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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 37.1889

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544

Illustrirte Melt.

„Der Baron von Blomstedt aus Hagenberg hat jene
Zimmer vor kurzem gemietet," war die Antwort.
„Der Baron von Blomstedt," rief einer der Männer,
„ich kenne ihn, es ist ein eingefleischter Däne; was will er
hier? Wie kann er es wagen, gegen den König zu demon-
striren! Kommt, kommt, dqs müssen wir weiter verfolgen,
kein Verrat soll uns diesmal den Friedensspruch des
Siegers vergiften."
Ohne den Kaufmann weiter zu befragen, eilten sie
davon.
In einiger Entfernung trafen sie einen preußischen
Offizier, den sie anredeten und mit dem sie in lebhaftem
Gespräch den Weg nach dem Schlosse einschlugen.
Nach einiger Zeit kehrte der Baron zurück; sein Auge
war ruhiger und klarer.
Er reichte der Gräfin die Hand.
Sein Blick schien sie um Verzeihung zu bitten wegen
der leidenschaftlichen Heftigkeit, zu der er sich vorhin hatte
hinreißen lassen.
„Mit Axel ist es noch dasselbe," sagte er, „noch liegt
er meist bewußtlos im Schlummer der Erschöpfung, aber
die Aerzte halten die Hoffnung fest und glauben sein
Leben verbürgen zu können, wenn nicht unglückliche Zu-
fälle eintreten."
„Und Sie, mein Freund," fragte die Gräfin, „haben
Sie nicht den wohlthätigen Einfluß der Einsamkeit in der
Natur empfunden, haben Sie bei dem Ausblick in das
Wunderwerk der Schöpfung dieses Werk der höchsten
Weisheit und der höchsten Liebe nicht gelernt, sich demütig
zu ergeben in den Willen des Schöpfers und geduldig
seine Fügung abzuwarten?"
„Ich habe begriffen," erwiderte der Baron finster,
„daß man warten muß, wenn man nicht die Macht hat,
sein Schicksal zu lenken, und daß die Ergebung eine not-
wendige ist, deren Bitterkeit man vielleicht mildern könnte,
wenn man im stände wäre, die Demütigung hinzuzufügen."
Die Gräfin schüttelte traurig den Kopf, doch erwiderte
sie nichts; sie schien zufrieden, daß der Baron wenigstens
seine Ruhe und Selbstbeherrschung wiedergefunden hatte.
„Aber," fuhr dieser dann fort, indem er mit sinnendem
Blick die Augen aufschlug, „ich habe etwas gesehen, was
mich wunderbar bewegt hat, was zuerst mein Herz aus-
flammen ließ in bitterem Grimm und doch wieder wunder-
bare Gedanken in mir anregte, die alles einen Augenblick
in Zweifel stellten, was so lange den festen Grund meiner
Ueberzeugung bildete. Ich habe," fuhr er, auf den fragen-
den Blick der Gräfin antwortend, fort, „den König von
Preußen gesehen, welcher von Flensburg kam und soeben !
in das Schloß eingezogcn ist, um nach einer Stunde über j
seine siegreichen Truppen die Parade abzuhalten. Ich
war ergrimmt, als ich den Sieger über die tapferen Sol- i
daten unserer Armee sah, meine Lippen öffneten sich zu
einer Verwünschung, aber, Sie werden es kaum glauben,
Gräfin, als ich zu dem Könige hinaufblickte, der langsam,
nach allen Seiten das jubelnde Volk grüßend, an mir
vorüberritt, da wurde aller Unmut in meinem Herzen
durch ein Gefühl der Bewunderung, ja, wie soll ich sagen,
des Neides gegen die Preußen verdrängt — cs war in
des Königs freundlichem Gesicht mit den ritterlich offenen
Zügen so gar keine Spur von herausforderndem Hochmut,
von verletzender Selbstüberhebung, nur inniges herzliches
Wohlwollen leuchtete aus feinen klaren Augen, wenn er
zu dem jubelnden Volk herabblicktc, freudiger Stolz
strahlte aus seinen Blicken, wenn er in der Menge einen
preußischen Soldaten oder einen Offizier bemerkte, die
dann nahe zu ihm heraneilten und sich zu dienstlichem
Gruß aufstcllten, aber so warm und glücklich zu ihm auf-
sahen, als ob die Kinder den Vater begrüßten, und ebenso
herzlich nickte ihnen daun der König wieder zu. Fast
schien es, als ob jeder einzelne ihm bekannt sei, als ob er
jedem besonders seine Freude, seinen Dank spenden, jeden
besonders nach seinem Ergehen und nach seinem Anteil
an dem Siege fragen wolle. Ja, ich habe sie beneidet,
diese Preußen," fügte er mit bitterem Tone hinzu, „nicht
nur die Soldaten, die unter einem solchen Kriegsherrn
Wunder thun müssen, sondern auch das ganze preußische
Volk und vor allem die preußischen Edelleute — wie stolz,
ruhig und sicher müssen sie dastehen unter einem solchen
Fürsten, niemals zweifelhaft über den Weg ihrer Pflicht,
niemals im Zwiespalt zwischen ihren Landes- und Lehens-
herren und ihrem Lande, wie klar, ehrenvoll und befrie-
digend ist nicht für jeden preußischen Edelmann der Dienst,
in der Armee und in der Staatsverwaltung, wie traurig
haben wir gelitten unter dem schweren Zwiespalt langer
Jahre, der König und Herzog, dem unsere Treue gehörte,
war ja bei uns nur noch ein Name, unter dessen ge-
heiligtem Klange die rücksichtslose Demokratie die Regie-
rung und das Land dem Untergange zutrieb; unsere Sol-
daten, welche die Schanzen da draußen mit ihrem Blut
gedüngt haben, fechten unter der Fahne des Königs, aber
eigentlich für dessen bitterste Feinde. Wie so ganz anders
ist es dort in Preußen, dort weiß der Soldat und der
Offizier, wofür er sein Blut einseht, ein heiliges Element
steht zwischen ihm und feistem König, der König und die
Armee, der König und sein Volk, alles ist eins, und was
für den einen erkämpft wird, bringt auch dem andern'
Ruhm und Glück und Segen. Wie aber, wenn wir ge-
schlagen werden, so werden wir leiden in schweren Opfern,

