie, sie zögerte mit der Antwort.
„Wozu?" fragte sie dann ein wenig bitter, „was willst
Du ihm noch sagen? Du sahst, welch' einen Eindruck Frau
Marschallin mit all' ihren schönen Reden gemacht hat."
„O Gertrud!" rief Sibylla im Tone des Vorwurfs und
setzte dann demüthig und gebrochen hinzu: „Aber freilich, Du
hast Recht, was habe ich noch für ihn als schöne Worte —
und doch — und doch — o, nicht um seinetwillen, um meinet-
willen sehne ich mich nach einem erlösenden Wort. Ich muß
es ihm sagen, daß ich wenigstens keinen Theil habe an dieser
egoistischen Kaltherzigkeit — an dieser vornehmen Feigheit —
an dieser — o Gott! gibt cs einen Namen für das, was an
ihm gesündigt worden von den Unseren-"
„Sibylla, das ist so unnatürlich noch nicht von Denen,
welche ihn nicht kennen, aber Sibylla — ich meine, Du kanntest
ihn — und wer weiß, ob das, was Du an ihm gesündigt,
nicht das Einzige ist, an dem er schwer trägt."
Sibylla sah Gertrud mit einem Blick an, als ob sie um
Erbarmen bitten wolle.
„Du bist klug. Du bist erfinderisch, Gertrud, schaffe mir
eine Gelegenheit, ihn zu sprechen."
Gertrud sah starr aus dem Fenster. Ihr Auge faßte nichts

von den Gegenständen draußen, sah nichts von dem Hellen
Sonnenschein. Sie kämpfte einen harten Kampf.
„Sibylla, liebst Du Falk?"
Die Frage kam nach einer langen Pause mit so tiefem,
feierlich ernstem Tone von Gertrud's Lippen, daß Sibylla er-
schreckt zusammenfuhr. Sie rang nach Worten, um eine Ant-
wort zu geben, aber kein Laut löste sich aus der gepreßten
Kehle. Gertrud hatte sich zu ihr gewendet und sah ihr fest in
das Gesicht.
„Ich muß Dich danach fragen, Sibylla," fuhr sie langsam
und mit monotoner Stimnie fort, „denn dieser Mensch, um den
es sich handelt, ist zu gut für leichtfertige Tändelei. Ich hab's
ja beobachtet, so lang ich mit Bewußtsein beobachten kann,
welch' eine Wirkung äußere Schönheit übt bei Jung und Alt,
bei Weib und Mann. Und doch ist sie nicht die Erfüllung
dessen, was ein hochstrebender Geist begehrt. Du, Sibylla,
nennst den Augenblick Dein; Du wirkst und siegst durch die
Allgewalt jener äußeren Gaben, welche die Natur Dir gab, —
Du wirkst so, daß Du bestricken und den Verstand gefangen
nehmen kannst, — ich, die häßliche Gertrud, welche nie eine
Eroberung machen, nie Jemand für sich gewinnen kann, — ich
will nicht, so lang ich es zu verhindern vermag, daß Falk ver-
sucht wird, einer Sirene zu folgen, welche ihn doch nur in die
Tiefe zieht. Verzeih' mir meine Offenheit."
„Du bist hart, Gertrud," sagte Sibylla leise. „Und wenn
ich Dir nun verspreche, nichts weiter zu wollen, als den Schein
der Undankbarkeit von mir abzuwälzen — was könnte ich An-
deres wollen — zu erreichen hoffen — er verachtet mich jetzt
— das kann ich nicht ertragen."
„Ich will es versuchen," entschied endlich Gertrud mit einem
Seufzer.
Sie ging hinunter, um das Terrain zu rekognosziren, sie
glaubte Falk vorhin mit Hugo gesehen zu haben, wie er dem
Walde zuwanderte. Nach einer kleinen Weile kehrte sie zu Si-
byllen zurück.
„Fühlst Du Dich wohl genug, einen Spaziergang zu machen?"
fragte sie. „Frau Marschallin nimmt Herrn Bandel's Morgen-
grüße entgegen und ist einstweilen in Anspruch genommen,
Mademoiselle ging eben zum Baden, wir können unbemerkt
entschlüpfen, und ich müßte Mich sehr irren, wenn wir im Wald
nicht Herrn Falk mit Hugo träfen."
