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Fremden, die ihm bezeichnet worden wären, in die Her-
berge zum roten Ochsen gehen sehen. In seinen Mantel
gehüllt, sei er dort ebenfalls cingetreten und habe sie
genau beobachtet.
„Derjenige der beiden Bauern," fuhr er fort, „welchen
der Ritter von Alsleben für den Herzog von Lithauen ge-
halten hat, war es nicht. Es ist aber sein Sohn, der
Prinz Woidat, dessen Ähnlichkeit mit seinem Vater über-
raschend ist. Ich habe mich nicht getäuscht, denn ich habe
den Prinzen in dem letzten Feldzüge nahe genug im Kampfe
gesehen. Seinen jungen Begleiter kenne ich nicht."
„Was kann er hier wollen?" rief der Hochmeister er-
staunt. „Kynstud wird seine Prinzen nicht als Spione
hieher schicken. Aber wo ist er jetzt, er wird doch hoffent-
lich nicht entkommen?"
„Er hat mit seinem Begleiter die Herberge verlassen
und ist in die Stadt geritten. Ich bin ihnen gefolgt und
habe sie ungesehen beobachtet. Der Begleiter des Prinzen
und sein Diener sind mit den Pferden am Ende der Sack-
gasse geblieben, in welcher der Ritter von Alsleben wohnt,
der Prinz selbst ist allein in diese Gasse hineingegangen.
Ich konnte ihm, ohne bemerkt zu werden, dahin nicht
folgen, habe aber an den Thoren Befehl gegeben, die Reiter
nicht aus der Stadt zu lassen."
„Ei, ei, mein lieber Alsleben," sagte der Hochmeister,
„es scheint, Ihr konspirirt mit meinen Feinden und seid
am Ende gar ein heimlicher Verbündeter des wilden
Lithauers!"
Der Ritter von Alsleben war über das, was er gehört
hatte, so erstaunt, daß er auf diesen scherzhaften Vorwurf
nichts erwidern konnte. Der Arzt aber rief freudig aus:
„Da haben wir ja mit einemmal ein Unterpfand des
Friedens in Händen; um seinen Sohn aus der Gefangen-
schaft zu befreien, wird der Herzog alles zugestehen, was
man von ihm verlangt!"
„Und wird seine Versprechungen ebensowenig halten
als alle früheren," sagte der Hochmeister, indem er ernst
vor sich hinblicktc.
Nach einem Augenblick des Nachdenkens schien er seinen
Entschluß gefaßt zu haben, rief seinen Pagen und befahl
demselben, ihm seine Rüstung zu bringen. Er ließ sich
von Kopf bis zu den Füßen wappnen, ergriff sein Schwert
und befahl dem Herrn von Pappenheim, ohne Aufsehen
Pferde vor das äußere Thor führen zu lassen. Der Arzt
und der Ritter von Alsleben sahen ihm erstaunt zu, da
aber der Meister ihnen über sein Vorhaben nichts mit-
teilte, sie auch nicht um Rat fragte, so wagten sie nicht,
ihn zu fragen oder ihre Meinung auszusprechen. Bald
darauf meldete der Page, daß die Pferde bereit seien.
Winrich forderte Alsleben und Bormiencs auf, ihm zu
folgen, stieg die Treppe hinab und durchschritt den Schloß-
hof. Die Zugbrücke war niedergelassen, weil die Gäste
aus der Stadt noch auf dem Schlosse waren; so gelangte
der Meister, der sich dicht in seinen Ordensmantcl hüllte,
unerkannt mit seinen Begleitern vor das Thor. Hier-
wartete der Herr von Pappcnheim mit den Pferden und
die ganze Gesellschaft ritt schweigend der Stadt zu, Winrich
in Gedanken versunken, seine Begleiter in größter Span-
nung über den Ausgang des wundersamen Abenteuers.
Als sie an die Sackgasse vor dem Hause des Rats-
herrn Wittenberg gekommen waren, gebot der Hochmeister
seinen Begleitern, zurückzubleiben.
„Aber, hochwürdiger Herr," rief der Herr von Pappen-
heim erschrocken, „Ihr werdet doch den Lithanern nicht
allein entgegengehen, es sind ihrer drei — wenn Euch ein
Unglück widerführe!"
„O, setzt Euch keiner Gefahr aus," rief auch der
Ritter von Alsleben, „bedenkt, Ihr seid kein einzelner
Mann; das ganze Land, der ganze Orden ruht auf Eurem
Haupt!"
Winrich antwortete nichts, winkte noch einmal den
anderen, zurückzubleiben, und ging mit hallenden Schritten
in die Gasse hinein.