und würden wir siegen können, so würden wir nur für
diejenigen siegen, welche unsere Rechte gebrochen haben
und auch des Königs Recht, in dessen Namen sie handeln,
bald bis auf den letzten Schein zerbrechen werden."
„Ich begreife und verstehe ein wenig diese Gefühle,
Baron," sagte die Gräfin, „es müssen ungefähr dieselben
sein, welche in der Brust meiner Vorfahren lebendig
waren, als jene entsetzliche und schmachvolle Revolution
in Frankreich noch den Namen des Königs unter ihre
Dekrete setzte, während an den Grenzen die Armeen sich
sammelten, um den Kampf für den König und das könig-
liche Recht aufzunehmen; und die damals unter den Fahnen
des Königs fochten, kämpften ja für die Feinde des Volkes.
Und doch ist es jetzt wieder anders, wenn wir vollständig
geschlagen werden, wenn keine der europäischen Mächte sich
zu unserer Hilfe erhebt, was ich doch immer noch nicht für
unmöglich halte, dann wird ja Ihr armes Vaterland ein
kleines Herzogtum werden unter dem Prinzen von Augusten-
burg, dessen Ratgeber, bei Gott, nicht besser sind als unsere
demokratischen Regenten in Kopenhagen. Wir haben
wenigstens noch die Hoffnung, wenn uns zur rechten Zeit
Hilfe kommt, auch über unsere Demokratie zu iriumphiren
und die Regierung wieder einzusetzen, wie sie einst war."
„Der König hat es abgelehnt," fiel der Baron finster
ein, „als ich ihm den Rat gab; hätte er cS gethan, viel-
leicht wäre heute alles schon pünktlich geordnet."
„Nun denn, Baron," fuhr die Gräfin fort, „wollten
Sie lieber ein Vasall des Herzogs von Augustenburg,
lieber," fügte sie spöttisch hinzu, „ein Bürger des kleinen
Herzogtums sein, in welchem die Herren, die von Gotha
gekommen sind, ein demokratisches Musterregiment errichten
werden, oder einer der ersten Unterthanen des Königs von
Dänemark, der in seinem Namen und seinem Besitz Macht
genug in Händen hält, um auch das gebeugte Recht end-
lich wieder zur Geltung zu bringen?"
„Wie könnte ich zweifeln bei solcher Wahl!" erwiderte
der Baron schmerzlich. „Aber, bei Gott, Gräfin," fuhr er
dann wieder lebhafter fort, indem er wie beteuernd die
Hand auf sein Herz legte, „bei Gott, ich würde glücklich,
unendlich glücklich sein, könnte ich von solcher Wahl frei
bleiben; und fast würde ich meines Hauses und meines
Standes Erinnerungen hingeben, wenn es mir vergönnt
wäre, heute ein preußischer Edelmann zu sein, der ohne
Zweifel und ohne Zagen der schwarz-weißen Fahne seines
Königs folgen kann, sicher und gewiß, daß er unter diesem
Zeichen niemals vom rechten Weg abweichen mag."
Eine Bewegung der Kranken unterbrach das Gespräch.
(Fortsetzung solgl.)