Sibylla zitterte wie Espenlaub, ihre Hände waren eiskalt,
als sie die Gertrud's dankbar drückten. Sic nahmen Hut und
Shawl und gingen. Gertrud hatte sehr richtiges Ahnungsver-
mögen. Auf der Rasenbank, an dem gewöhnlichen Ziel ihrer
Wanderungen, wo er in mancher glücklichen Stunde mit Sibyllen
gesessen, weilte Falk mit seinem Zögling. Er erhob sich äußerst
überrascht, als er die Damen erblickte, eine finstere Wolke flog
über sein Gesicht, das Zusammentreffen schien ihm unangenehm.
Die kleine, gute, listige Gertrud, sie schlug eine ganze Ver-
wunderungsskala an, gleich nach der ersten Begrüßung, weil
Hugo einen echten Champignon gefunden, und bezeigte ein so
großes, häuslich wirthschaftliches Interesse au dem Fund, daß
sie darauf brannte, sofort von Hugo an den Platz geführt zu
werden, wo dieses Exemplar herstammte. Derselbe war noch
eine artige Strecke entfernt.
Falk und Sibylla waren allein. Die Letztere sah so leidend
und elend aus, daß Falk's kühle Reserve sich unwillkürlich in
eine besorgnißvolle Fürsorge umwandclte. Er deckte seinen Plaid
über den Rasensitz, schob einen Stein ihr zur Fußbank, blieb
dann aber mit finster zusammengezogenen Brauen vor ihr stehen.
„Ob Ihnen ein Morgenspaziergang heute zuträglich war,
bezweifle ich," bemerkte er.
Sibylla sah schüchtern, mit dem Ausdruck rührender Demuth
zu ihm auf, ihre Augen schwammen schon wieder voll Thränen.
„Ich muß Ihnen die ganze Wahrheit sagen," erwiederte
sie gepreßt, „ich kam nur, um Sie zu treffen. Sie ahnen nicht,
was ich gelitten — ich fühle mich schuldig an Allem — wäre
ich nach Ihrer Warnung Heino nicht gefolgt, so wären nicht
so viel Leben auf's Spiel gesetzt. Gott ist gnädig gewesen,
aber kann ich je die Stunden der Angst, Aufregung und An-
strengung aus Ihrem Gedächtniß löschen, mit denen sich stets
ein — ein unangenehmes Bild meiner Person vermischen wird?"
Sie sah vor sich nieder und ein mattes Roth färbte wieder
die bleichen Wangen. Dunkle Ränder lagen unter den Augen
vom Weinen und der Gemüthsbewegung, dieses und der de-
müthige Ausdruck gaben ihrem Wesen einen ganz neuen Cha-
rakter; Falk blickte schweigend auf sie herab und in ihm wallte
wider seinen Willen das alte rebellische Herz auf.
„Was sorgen Sie darum, Comtesse," sagte er indeß kühl,
„was ein Mensch, der außer Ihrer Lebenssphäre steht, denkt,
ist ja ganz gleichgültig."
Sibylla legte ihre Hände zusammen und erhob sie gegen
ihn in rührender Bitte.
„Zählen Sie mich nicht zu ihnen, nicht zu Denen, welche
Sie beleidigten," flehte sie. „Ach! es brach ja Alles so plötz-
lich über mich herein — ist man Herr der Minute? — Nein,
man ist es nicht — mir ist das Ganze wie ein wüster Traum."
„Erinnern Sie sich noch unseres Gesprächs vor wenig Tagen,
am Abend, auf der Veranda?" fragte Falk leise. „Ich sagte,
ein Jeder, auch das Weib, sei frei in ihren Entschließungen,
wenn sie Muth habe. Sie waren unfrei, weil Ihnen der Muth
fehlte, Comtesse Sibylla."
Sibylla senkte den Kopf tief.
„Ich weiß es," hauchte sie, „und werde es büßen müssen.
O, alle diese Verhältnisse! Bedenken Sie, wie allein ich dastehe,
nirgends Einer, auf den ich fest bauen möchte, — weder Vater,
noch Verwandte!"
Der ganze Schmerz ihrer Seele, das ganze bittere Erfahren
der letzten Stunden brach unverholen hervor.
 
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