Bormienes lächelte fein und billigend. Er hatte den
Meister verstanden, er begriff, daß es dem kühnen Rittcr
widerstrebte, mit Uebcrmacht einen einzelnen Mann ge-
fangen zu nehmen. Er begriff, daß der kluge Fürst dar-
aus ausging, nicht den Körper, sondern das Herz seines
Feindes zu gewinnen. Der Hochmeister hatte sein Visir
geschlossen und schritt immer weiter in die vom Monde
beleuchtete Gasse hinein. Bald befand er sich den drei
Männern gegenüber, welche, zum Kampf bereit, vor ihren
Pferden standen.
„Wer seid ihr und was treibt ihr zu so später Stunde
hier auf der Straße?" fragte Winrich mit lauter Stimme.
„Wer seid Ihr, daß Ihr Euch anmaßt, uns auszu-
fragen?" rief ihm der junge Mann in Bauerntracht zurück.
„Wer ich bin, zeigt euch mein Mantel, und als Nitter
des Ordens habe ich das Recht, euch anzuhalten und zu
fragen," sagte der Hochmeister ruhig.
„Wenn wir aber nicht antworten?"
„So werdet ihr nicht passiren."
„Das wollen wir sehen! Gebt Raum, Freund!"
Mit diesen Worten stürzte der Bauer auf den Hoch-
meister und führte einen mächtigen Stoß nach ihm. Winrich
fing denselben geschickt mit spielender Sicherheit auf und
schlug zugleich mit unwiderstehlicher Kraft seinem Gegner
das Schwert aus der Hand. Der jüngere der beiden
Illustrirte Welt.
war von der Seite auf den Meister eingedrungen und
hatte einen Strcick auf dessen Helm geführt. Winrich
wandte sich um und streckte ihn mit einem Schwertschlage
zu Boden.
Der Knecht hatte sich, als er einen seiner Herren ent-
waffnet und den andern zu Boden gestürzt sah, auf ein
Pferd geworfen und versuchte, gegen den Meister an-
sprengend, ihn niedcrzureitcn. Winrich aber stand fest wie
ein Fels, faßte dem auf ihn eindringenden Pferde in die
Zügel und riß es so heftig herum, daß es seinen Reiter
zu Boden schlenderte.
Dies alles war das Werk einiger Sekunden gewesen.
Winrich wandte sich nun wieder zu seinem ersten Gegner,
der sein Schwert aufgerafft hatte und nun auf seine Ver-
teidigung bedacht schien, da ihm der Angriff nicht gelungen
war.
„Prinz Woidat von Lithauen," rief der Hochmeister
mit volltönender Stimme, „ergebt Euch, Ihr seid mein
Gefangener!"
Ein Schrei ertönte an dem Fenster, von welchem ans
Hildegard mit klopfendem Herzen Zeugin des Kampfes
gewesen war.
Sie hatte des Hochmeisters Stimme erkannt, sie hörte
ihren Geliebten, den sie für einen armen Jäger gehalten,
als Prinzen von Lithauen anreden. Halb ohnmächtig
schwankte sie vom Fenster zurück und sank vor ihrem Bett
zu Boden. Winrich hörte diesen Schrei und sah das
Mädchen noch einen Augenblick am Fenster. Dieser
Augenblick genügte, um ihm die Anwesenheit von Kynstuds
Sohn zu erklären.
Woidat hörte diesen Schrei auch und begriff das ganze
Unglück, welches seiner Liebe drohte, nachdem Hildegard
so plötzlich und unvorbereitet erfahren, wer er war. Hier-
über noch grimmiger als über die ihm wahrscheinlich
drohende Gefangenschaft, rief er:
„Wenn Ihr wißt, wer ich bin, so werdet Ihr auch
wissen, daß ein lithauischer Fürst sich niemals ergibt, so
lange er sein Schwert in der Hand hat."
„Ihr habt Euch tapfer gewehrt," sagte Winrich freund-
lich und ruhig; „Euer Vater würde mit Euch zufrieden
sein. Darum aber ist cs keine Schande, wenn Ihr Euch
ergebt. Ihr seid jetzt in meiner Gewalt. Ich bin gehar-
nischt und Eure Streiche würden mir wenig schaden, wäh-
rend Ihr nur ein leichtes Wams tragt. Widerstand ist
vergeblich; Ihr würdet getötet werden, und ich möchte das
Leben eines jungen Helden, wie Ihr seid, nicht vor der
Zeit enden."
Woidat sah ein, daß er wirklich in der Gewalt seines
Gegners war, nnd er hatte keine Lust, einem sichern Tod
ohne die geringste Aussicht auf Erfolg entgegen zu gehen.
