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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 34.1886

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560

Illustrirte Mett.

wulstigen Lippen ließen ein Gebiß frei, schöner und regel-
mäßiger als alle Erzeugnisse moderner Zahntechnik.
Stolz betrachtete er den Erfolg seiner Bemühungen und
ließ bedachtsam die wohlgeölten Hähne knacken.
„Senno viel zufrieden mit schwarzem Matteo," mur-
melte er vor sich hin, „Knall, großer Knall, und Soldaten
laufen fort, alle vor dummen Nigger!"
Dieser Gedanke schien dem Schwarzen wirklich gar zu
komisch vorzukommen. Er warf den wolligen Kopf inS
Genick und lachte
aus vollem Halse.
Der Widerhall sei-
ner eigenen Stimme
in den weiten ge-
wölbten Hallen
mußte ihn wohl er-
schreckt haben.
Scheu nach allen
Seiten herumlu-
gend, ob jeniand in
der Nähe, nahm er
dann seine unter-
brochene Arbeit wie-
der auf. Vor Lau-
schern war er übri-
gens sicher.
Die alles Le-
bende niederdrük-
kende Mittagsglut
hatte die Reiter
nach dein anstren-
genden Ritt in ihre
Quartiere getrie-
ben. Diese lagen
in den Räumen,
welche im oberen
Stockwerk an die
Galerie stießen, die
den weiten, vierecki-
gen Gartenhof von
drei Seiten umgab.
Seit Wochen auf
das Lager unter
freiem Himmel, auf
dem Erdboden an-
gewiesen, fühlten sie
sich in den hohen,
kühlen Räumen des
ehemaligen Klosters
recht behaglich. In
den früheren
Mönchszellen und
auch auf den Gale-
rien selbst, überall
lagen sie auf der
weichen Streu und
ruhten von den
Strapazen der letz-
ten Tage. Die star-
ken Holzgeländer,
die Pfeiler und
Wände prangten
unter den buntfar-
bigen Kleidungs-
stücken und den
blanken Waffen der
Reiter, eine selt-
same Dekoration,
wie sie wohl noch
niemals die grauen
Mauern des Hau-
ses geschmückt, wo
selbst in der Zeit
vor der jahrelangen
Verödung des alten
Steinbaues nur die
frommen Brüder in
ihren dunklen, wal-
lenden Gewändern
still und ernst ihre
Pfade gewandelt.
Hier und dort schläf-
riges Geplauder,
auch wohl einiges
Schnarchen und in
der Ferne hinter dem
Gebäude im Vieh-
hofe das Schnau-
ben der Rosse —
sonst war alles
still. In tiefem Frieden lag der Hof mit seinem nieder-
getretenen Graswuchs. Dichtes Gebüsch und einige hoch-
aufragende schlanke Cypressen umgaben in der Mitte des
Platzes eine kreisrunde Brunncnschale, die aus einem
Kupferrohr von einem kräftigen Quell so viel Wasser erhielt,
daß das kühlende Naß über den Rand lief und sich im
feuchten Nasen verlor. Zwischen den Wurzeln eines der
Stämme am Brunnen hatte sich Don Pedro einen Platz
ausgesucht, um nach den Anstrengungen und Aufregungen
des Tages eine wohlthuende Siesta zu halten. Die Hände

am Hinterkopfe verschränkt, träumerisch dem klaren Wasser-
strahl zusehend, der plätschernd in das Becken fiel, ließ der
Mexikaner die Ereignisse des verflossenen Morgens an
seinem geistigen Auge vorüberziehen. Immer von neuem
trat ihm das liebliche Bild des geängstigten Mädchens .ent-
gegen, wie sie die großen dunklen Augen mit bangender
Frage auf ihn richtete. Und sie hatte ihn erkannt, sie wußte
seinen Namen und wußte jedenfalls auch, welche Projekte
die beiderseitigen Väter für die Zukunft geschmiedet. Das