Etil ltlmm Koiikllil auf 4er Trepfle.
Von D. v. Suttner.
(Schluß.)
(Bild S. üg§.)
„Bist Tu wieder gesund? Das freut mich."
So empfängt die Gräfin am folgenden Morgen die ein-
tretende Thekla. Dieselbe war nämlich gestern den ganzen Tag
auf ihrem Zimmer geblieben, Kopfweh voffchützend. Es war
ihr Bedürfnis gewesen, allein zu sein mit der Erinnerung an
die beredte, stunime Scene auf der Terrassenstiege. Auch ihn
wollte sie nicht Wiedersehen vor der Stunde des Stelldicheins.
Nicht unter fremden Leuten wollte sie mit ihm sprechen; das
Wort, das er auf den Lippen hatte, als sie auf jenen Stufen
standen, das sollte er unbelauscht und an derselben Stelle zu ihr
sagen.
Nachdem die gewohnte Zeitungslektüre erledigt:
„Du erinnerst Dich, Thekla, wovon wir gestern sprachen?
Ich meine, von den Heiratsprojelten Rudolfs? Nun, ich denke,
es wird wieder nichts daraus. Er war gestern mit der ganzen
Familie Krehdorf von einer so auffälligen Unliebenswürdigkeit —
ich habe ihn noch nie so zerstreut und einsilbig gesehen. Als
er mir gute Nacht wünschte, kündigte er an, daß er mir heute
vormittag eine große Eröffnung machen wolle. ,Du hast Dich
für eine der drei Schwestern entschieden?- fragte ich. .Fällt
mir nicht im Traume ein/ war seine Antwort Also handelt
die große Eröffnung wahrscheinlich wieder von einer bevorstehenden
Abreise. Das ist sehr traurig, ich hatte mich schon so gefreut,
ihn endlich in der Gegend zu besitzen."
„Sie wollen sagen: im Hause?"
„Nein, nein, ich will sagen: in der Nachbarschaft. Wenn er
eine fremde junge Frau als Herrin hier einführte, jo wäre doch
meines Bleibens nicht."
„O Gräfin, welche Schwiegertochter wäre im stände, Sie
ziehen zu lassen?"
*
Um die gewohnte Stunde — elf Uhr — kommt Thekla mit
ihren Blumen von den Feldern zurück. Sie hat heute einen
größeren Strauß gesammelt als je — mechanisch, ohne Wahl
waren die Blumen abgerissen worden, waren doch die Gedanken
weit, weit von der Hände Beschäftigung abgeschweist.
Als sie den Baumgang betritt, an dessen Ende die Terrasse
liegt, fängt ihr Herz in wilden Schlägen zu pochen an — noch
eine Minute und sie würde ihn sehen, wahrscheinlich wartet er
dort, an die Balustrade gelehnt. Da steigt ihr plötzlich eine
brennende Nöte in die Wangen: „Um Gottes willen, was thue
ich? Ich gehe zu einem Stelldichein. Wie, wenn es doch nur
ein Spiel wäre — wenn er wirklich wieder abzurciien gedenkt
und nur noch zuvor am Wegesrande Hütte eine wilde Blume
brechen wollen. O, ich hätte nicht kommen sollen!"
Schon schwankt sic, ob sie nicht umkehren soll, um von einer

andern Seite ins Schloß zurückzugelangen, als sie hinter sich
nahende Schritte hört — jein Gang. Ohne sich umzuschauen,
eilt sie voran, er kommt immer näher. Auf der Mitte der
Terrassenstiege ist sie eingeholt.
„Thekla!"
„O mein Gott!" seufzte sie, stillstehend.
„Ich komme von meiner Mutter, sie willigt von Herzen ein."
Eine halbe Stunde später sind die beiden schon auf der dritt-
letzten Stufe angelangt, und nochmals machen sie Halt. Sie
hat ihm ihre enthandschuhte Rechte gereicht, die er in heißer
Dankesrührung an seine Lippen preßt.