„Ein Fürst ergibt sich nicht einem Unbekannten," sagte
er, „so nennt mir Euren Namen! Wem soll ich mein
Schwert ausliefern?"
„Dem Hochmeister Winrich von Kniprode," erwiderte
Winrich, indem er sein Visir öffnete, so daß der Strahl
des Mondes seine edlen, schönen Züge beleuchtete, „und
ich denke, ihm kann sich ein Prinz von Lithauen unbeschadet
seiner Ehre ergeben."
Woidat stand einen Augenblick erschüttert und keines
Wortes mächtig da.
In diesem gewaltigen Ritter, dessen mächtiges Schwert
er gefühlt, so unerwartet den hochberühmtcn Hochmeister
zu erblicken, von welchem sein Vater Kynstud trotz seiner
Feindschaft immer mit der höchsten Achtung sprach, den er-
den ersten Ritter der Welt nannte, das ergriff den jungen
Mann so heftig, als ob ein Blitz vor ihm in die Erde
geschlagen hätte.
Aller Aerger über seine Niederlage, alle Sorge um
die Folgen seiner Gefangenschaft schwanden in seiner Seele
und machten der bewundernden Neugier Platz, mit weicher-
er die hohe ritterliche Gestalt in dem weißen Mantel und
das fürstlich edle Antlitz unter dem hohen Eisenhelm an-
blickte; er fühlte sein Herz stolz und hoch schlagen bei dem
Gedanken, sein Schwert niit dem des gewaltigen Helden
gekreuzt zu haben.
Mit edlem und freiem Anstand näherte er sich dem
Meister nnd überreichte ihm ehrerbietig die Waffe, welche
er vorher gegen ihn geführt hatte.
„Ihr habt recht, hoher Herr," sagte er, „Euch kann
ich mich ergeben. Es ist eine Ehre, mit Euch gekämpft
zu haben, und keine Schande, von Euch überwunden zu
sein."
Winrich gab dem Prinzen das Schwert zurück und
sagte:
„Behaltet Eure Waffe und Eure Freiheit, mein junger
Hcld; ich führe keinen Krieg gegen einzelne Fremde, die
mein Land durchziehen. Kehrt zurück zu Eurem Vater
und bringt ihm meinen Gruß. Hütet Euch aber, Euch
auf dem Schlachtfeld fangen zu lassen, ich würde Euch
dann nicht so leicht ziehen lassen. Ich hoffe, daß Ihr bis
morgen mein Gast auf der Marienburg sein werdet."
Wiederum blieb der junge Prinz erstaunt stehen; er-
kennte diese Großmut nicht begreifen. In den Ansichten
des wilden, kriegerischen Lithauervolks und seines Vaters
erzogen, verstand er es nicht, wie man einen Gefangenen,
der großen Vorteil bringen mußte, ohne weiteres frei lassen
konnte. Die Lithauer waren ein kriegerisches Bolk und
von ungeheurer persönlicher Tapferkeit, aber nach ihrer
Auffassung galten im Krieg alle Mittel, um dem Feind
zu schaden, selbst der Verrat nicht ausgenommen. Den
edlen, hohen Sinn der christlichen Ritterlichkeit, welcher
den Vorteil, den Zufall oder List bietet, verschmäht und
nur im offenen Kampf den Feind besiegen will, kannten
sie nicht. Um so tiefer war daher der Eindruck, den die
Worte Winrichs ans den jungen Prinzen machten.
Der Feind, der einen so großen Vorteil freiwillig aus
der Hand gab, mußte ihm um so mächtiger und um so
furchtbarer erscheinen, da er handelte, als ob er des
Sieges gewiß sei. Außer dieser Bewunderung erweckte
des Meisters Verfahren in ihm die lebhafteste Dankbar-
keit. Eine Gefangenschaft in Marienburg wäre ihm sehr-
peinlich gewesen, da sein Vater nichts von seinem toll-
kühnen Zug nach der Hauptstadt seiner Feinde wußte und
sehr erzürnt über ein solches Wagnis sein mußte, nament-
lich wenn er irgendwie erfahren hätte, daß eine Liebschaft
mit einem christlichen Mädchen der Grund dazu gewesen
wäre. Deshalb auch wollte er keinen Augenblick in
Marienburg bleiben.
„Hoher Herr," erwiderte er dem Hochmeister, „ich kann
keine Worte finden, um Euch für Eure Großmut zu
danken, glaubt mir aber, daß ich dieselbe nie vergessen
werde. Für jetzt aber bitte ich Euch, da Ihr mir die
Freiheit geschenkt, daß Ihr mir erlaubt, sogleich abzureisen.