Unliebsame Begegnung. Zeichnung von Ralph Stein. (S. 562.)
Heiraten auf väterliche Empfehlung hatte nie große An-
ziehungskraft auf ihn ausgeübt. Er hatte sich deshalb bis-
her keine allzu große Mühe gegeben, die ihm zugedachte
Dame kennen zu lernen. Ja, wenn er sie gekannt hätte,
wenn es ihm früher vergönnt gewesen wäre, in diese tiefen,
glückverheißenden Augen zu schauen. Nun, das ließe sich
nachholen, wenn der Krieg zu Ende und die Parteien im
eigenen Lande sich nicht mehr mit den Waffen in der Hand
gegenüber standen. Das konnte aber noch lange dauern,
vorläufig schien der Feldzug sich erst recht blutig entwickeln

zu wollen und in nächster Zeit mußten die feindlichen Heere
im Nordosten des weiten mexikanischen Ländergebiets auf
einander stoßen. Diese Aussicht, früher ein neues Reiz-
mittel für seine unruhige, nach Abenteuern jagende Natur,
hatte jetzt alle Anziehungskraft verloren. Sie, nach der sein
Herz mit allen Fibern verlangte, war ja mit ihrem Vater
auf gegnerischer Seite, und er, als geborener Mexikaner
aus edlem Blute, stand unter der Botmäßigkeit der Frem-
den, die sein Vaterland als Domäne betrachteten und darin
schalteten und wal-
teten, wie es ihre
Interessen erheisch-
ten. Sonderbar,
daß ihm das jetzt
erst einfiel! Er er-
tappte sich auf merk-
würdig warmen
Sympathien für die
Rebellen, die Repu-
blikaner, die zu
hassen und zu ver-
folgen sein Vater
ihn gelehrt. Ja,
das war es eben,
sein Vater, der als
Staatssekretär ein
eifriger Anhänger
des Kaisers war,
hatte ihm den Weg
gewiesen, und seine
Pflicht war es, auf
seinem Posten aus-
zuharren, bis die
Zeitläufe den Krieg
in Frieden verwan-
delten. Das Wort
Friede hatte nie eine
solche Anziehungs-
kraft für ihn gehabt
als jetzt, wo er
damit die kühnsten
Träume von Glück
und Seligkeit an
der Seite seiner
Lucinde verband.
Die Erfüllung
dieser ausschweifen-
den Phantasien
stand aber noch in
weiter, weiter Fer-
ne. Wochen ver-
gingen, ohne daß
Dupains Corps
von der Stelle
rückte. Kleinere Ex-
peditionen ins Ge-
birge und nach der
Seeküste zu, wohin
gerade die Nach-
richten der indiani-
schen Kundschafter
die Aufmerksamkeit
des alten Banden-
führers lockten, un-
terbrachen hin und
wieder die den Rei-
tern gar nicht un-
willkommene
Muße. Die Spio-
nin und der ge-
heimnisvolle Aus-
gang ihres Schick-
sals war so ziemlich
von den meisten an
der Expedition Be-
teiligten vergessen
worden, aber nicht
von allen; nicht von
van Zeen, der als
vorläufig Dienst-
untauglicher unge-
heuer vielZeit hatte,
darüber nachzuden-
ken, daß die Anga-
ben des Offiziers
über die Hinrich-
tung doch eigentlich
recht dürftig gewe-
sen. Er hatte sich
von den Begleitern
Don Pedros und selbst von Joss, dem Gastwirt, zu unter-
schiedlichen Malen den Hergang der Sache, soweit sie ihn
mit angesehen, erzählen lassen, dabei wurde aber die
Hauptsache, der Tod der Dame, nirgends erwähnt. Was
zwischen dem Losbrechen des feindlichen Feuers und der
eiligen, fluchtähnlichen Ankunft del Patios geschehen, es
wurde immer dunkler, und dieser selber machte seit der Zeit
ein so unbefangen heiteres Gesicht, daß man ihm wirklich
nicht ansehen konnte, daß das Blut seiner Braut an seinen
wohlgepflegten Händen klebe. Am liebsten hätte van Zeen
 
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