Die eiserne Maske.
Von
H. W. Daran«.
(Alle Rechte Vorbehalten.)
Geschichten und rätselhafte Menschen (wie
Bülow eine interessante Sammlung von Biographien
nannte) hat es zu allen Zeiten gegeben und besonders die
letzten Jahrhunderte waren reich an „ungelösten Rätseln".
Und wenn auch manche dieser Rätsel ebenso ungelöst bleiben dürf-
ten, wie das der Pyramiden, das der venetianischen Regierungs-
weise unter dem „Rat der Zehn" und das der Personennamen Ler
Mumienportrüttaseln, die man unlängst erst aus Fayüm gebracht
und zum Entzücken aller Freunde der Porträtmalerei ausgestellt
hat, so ist doch im Laufe unserer klarschauenden und gesundkritischen
Zeit von den meisten Gejchichtsgeheimnissen bereits das Siegel
gelöst worden. Wir haben in Edison einen natürlichen Wunder-
thäter vom Range eines Moses und halten Moses deshalb nicht
weniger hoch und erkennen den Gott in ihm, der Sklavenfesseln
löste, wie der Kerkerengel Petri, und himmelsentstammte, erhal-
tende Gesetze gab, wie nach ihm in anderer Art der gottgeliebte
Erlöser von Nazareth. Und all die geheimnisvollen Menschen,
deren Mysterium wir gelöst, bleiben uns deshalb nicht weniger
interessant, weil wir ihr Nationale kennen. Oder büßt etwa
Kaspar Hauser von seinem trnurigen Nimbus ein, wenn wir
finden, daß der arme, verwahrloste Bauernfindling eigentlich ein


Schüssel aus der Revolutionszeit mit dem Bilde der eroberten
Bastille.
betrogener oder vielmehr künstlich dazu erzogener Betrüger war
(dem gescheite und rechtliche, aber — gelehrte Männer ihren
eigenen Aberglauben an romanhafte Jugendgeschichten einflößten),
als wenn er für uns ein „unterdrückter" Prinz bleibt? Und
wenn wir in dem geheimnisvollen Grafen aus Eisleben einen
schlauen Flüchtling mit einem dunklen Fleck in der Vergangen-
heit erkennen, so bleibt er uns deshalb nicht minder interessant,
als der sagenhafte Geistcrliebling Tanhüzer, wenn wir in ihm
Lest guten „Schreiber Heinrich" des löwenkühnen letzten Baben-
bergers finden.
Und so ist auch von dem Antlitz des armen Mannes mit
der eisernen Larve (l'lioinrns au inaoixue äs her) diese Larve
längst fortgcnommen worden, nachdem man ihn in unzähligen
Romanen, Dramen und pseudo-kritischen Enthüllungen immer
mehr maskirt hatte. Man nähte dem unglücklichen Gefangenen
von Pignerol und der Bastille so viele „ganz genaue" Visiten-
karten aus, daß derselbe zuletzt beinahe aussah wie ein Harlekin,
aber die Larve — die leidige Larve vermochte man ihm dennoch
nicht abzureißen, bis man auch hier endlich fand, daß das Nächst-
liegende das Einfachste und Natürlichste war.
Man hat nicht die Absicht, in diesem kurzen Aufsatze eine
dctaillirte Rekapitulirung all der Versionen zu geben, welche seit
mehr als hundert Jahren über das geheimnisvolle Opfer des
„Despotismus" oder der „Familienrücksichten" aufgestellt und
mit allem Aufwande von Unwahrscheinlichkeit behauptet wurden;
wir wollen diese romanhaften, unhaltbaren (und Loch oft so hart-
näckigen) Versionen nur rasch die Revue passiven lassen und dann
an der Hand von CH. Barthslemy*), welchem Las unbestreitbare
Recht zugejprochen werden muß, in dieser Sache den Schleier
nut sicherer Hand und endgiltig gelüftet zu haben, das Resultat
zu resumiren. Barthslemy hat nicht wie alle anderen durch ver-
wickelte Tajchenspielerkunststückchcn irgend eine neue Hypothese

*) Charles Barlhslemy, Vcrsasser von «Urrcurs et LIensongss
lustorigues». Paris, Blsriot Frsreo.
 
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