Ich wünsche nicht, daß meine Anwesenheit in Marienburg
bekannt würde, bei der ich übrigens, darauf gebe ich Euch
mein fürstliches Wort, nichts Feindseliges gegen Euch
beabsichtigte."
„Eurer Abreise," erwiderte Winrich, „steht nichts im
Wege, doch fürchte ich, daß Eure Begleiter nicht im stände
sein werden, Euch zu folgen!"
„O mein Gott, mein armer Bruder, fast hätte ich
Dich vergessen!" rief Woidat schmerzlich und eilte zu dem
Jüngling, welcher in seinem Blut am Boden lag. Der
alte Rolf hatte sich erholt und aufgcrichtct, aber sein rechter
Arm war von dem gewaltigen Sturz mit dem Pferde ver-
staucht. Er näherte sich ebenfalls dem am Boden liegen-
den jungen Mann.
„Euer Bruder?" fragte Winrich verwundert.
„Ja, es ist mein Bruder Turville," rief Woidat
schmerzlich, „der so schwer für meine Thorhcit büßen muß.
O, hätte ich ihn nie beredet, mit mir zu gehen!"
Und er beugte sich über seinen Bruder und nahm dessen
Haupt in seine Arme.
Das Gesicht des Verwundeten war totenbleich; eine
furchtbare Wunde lief über den ganzen Kopf nnd seine
Haare klebten von geronnenem Blut.
Das Schwert des Hochmeisters hatte gut und sicher
getroffen.
„Mein armer, armer Bruder! Er ist tot, tot durch
meine Schuld!" rief Woidat verzweiflungsvoll.
Winrich eilte an das Ende der Gasse und rief seine
Begleiter. Dieselben erschienen und blickten mit Staunen
auf die Scene, die sich ihren Blicken darbot.
„Hieher, mein Freund," rief der Hochmeister dem Arzt
zu, „sieh, was hier zu thun ist, uud wenn Rettung mög-
lich ist, so rette diesen Jüngling!"
Bormienes beugte sich über den Verwundeten und
schüttelte bedenklich das Haupt, als er die furchtbar
klaffende Kopfwunde sah. Darauf öffnete er das Wams
des jungen Mannes, legte die Hand auf dessen Herz und
hielt seine Wange an die Lippen desselben. Nach einigen
Augenblicken sagte er:
„Er lebt noch, aber ob er zu retten sein wird, das
liegt in Gottes Hand. Ich will alles versuchen, und viel-
leicht thut die jugendliche Natur das Ihrige."
„O, rettet ihn, rettet ihn!" rief Woidat, indem er die
Hand des Arztes ergriff. „Ich kann nie wieder ruhig
sein, wenn er stirbt!"
Der Arzt untersuchte die Wunde nochmals und erklärte,
der Kranke müsse sofort verbunden und zu Bett gebracht
werden. Winrich blickte Woidat an, der bei der Erinne-
rung an die dem Verwundeten nötige Pflege verlegen sich
umsah, und sprach dann, indem er sich zu dem Ritter von
Alsleben wandte:
„Mein würdiger Freund, ich habe eine Bitte an Euch.
Dieser Verwundete ist der Prinz Surville von Lithauen.
Sein Bruder wünscht nicht, daß seine Anwesenheit in
Marienburg bekannt werde, und das wäre nicht zu ver-
meiden, wenn er in dem Schloß gepflegt würde. Wollt
Ihr aus Freundschaft für mich den Verwundeten in Euer
Haus aufnehmen und durch Eure Pflege dem Armen viel-
leicht sein junges Leben erhalten? Ich weiß, Eure edle
Tochter wird Euch gern bei diesem Werk der Barmherzig-
keit unterstützen."
„Mit Freuden will ich ihn anfnehmen, nm Euretwillen
nnd um der Barmherzigkeit Gottes willen," sagte der alte
Ritter und eilte sofort an die Thür seines Hauses.
Auf sein Klopfen wurde dieselbe geöffnet und es er-
schienen zwei Diener mit Fackeln, um ihrem Gebieter,
von dem sic glaubten, daß er ruhig wie sonst vom Schlosse
zurückkehre, zu leuchten. Sie blickten erstaunt auf die
Gruppe in der Straße.
„Ruft meine Tochter!" rief der Ritter von Alsleben.
Gleich darauf erschien die schöne Maria, in ein weißes
Gewand gehüllt, über welches sie in der Eile einen weiten
dunklen Mantel geworfen hatte.
Fremden, die ihm bezeichnet worden wären, in die Her-
berge zum roten Ochsen gehen sehen. In seinen Mantel
gehüllt, sei er dort ebenfalls cingetreten und habe sie
genau beobachtet.
„Derjenige der beiden Bauern," fuhr er fort, „welchen
der Ritter von Alsleben für den Herzog von Lithauen ge-
halten hat, war es nicht. Es ist aber sein Sohn, der
Prinz Woidat, dessen Ähnlichkeit mit seinem Vater über-
raschend ist. Ich habe mich nicht getäuscht, denn ich habe
den Prinzen in dem letzten Feldzüge nahe genug im Kampfe
gesehen. Seinen jungen Begleiter kenne ich nicht."
„Was kann er hier wollen?" rief der Hochmeister er-
staunt. „Kynstud wird seine Prinzen nicht als Spione
hieher schicken. Aber wo ist er jetzt, er wird doch hoffent-
lich nicht entkommen?"
„Er hat mit seinem Begleiter die Herberge verlassen
und ist in die Stadt geritten. Ich bin ihnen gefolgt und
habe sie ungesehen beobachtet. Der Begleiter des Prinzen
und sein Diener sind mit den Pferden am Ende der Sack-
gasse geblieben, in welcher der Ritter von Alsleben wohnt,
der Prinz selbst ist allein in diese Gasse hineingegangen.
Ich konnte ihm, ohne bemerkt zu werden, dahin nicht
folgen, habe aber an den Thoren Befehl gegeben, die Reiter
nicht aus der Stadt zu lassen."
„Ei, ei, mein lieber Alsleben," sagte der Hochmeister,
„es scheint, Ihr konspirirt mit meinen Feinden und seid
am Ende gar ein heimlicher Verbündeter des wilden
Lithauers!"
Der Ritter von Alsleben war über das, was er gehört
hatte, so erstaunt, daß er auf diesen scherzhaften Vorwurf
nichts erwidern konnte. Der Arzt aber rief freudig aus:
„Da haben wir ja mit einemmal ein Unterpfand des
Friedens in Händen; um seinen Sohn aus der Gefangen-
schaft zu befreien, wird der Herzog alles zugestehen, was
man von ihm verlangt!"
„Und wird seine Versprechungen ebensowenig halten
als alle früheren," sagte der Hochmeister, indem er ernst
vor sich hinblicktc.
Nach einem Augenblick des Nachdenkens schien er seinen
Entschluß gefaßt zu haben, rief seinen Pagen und befahl
demselben, ihm seine Rüstung zu bringen. Er ließ sich
von Kopf bis zu den Füßen wappnen, ergriff sein Schwert
und befahl dem Herrn von Pappenheim, ohne Aufsehen
Pferde vor das äußere Thor führen zu lassen. Der Arzt
und der Ritter von Alsleben sahen ihm erstaunt zu, da
aber der Meister ihnen über sein Vorhaben nichts mit-
teilte, sie auch nicht um Rat fragte, so wagten sie nicht,
ihn zu fragen oder ihre Meinung auszusprechen. Bald
darauf meldete der Page, daß die Pferde bereit seien.
Winrich forderte Alsleben und Bormiencs auf, ihm zu
folgen, stieg die Treppe hinab und durchschritt den Schloß-
hof. Die Zugbrücke war niedergelassen, weil die Gäste
aus der Stadt noch auf dem Schlosse waren; so gelangte
der Meister, der sich dicht in seinen Ordensmantcl hüllte,
unerkannt mit seinen Begleitern vor das Thor. Hier-
wartete der Herr von Pappcnheim mit den Pferden und
die ganze Gesellschaft ritt schweigend der Stadt zu, Winrich
in Gedanken versunken, seine Begleiter in größter Span-
nung über den Ausgang des wundersamen Abenteuers.
Als sie an die Sackgasse vor dem Hause des Rats-
herrn Wittenberg gekommen waren, gebot der Hochmeister
seinen Begleitern, zurückzubleiben.
„Aber, hochwürdiger Herr," rief der Herr von Pappen-
heim erschrocken, „Ihr werdet doch den Lithanern nicht
allein entgegengehen, es sind ihrer drei — wenn Euch ein
Unglück widerführe!"
„O, setzt Euch keiner Gefahr aus," rief auch der
Ritter von Alsleben, „bedenkt, Ihr seid kein einzelner
Mann; das ganze Land, der ganze Orden ruht auf Eurem
Haupt!"
Winrich antwortete nichts, winkte noch einmal den
anderen, zurückzubleiben, und ging mit hallenden Schritten
in die Gasse hinein.
Bormienes lächelte fein und billigend. Er hatte den
Meister verstanden, er begriff, daß es dem kühnen Rittcr
widerstrebte, mit Uebcrmacht einen einzelnen Mann ge-
fangen zu nehmen. Er begriff, daß der kluge Fürst dar-
aus ausging, nicht den Körper, sondern das Herz seines
Feindes zu gewinnen. Der Hochmeister hatte sein Visir
geschlossen und schritt immer weiter in die vom Monde
beleuchtete Gasse hinein. Bald befand er sich den drei
Männern gegenüber, welche, zum Kampf bereit, vor ihren
Pferden standen.
„Wer seid ihr und was treibt ihr zu so später Stunde
hier auf der Straße?" fragte Winrich mit lauter Stimme.
„Wer seid Ihr, daß Ihr Euch anmaßt, uns auszu-
fragen?" rief ihm der junge Mann in Bauerntracht zurück.
„Wer ich bin, zeigt euch mein Mantel, und als Nitter
des Ordens habe ich das Recht, euch anzuhalten und zu
fragen," sagte der Hochmeister ruhig.
„Wenn wir aber nicht antworten?"
„So werdet ihr nicht passiren."
„Das wollen wir sehen! Gebt Raum, Freund!"
Mit diesen Worten stürzte der Bauer auf den Hoch-
meister und führte einen mächtigen Stoß nach ihm. Winrich
fing denselben geschickt mit spielender Sicherheit auf und
schlug zugleich mit unwiderstehlicher Kraft seinem Gegner
das Schwert aus der Hand. Der jüngere der beiden
Illustrirte Welt.
war von der Seite auf den Meister eingedrungen und
hatte einen Strcick auf dessen Helm geführt. Winrich
wandte sich um und streckte ihn mit einem Schwertschlage
zu Boden.
Der Knecht hatte sich, als er einen seiner Herren ent-
waffnet und den andern zu Boden gestürzt sah, auf ein
Pferd geworfen und versuchte, gegen den Meister an-
sprengend, ihn niedcrzureitcn. Winrich aber stand fest wie
ein Fels, faßte dem auf ihn eindringenden Pferde in die
Zügel und riß es so heftig herum, daß es seinen Reiter
zu Boden schlenderte.
Dies alles war das Werk einiger Sekunden gewesen.
Winrich wandte sich nun wieder zu seinem ersten Gegner,
der sein Schwert aufgerafft hatte und nun auf seine Ver-
teidigung bedacht schien, da ihm der Angriff nicht gelungen
war.
„Prinz Woidat von Lithauen," rief der Hochmeister
mit volltönender Stimme, „ergebt Euch, Ihr seid mein
Gefangener!"
Ein Schrei ertönte an dem Fenster, von welchem ans
Hildegard mit klopfendem Herzen Zeugin des Kampfes
gewesen war.
Sie hatte des Hochmeisters Stimme erkannt, sie hörte
ihren Geliebten, den sie für einen armen Jäger gehalten,
als Prinzen von Lithauen anreden. Halb ohnmächtig
schwankte sie vom Fenster zurück und sank vor ihrem Bett
zu Boden. Winrich hörte diesen Schrei und sah das
Mädchen noch einen Augenblick am Fenster. Dieser
Augenblick genügte, um ihm die Anwesenheit von Kynstuds
Sohn zu erklären.
Woidat hörte diesen Schrei auch und begriff das ganze
Unglück, welches seiner Liebe drohte, nachdem Hildegard
so plötzlich und unvorbereitet erfahren, wer er war. Hier-
über noch grimmiger als über die ihm wahrscheinlich
drohende Gefangenschaft, rief er:
„Wenn Ihr wißt, wer ich bin, so werdet Ihr auch
wissen, daß ein lithauischer Fürst sich niemals ergibt, so
lange er sein Schwert in der Hand hat."
„Ihr habt Euch tapfer gewehrt," sagte Winrich freund-
lich und ruhig; „Euer Vater würde mit Euch zufrieden
sein. Darum aber ist cs keine Schande, wenn Ihr Euch
ergebt. Ihr seid jetzt in meiner Gewalt. Ich bin gehar-
nischt und Eure Streiche würden mir wenig schaden, wäh-
rend Ihr nur ein leichtes Wams tragt. Widerstand ist
vergeblich; Ihr würdet getötet werden, und ich möchte das
Leben eines jungen Helden, wie Ihr seid, nicht vor der
Zeit enden."
Woidat sah ein, daß er wirklich in der Gewalt seines
Gegners war, nnd er hatte keine Lust, einem sichern Tod
ohne die geringste Aussicht auf Erfolg entgegen zu gehen.
„Ein Fürst ergibt sich nicht einem Unbekannten," sagte
er, „so nennt mir Euren Namen! Wem soll ich mein
Schwert ausliefern?"
„Dem Hochmeister Winrich von Kniprode," erwiderte
Winrich, indem er sein Visir öffnete, so daß der Strahl
des Mondes seine edlen, schönen Züge beleuchtete, „und
ich denke, ihm kann sich ein Prinz von Lithauen unbeschadet
seiner Ehre ergeben."
Woidat stand einen Augenblick erschüttert und keines
Wortes mächtig da.
In diesem gewaltigen Ritter, dessen mächtiges Schwert
er gefühlt, so unerwartet den hochberühmtcn Hochmeister
zu erblicken, von welchem sein Vater Kynstud trotz seiner
Feindschaft immer mit der höchsten Achtung sprach, den er-
den ersten Ritter der Welt nannte, das ergriff den jungen
Mann so heftig, als ob ein Blitz vor ihm in die Erde
geschlagen hätte.
Aller Aerger über seine Niederlage, alle Sorge um
die Folgen seiner Gefangenschaft schwanden in seiner Seele
und machten der bewundernden Neugier Platz, mit weicher-
er die hohe ritterliche Gestalt in dem weißen Mantel und
das fürstlich edle Antlitz unter dem hohen Eisenhelm an-
blickte; er fühlte sein Herz stolz und hoch schlagen bei dem
Gedanken, sein Schwert niit dem des gewaltigen Helden
gekreuzt zu haben.
Mit edlem und freiem Anstand näherte er sich dem
Meister nnd überreichte ihm ehrerbietig die Waffe, welche
er vorher gegen ihn geführt hatte.
„Ihr habt recht, hoher Herr," sagte er, „Euch kann
ich mich ergeben. Es ist eine Ehre, mit Euch gekämpft
zu haben, und keine Schande, von Euch überwunden zu
sein."
Winrich gab dem Prinzen das Schwert zurück und
sagte:
„Behaltet Eure Waffe und Eure Freiheit, mein junger
Hcld; ich führe keinen Krieg gegen einzelne Fremde, die
mein Land durchziehen. Kehrt zurück zu Eurem Vater
und bringt ihm meinen Gruß. Hütet Euch aber, Euch
auf dem Schlachtfeld fangen zu lassen, ich würde Euch
dann nicht so leicht ziehen lassen. Ich hoffe, daß Ihr bis
morgen mein Gast auf der Marienburg sein werdet."
Wiederum blieb der junge Prinz erstaunt stehen; er-
kennte diese Großmut nicht begreifen. In den Ansichten
des wilden, kriegerischen Lithauervolks und seines Vaters
erzogen, verstand er es nicht, wie man einen Gefangenen,
der großen Vorteil bringen mußte, ohne weiteres frei lassen
konnte. Die Lithauer waren ein kriegerisches Bolk und
von ungeheurer persönlicher Tapferkeit, aber nach ihrer
Auffassung galten im Krieg alle Mittel, um dem Feind
zu schaden, selbst der Verrat nicht ausgenommen. Den
edlen, hohen Sinn der christlichen Ritterlichkeit, welcher
den Vorteil, den Zufall oder List bietet, verschmäht und
nur im offenen Kampf den Feind besiegen will, kannten
sie nicht. Um so tiefer war daher der Eindruck, den die
Worte Winrichs ans den jungen Prinzen machten.
Der Feind, der einen so großen Vorteil freiwillig aus
der Hand gab, mußte ihm um so mächtiger und um so
furchtbarer erscheinen, da er handelte, als ob er des
Sieges gewiß sei. Außer dieser Bewunderung erweckte
des Meisters Verfahren in ihm die lebhafteste Dankbar-
keit. Eine Gefangenschaft in Marienburg wäre ihm sehr-
peinlich gewesen, da sein Vater nichts von seinem toll-
kühnen Zug nach der Hauptstadt seiner Feinde wußte und
sehr erzürnt über ein solches Wagnis sein mußte, nament-
lich wenn er irgendwie erfahren hätte, daß eine Liebschaft
mit einem christlichen Mädchen der Grund dazu gewesen
wäre. Deshalb auch wollte er keinen Augenblick in
Marienburg bleiben.
„Hoher Herr," erwiderte er dem Hochmeister, „ich kann
keine Worte finden, um Euch für Eure Großmut zu
danken, glaubt mir aber, daß ich dieselbe nie vergessen
werde. Für jetzt aber bitte ich Euch, da Ihr mir die
Freiheit geschenkt, daß Ihr mir erlaubt, sogleich abzureisen.
Ich wünsche nicht, daß meine Anwesenheit in Marienburg
bekannt würde, bei der ich übrigens, darauf gebe ich Euch
mein fürstliches Wort, nichts Feindseliges gegen Euch
beabsichtigte."
„Eurer Abreise," erwiderte Winrich, „steht nichts im
Wege, doch fürchte ich, daß Eure Begleiter nicht im stände
sein werden, Euch zu folgen!"
„O mein Gott, mein armer Bruder, fast hätte ich
Dich vergessen!" rief Woidat schmerzlich und eilte zu dem
Jüngling, welcher in seinem Blut am Boden lag. Der
alte Rolf hatte sich erholt und aufgcrichtct, aber sein rechter
Arm war von dem gewaltigen Sturz mit dem Pferde ver-
staucht. Er näherte sich ebenfalls dem am Boden liegen-
den jungen Mann.
„Euer Bruder?" fragte Winrich verwundert.
„Ja, es ist mein Bruder Turville," rief Woidat
schmerzlich, „der so schwer für meine Thorhcit büßen muß.
O, hätte ich ihn nie beredet, mit mir zu gehen!"
Und er beugte sich über seinen Bruder und nahm dessen
Haupt in seine Arme.
Das Gesicht des Verwundeten war totenbleich; eine
furchtbare Wunde lief über den ganzen Kopf nnd seine
Haare klebten von geronnenem Blut.
Das Schwert des Hochmeisters hatte gut und sicher
getroffen.
„Mein armer, armer Bruder! Er ist tot, tot durch
meine Schuld!" rief Woidat verzweiflungsvoll.
Winrich eilte an das Ende der Gasse und rief seine
Begleiter. Dieselben erschienen und blickten mit Staunen
auf die Scene, die sich ihren Blicken darbot.
„Hieher, mein Freund," rief der Hochmeister dem Arzt
zu, „sieh, was hier zu thun ist, uud wenn Rettung mög-
lich ist, so rette diesen Jüngling!"
Bormienes beugte sich über den Verwundeten und
schüttelte bedenklich das Haupt, als er die furchtbar
klaffende Kopfwunde sah. Darauf öffnete er das Wams
des jungen Mannes, legte die Hand auf dessen Herz und
hielt seine Wange an die Lippen desselben. Nach einigen
Augenblicken sagte er:
„Er lebt noch, aber ob er zu retten sein wird, das
liegt in Gottes Hand. Ich will alles versuchen, und viel-
leicht thut die jugendliche Natur das Ihrige."
„O, rettet ihn, rettet ihn!" rief Woidat, indem er die
Hand des Arztes ergriff. „Ich kann nie wieder ruhig
sein, wenn er stirbt!"
Der Arzt untersuchte die Wunde nochmals und erklärte,
der Kranke müsse sofort verbunden und zu Bett gebracht
werden. Winrich blickte Woidat an, der bei der Erinne-
rung an die dem Verwundeten nötige Pflege verlegen sich
umsah, und sprach dann, indem er sich zu dem Ritter von
Alsleben wandte:
„Mein würdiger Freund, ich habe eine Bitte an Euch.
Dieser Verwundete ist der Prinz Surville von Lithauen.
Sein Bruder wünscht nicht, daß seine Anwesenheit in
Marienburg bekannt werde, und das wäre nicht zu ver-
meiden, wenn er in dem Schloß gepflegt würde. Wollt
Ihr aus Freundschaft für mich den Verwundeten in Euer
Haus aufnehmen und durch Eure Pflege dem Armen viel-
leicht sein junges Leben erhalten? Ich weiß, Eure edle
Tochter wird Euch gern bei diesem Werk der Barmherzig-
keit unterstützen."
„Mit Freuden will ich ihn anfnehmen, nm Euretwillen
nnd um der Barmherzigkeit Gottes willen," sagte der alte
Ritter und eilte sofort an die Thür seines Hauses.
Auf sein Klopfen wurde dieselbe geöffnet und es er-
schienen zwei Diener mit Fackeln, um ihrem Gebieter,
von dem sic glaubten, daß er ruhig wie sonst vom Schlosse
zurückkehre, zu leuchten. Sie blickten erstaunt auf die
Gruppe in der Straße.
„Ruft meine Tochter!" rief der Ritter von Alsleben.
Gleich darauf erschien die schöne Maria, in ein weißes
Gewand gehüllt, über welches sie in der Eile einen weiten
dunklen Mantel geworfen hatte.